Kommentar: Warum Diätspritzen besser gegen Ungesundes wirken als Werbeverbote


Es gibt gute Nachrichten im Kampf gegen unnötige Kalorien. Was drohende Werbeverbote, die Nährstoffampel Nutriscore und alle Selbstverpflichtungen über Jahrzehnte nicht geschafft haben, das bewirken die neuen Abnehmspritzen: Lebensmittelhersteller reduzieren ungesunde Zutaten wie Zucker und Fett. Und das ganz von selbst und ohne Murren.
Die Entwicklung läuft gegen die Hersteller. Warum? Unsere Vorliebe für Süßes und Fettiges ist angeboren. Denn beides liefert Energie. Das war in früheren Zeiten überlebenswichtig für die Menschheit. Unsere Konditionierung machen sich Lebensmittelkonzerne zunutze. Mit ungesunden Kalorienbomben verdienen sie viele Milliarden.
Heute machen uns zu viel Fett und Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln krank und verkürzen unser Leben. Bisher jammerten Hersteller von Tiefkühlpizza, Wurst oder Keksen: Verbraucher würden ihre Produkte verschmähen, sobald sie Zucker, Salz oder Fett spürbar reduzieren.
Nun ist es genau umgekehrt: Wer Abnehmspritzen wie Wegovy nutzt, entwickelt nämlich eine ausgesprochene Abneigung gegen extrem Süßes und Fettiges.
Die Folge: Nutzer essen deutlich weniger. Viele berichten gar von regelrechtem Ekel vor Süßkram oder fettiger Pizza. Stattdessen geben Anwender von Diätspritzen mehr Geld für gesündere Lebensmittel wie Gemüse, Hähnchen und Fisch aus.
Lebensmittelindustrie in Alarmstimmung
Produzenten von Süßigkeiten, zuckrigen Getränken, Snacks und Fertiggerichten sind alarmiert. Ihnen drohen die Umsätze einzubrechen. Experten prophezeien massive Folgen für die Nahrungsmittelbranche, sobald Diätspritzen zu einem Massenphänomen werden. Durch Promis wie Kim Kardashian oder Elon Musk sind Abnehmspritzen bereits in kurzer Zeit zum Lifestyle-Medikament avanciert.

Die Sorge ist berechtigt: Schon zum Ende des Jahrzehnts sollen 40 Millionen Menschen weltweit die Spritzen anwenden, erwartet UBS Research. Weil Patente ablaufen, werden die Wirkstoffe günstiger und kommen bald auch in Tablettenform erschwinglich auf den Markt.
Der Kreis potenzieller Abnehmer ist groß: 1,6 Milliarden Menschen sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) übergewichtig, davon 890 Millionen adipös. Die World Obesity Federation schätzt sogar, dass in den nächsten Jahren drei Milliarden Menschen weltweit übergewichtig oder fettleibig sein könnten.
Erste Lebensmittelhersteller wollen nun aus ihrer Not ein lukratives Geschäft machen. Sie entwickeln spezielle Gerichte, die sie als „Begleiter“ für die Abnehmspritze anpreisen. So bringt der Schweizer Konzern Nestlé (Wagner Pizza, Kitkat) in den USA spezifische Tiefkühlkost wie Proteinnudeln, Proteinpizza und Hähnchenbowl auf den Markt.
Die Proteinpizza kostet dabei deutlich mehr als herkömmliche Tiefkühlpizza. Die Fertiggerichte sind mit Ballaststoffen, Eiweiß, Mineralien und Vitaminen angereichert. Laut Nestlé-Chef Mark Schneider sollen sie helfen, den „Verlust an Muskelmasse“ einzudämmen.

Cleveres Marketing: Spezialnahrung für Nutzer von Diätspritzen
Tatsächlich leiden manche Nutzer von Diätspritzen unter Mangelernährung. Allerdings würde eine Extraportion Quark vermutlich genauso Abhilfe schaffen wie eine spezielle Proteinpizza – und dabei deutlich günstiger sein.
Auch Diätspezialisten wie Herbalife steuern notgedrungen um. Ihnen ist das Geschäftsmodell quasi weggebrochen, der Aktienkurs ebenfalls. Denn mit Wegovy, Ozempic und Co. schmelzen die Pfunde deutlich schneller dahin als mit Diätpülverchen. Der Trick: Die Shakes werden nun als „Ergänzung für Abnehmspritzen“ vermarktet.
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Der Strategieschwenk von Nestlé und anderen ist clever. Doch mutiger wäre es, wenn die Hersteller bei allen Lebensmitteln und Getränken endlich unnötige Kalorien reduzieren. Gerade jetzt, wo die Branche über Rekordpreise für Zucker und Speiseöl jammert, wäre doch ein guter Zeitpunkt. Dann wären auch Diätspritzen irgendwann überflüssig.
Erstpublikation: 25.08.2024, 14:22 Uhr





