Kommentar: Warum die Welt Kryptowährungen braucht – eine Verteidigungsrede
Kryptowährungen dienen mitunter als Korrektiv, das Schwächen des existierenden Systems aufdeckt
Frankfurt. Jahrelang bezahlte die afghanische Unternehmerin Roya Mahboob ihre Mitarbeiterinnen in Bitcoin, weil ein großer Teil der Frauen in Afghanistan kein Bankkonto hat. Als die Taliban die Macht übernahmen, konnten viele ihrer ehemaligen Angestellten von ihren Krypto-Ersparnissen Gebrauch machen, um das Land zu verlassen.
Es sind Geschichten wie diese, die den Nutzen von Kryptowährungen zeigen. Und es gibt viele davon – aus Ländern mit instabilen Finanzsystemen, hoher Inflation oder eben einer politischen Führung, die Teile der Bevölkerung unterdrückt. Da ist beispielsweise der in Russland inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny, dessen Antikorruptionsorganisation im Sommer dazu aufrief, Spenden fortan in Kryptowährungen zu realisieren, nachdem die Organisation als extremistisch eingestuft wurde.
Diese Geschichten zeigen: Die Deutungshoheit darüber, wer Kryptowährungen braucht, liegt nicht bei Menschen, die mit dem traditionellen Finanzsystem zufrieden sind, die die Welt als einigermaßen stabil erleben und westliche Finanzinstitutionen als verlässlich empfinden.
Denn solange das Bedürfnis besteht, Werte digital zu versenden, ohne Großkonzerne zu beteiligen oder entsprechende Informationen mit Regierungen zu teilen, wird es Kryptowährungen geben. Kritiker wie mein Kollege Frank Wiebe, der im Handelsblatt jüngst die Meinung vertrat, kein Mensch brauche Kryptowährungen, sollten dieses Bedürfnis nicht unterschätzen – sondern es als Einladung verstehen, sich kritisch mit den Schwächen des traditionellen Systems auseinanderzusetzen.
Denn Kryptowährungen erfüllen mittlerweile eine weitere wichtige Funktion: als Korrektiv, das Schwächen des existierenden Systems aufdeckt. Entwicklerinnen und Nutzer werfen wichtige Fragen auf: Welche Funktion sollen digitale Werte in unserer Gesellschaft einnehmen? Wer hat im aktuellen System die Macht – und wer sollte sie haben? Wie kann eine Welt ohne Banken aussehen? Wie können geistiges Eigentum und Urheberrechte mithilfe von Entwicklungen wie NFTs besser geschützt werden? Wer diese pauschal als unnötig abtut, entzieht sich der Diskussion.
Kryptowährungen zwingen Notenbanken zu mehr Innovation
Dabei ist diese unausweichlich. Schon jetzt übt die Kryptowelt einen ungemeinen Innovationsdruck auf die Notenbanken dieser Welt aus und zwingt sie, in einem digitalen Zeitalter auch digitaler zu denken.
Natürlich muss es Notenbanken weiterhin geben. Doch wichtig können auch Instrumente sein, die für deren in Geldfragen absoluten Machtanspruch Grenzen ziehen. Kryptowährungen ermöglichen es, Kritik an der Geldpolitik in digitaler Form auch dann kundzutun, wenn gerade keine Wahlen stattfinden.
Ohne Zweifel bringen auch Kryptowährungen Probleme mit sich. Die Volatilität erschwert in vielen Fällen die Nutzung als alternativer Wertspeicher. Der Zugang ist jenen vorbehalten, die über Internetzugang und internetfähige Geräte verfügen. Wer nicht lesen und schreiben kann, wird auch in der Nutzung abhängig bleiben. Coins, die auf Proof-of-Work Blockchains basieren, schaden der Umwelt. Außerdem gibt es auch innerhalb der Kryptowelt Verteilungsprobleme, starke Machtgefälle sowie eine Geschlechterlücke in der Branche, die sich auf die Entwicklung neuer Instrumente und Smart Contracts auswirkt.
Um die Probleme anzugehen, die Kryptowährungen mit sich bringen, sind fundierte Kritik und eine breite Debatte wichtig – ohne Pauschalurteile.
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