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LeserdebatteMit oder ohne Atomkraft: Wie erreichbar sind die Klimaziele?

Und ist Atomstrom überhaupt zukunftsfähig? Darüber diskutiert diese Woche die Handelsblatt-Leserschaft. Lesen Sie hier eine Auswahl der Leserkommentare.Johanna Müller 07.12.2023 - 13:27 Uhr

Auf der Weltklimakonferenz in Dubai haben 22 Staaten, darunter die USA, Frankreich und Großbritannien, bekannt gegeben, Atomkraft massiv ausbauen zu wollen. Anders seien die Klimaziele nicht zu erreichen, begründen sie. Deutschland, mittlerweile aus der Atomenergie ausgestiegen, unterstützt die Initiative von fast 120 Staaten, den Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 zu verdreifachen.

Wir haben die Handelsblatt-Leserschaft gefragt, ob die Klimaziele auch ohne Atomkraft erreichbar sind und ob Atomstrom überhaupt zukunftsfähig ist.

Die Meinungen gehen stark auseinander. Einige Leserinnen und Leser halten es für richtig, dass sich Deutschland trotz der Energie- und Klimakrise nicht wieder der Atomkraft zuwenden will. Zu groß seien die Risiken für die Umwelt, wenn die Sicherheit eines Atomkraftwerks beispielsweise durch „Krieg“ oder „Extremwetterlagen“gefährdet sei, argumentiert ein Leser.

Hinzu kommt das ungelöste Problem der Endlagerung: Es sei „zweifelhaft“, dass für den strahlenden Abfall für „viele Tausend Jahre“ein sicheres Lager gefunden werden könne, bemerkt ein Leser. Und überhaupt: Für deutsche Atomkraft sei „der Zug abgefahren“, in wenigen Jahren stehen, so hofft ein Leser, neue Arten der Energiegewinnung „im Mittelpunkt“.

Einige Leser befürworten die Atomkraft. So sieht ein Leser in ihr „die einzig permanent und planbar verfügbare Stromerzeugung ohne CO2-Problematik“ und erhält Zustimmung: „Atomstrom verursacht so gut wie kein CO2. Kohle wiederum sehr viel. Gas ebenfalls und ist zudem sehr teuer“, auch gebe es für Wind- und Sonnenenergie „keine sinnvollen Speichertechnologien“, so ein Leser.

Den deutschen Atomausstieg trotz „voll funktionierender Meiler“ bewertet ein Leser rückblickend als „panikartig“ und „vorzeitig“. Ähnlich sieht es ein anderer Leser: Einige Reaktoren hätte man „noch mindestens zehn Jahre zum Übergang zu mehr Ökostrom halten müssen“.

Dass Deutschland trotz dieser Entscheidung nun von EU-Nachbarn Atomstrom einkauft, findet eine Leserin inkonsequent, ein Leser bezeichnet es als „komplett irrsinnig“. Ein anderer Leser hält den Ausstieg zwar für einen großen Fehler, aber: „Der größte Fehler wäre jetzt der Wiedereinstieg.“ Man müsse im „europäischen Rahmen“ ja nicht auf Atomstrom verzichten, für Deutschland sei der „Ausbau der Stromnetze“ nun die bessere Investition.

Für die aktuelle Ausgabe unseres Leserforums haben wir aus den unterschiedlichen Zuschriften eine Auswahl für Sie zusammengestellt.

Ich möchte keinen Atommüll vor der Haustür

„Ich begrüße den deutschen Weg, denn ich möchte weder ein Atomkraftwerk noch Atommüll vor der eigenen Haustür. Der Weg scheint etwas holprig zu sein, was zum Teil an der deutschen Bürokratie liegen dürfte. Der Weg ließe sich sicher leichter beschreiten, wenn auch andere EU-Staaten mitziehen würden. Dann wäre insgesamt mehr Bewegung am Markt für erneuerbare Energien.“
Andreas Danger

>> Lesen Sie auch: Anteil des Atomstroms bricht so stark ein wie nach Fukushima – doch viele Staaten wollen neue AKW

Irrweg für Industriestandort

„Atomstrom verursacht so gut wie kein CO2. Kohle wiederum sehr viel. Gas ebenfalls und ist zudem sehr teuer. Solange es keine sinnvollen Speichertechnologien gibt, ist der deutsche Weg der ‚Transformation‛ mit volatiler Wind- und Sonnenenergie definitiv ein großer Irrweg für einen Industriestandort und wird kaum was an Verbesserungen für die Klimaziele erreichen.

Lediglich den Strompreis wird es nach oben bringen oder für eine Deindustrialisierung sorgen. Letzteres reduziert dann zwar den Strompreis, verursacht aber weitaus mehr Probleme.“
Dennis Könemann

Sinnvolle Ergänzung im Energiemix

„Kernenergie – wenn sicher gebaut und betrieben – ist eine sinnvolle Ergänzung im Energiemix. Allerdings ist für Deutschland der Zug abgefahren, denn selbst bei einer heutigen, politischen Entscheidung pro Kernkraft würde der Bau eines Atomkraftwerks mindestens 20 Jahre dauern – bis dahin ist die jetzige Energiekrise durch konventionelle Maßnahmen (Energie aus Sonne, Wind, Wellen) sowie chemische Umwandlungen (Ammoniak, Methanol, Wasserstoff aus Sonne in fernen Regionen) lösbar. Und nochmals 20 Jahre später steht hoffentlich die Kernfusion im Mittelpunkt neuer Kraftwerkstechnologien.

Kernenergie wäre im Übrigen nicht zwangsläufig billiger als andere Energiequellen, da höhere Sicherheitsrisiken berücksichtigt werden müssen, beispielsweise niedrigere Wasserstände in Flüssen, Hochwasserschutz, höhere Tsunamis, Terrorismus, Kriege, …“
Harald Wilms

Bis es kracht

„Geisterfahrer leben gefährlich. Das gilt für die Politik wie auch im Straßenverkehr. Aber auch auf Autobahnen soll es immer wieder Geisterfahrer geben, die trotz ständigen Gegenverkehrs und Warnhinweisen wie hupen und blinken davon überzeugt sind, sich richtig zu verhalten. Bis es kracht. Nur ist der Schaden bei der Wirtschaftspolitik dann ungleich höher als auf den Autobahnen.“
Manuel Giehr

Es ist jetzt einfach zu spät

„Obwohl ich ein sehr technikaffiner Mensch bin, halte ich die Atomkraft nicht für beherrschbar. Zudem öffnet sie Flanken für die nationale Sicherheit, als mögliches Ziel im Verteidigungsfall (siehe Ukraine) oder für Terroristen in Friedenszeiten. Und zur Mitigation des Klimawandels kommen zusätzliche Kraftwerke schlicht und ergreifend zu spät!“
Frank Albrecht

Wer will die alten Atomruinen?

„Wie kann man an der Atomenergie festhalten? Die Ressourcen sind ähnlich begrenzt wie bei fossilen Brennstoffen, die Endlagerung kann nirgendwo gesichert stattfinden, die Sicherheitslage ist kritisch, vor allem wenn die Bedrohung von außen zunimmt (Kriege, Extremwetterlagen) – und Atomstrom ist ohne Subventionen keinesfalls wirtschaftlich.

Energie ist im Überfluss vorhanden, vor allem durch Sonne und Wind – man müsste nur die Entwicklung insbesondere bei den Speichermöglichkeiten (Wasserstoff, Batterietechnik) deutlich verstärken. Dann wäre Atomstrom bereits in fünf bis zehn Jahren kein Thema mehr – und wer will dann die alten Atomruinen, wer baut sie zurück (und mit welchem Geld)? Welch gewaltige Lobby steht da hinter der Atomenergie, dass diese massiven Nachteile ignoriert werden?“
Günther Sonderwald

Alles falsch gemacht

„Deutschland hat in Bezug auf die Kernkraft alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann.

Der Ausstieg erfolgte aus rein parteitaktischen Erwägungen ohne rationalen Grund. Das immense Zukunftspotenzial in Form von inhärent sicheren Reaktoren mit der Option, Atommüll als Energieträger zu nutzen, wird nicht erkannt. Die einzige permanent und planbar verfügbare Stromerzeugung ohne CO2-Problematik wird nicht genutzt.

Die aktuelle Energiepolitik Deutschlands ist erkennbar ein Irrweg, der schnellstens beendet werden muss, sonst endet er in einer Katastrophe.“
Horst-Dieter Schulz

Kommentar

Eine Renaissance der Atomkraft hilft dem Klima wenig

Klaus Stratmann

Acht Reaktoren zum Übergang

„Die echten Gesamtkosten der Atomkraft inklusive Rückbau und Endlagerung sind sehr hoch und die Sicherheit der viele Tausend Jahre gefährlichen Lager zweifelhaft.

Dennoch ist es extrem dumm, dass Deutschland den vor Fukushima begonnenen Ausstieg rein opportunistisch erheblich beschleunigt hat. Funktionstüchtige, sichere Atomkraftwerke im Inland in der aktuellen Strommangellage abzuschalten, gleichzeitig Atomkraftwerke in vielen EU-Nachbarländern zu haben und sogar deren Strom einzukaufen, ist komplett irrsinnig. Mindestens acht der letzten Reaktoren hätte man noch mindestens zehn Jahre zum Übergang zu mehr Ökostrom halten müssen.“
Thomas Schüller

Moderne Atomkraftwerke sind ausreichend sicher

„Es ist lange her, dass in unserem Nachbarort Wyhl erfolgreich gegen Atomkraft gekämpft wurde. Für dicht besiedeltes Gebiet halte ich das für richtig.

Als Ingenieur halte ich moderne Atomkraftwerke aber auch für ausreichend sichere Technik. Das Greenwashing, das wir Deutschen mit dem Bezug von Atomstrom aus anderen Ländern betreiben, ist schäbig.

Schon vor langer Zeit hat ein Konsortium versucht, mit Hochspannungsgleichstromübertragung gemeinsam finanzierte und produzierte Energie aus zum Beispiel Wüstenzonen, in denen sich Photovoltaik lohnt und Atomkraftwerke unproblematisch wären, zu transportieren. Das wurde politisch nicht ausreichend unterstützt und war angeblich unwirtschaftlich.

Heute, mit der Axt am Baum, wäre es eine Lösung, und es würde Prosperität in Länder spülen, deren Menschen dort fliehen, weil Hilfe zum Brunnenbohren nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist.“
Cay-Oliver Bartsch

Der Abfall ist das Problem

„Solange die dauerhafte und sichere Endlagerung von Atommüll nicht geklärt ist, befürworte ich den Ausstieg!

Dennoch sollte an alternativer Atomenergie-Gewinnung ohne strahlenden Abfall gearbeitet werden (Fusionsreaktoren).“
Manfred Müller

>> Lesen Sie auch unseren Kommentar: Eine Renaissance der Atomkraft hilft dem Klima wenig

Risiken sind einfach zu hoch

„Das Umwelt- und Sicherheitsrisiko von Atomkraftwerken ist einfach zu hoch. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass der gesunde Menschenverstand nicht verhindern kann, Atomkraftwerke als strategische Ziele in die Kriegsführung mit einzubeziehen. Ich bin überzeugt davon, dass sowohl Kriege also auch Klimakatastrophen zunehmen und diese unvorhersehbaren Faktoren in Verbindung mit Atomkraftwerken eine zu explosive Wirkung haben können.

Konsequenterweise sollte Deutschland dann aber auch zügig unabhängig von der (französischen) Atomenergie werden. Sonst bleibt der deutsche Weg in Sachen Atomenergie weiterhin nur eine Farce fürs Volk.“
Larissa König

Ein Fehler jagt den nächsten

„Es war ein großer Fehler, mit der Nutzung der Atomenergie ohne Lösung für die Endlagerung zu beginnen. Ein noch größerer Fehler war der panikartige, vorzeitige Ausstieg aus voll funktionierenden Meilern. Der größte Fehler wäre jetzt ein Wiedereinstieg in Deutschland; dieser Zug ist abgefahren.

Im europäischen Rahmen gesehen muss man nicht auf Atomstrom verzichten – Ausbau der Stromnetze wäre für Deutschland die bessere Investition. Das Endlagerthema ist für Deutschland immer noch nicht gelöst.“
Edgar Ohst

Drei Kraftwerke reaktivieren

„Die Entscheidung, auf Kernenergie zu setzen, wäre richtig. Deutschland sollte wenigstens seine drei zuletzt stillgelegten Kernkraftwerke reaktivieren und so den CO2-Ausstoß aus Kohlekraftwerken reduzieren.“
Hans Joachim Spönemann

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Mehr: ChatGPT – Mehrwert oder Risiko? Anlässlich des einjährigen Jubiläums des Chatbots diskutierte vergangene Woche die Leserschaft. 

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