Morning Briefing: Haftanträge gegen Netanjahu und die Hamas-Spitze – Deutschland protestiert
Tod des iranischen Präsidenten: Seltsames Beileid aus Brüssel
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Irans Präsident Ebrahim Raisi und Außenminister Hossein Amir-Abdollahian sind am Pfingstsonntag bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Raten Sie mal, welche dieser beiden Beileidsbekundungen vom Europäischen Ratspräsidenten Charles Michel stammt!
Vorschlag eins:
„Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der bei dem Hubschrauberabsturz Umgekommenen, darunter Präsident Raisi und Außenminister Abdollahian. Vor allem aber den Angehörigen der vielen unschuldigen Iranerinnen und Iranern, für deren Tod Raisi verantwortlich ist."
Vorschlag zwei:
„Die EU drückt ihr aufrichtiges Beileid zum Tod von Präsident Raisi und Außenminister Abdollahian sowie anderer Mitglieder ihrer Delegation und der Besatzung bei einem Hubschrauberunfall aus. Unsere Gedanken sind bei den Familien.“
Nun, Sie ahnen es wahrscheinlich: Mit Variante zwei hat Michel im Namen der gesamten EU kondoliert. Variante eins habe ich mir ausgedacht, sie hätte meine Gefühlslage zum Tod des „Schlächters von Teheran“ wesentlich besser auf den Punkt gebracht. Seinen Beinamen hat sich Raisi hart erarbeitet, als Staatsanwalt war er einst für zahlreiche Todesurteile gegen Regimekritiker verantwortlich.
Wie man es besser macht, kann Michel von US-Außenminister Antony Blinken lernen. Der übermittelte am Montag in einer schriftlichen Stellungnahme das „offizielle Beileid“ der USA, um dann zu ergänzen:
Wie geht es nun politisch weiter im Iran und in der Golfregion?
Raisi rangierte in der iranischen Hierarchie hinter dem religiösen Führer Ajatollah Ali Chamenei und galt als dessen loyaler Gefolgsmann. Entsprechend rechnen Experten und Politiker nicht mit einem grundsätzlichen Wandel der iranischen Politik. Doch es könne, so Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations „kurzfristig einige Unruhe und Unsicherheit im Innern geben“.
Hauptgrund: Raisi galt als wahrscheinlicher Kandidat für die Nachfolge des 85-jährigen Chamenei, für diese Rolle muss nun ein Ersatzmann gefunden werden. Bis zur Neuwahl des Präsidenten, die für den 28. Juni geplant ist, wird Raisis bisheriger Stellvertreter, der 69-jährige Mohammad Mokhber regieren.
Michels Beileidsbekundung war nicht der einzige kommunikative Akt, der am Pfingstwochenende gründlich verrutschte.
Karim Khan, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), hat gestern eine weitreichende Entscheidung verkündet: Er beantragt internationale Haftbefehle gegen die drei ranghöchsten Hamas-Führer sowie gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen Verteidigungsminister Joaw Galant.
Khan wirft den Hamas-Anführern vor, dass ihre Leute beim Überfall auf Israel am 7. Oktober Zivilisten getötet, gefoltert und vergewaltigt haben. Zugleich sieht Khan hinreichend Beweise dafür, dass die israelische Führung in den Monaten danach bewusst die Zivilbevölkerung im Gazastreifen bombardiert und ausgehungert habe. Es ist das erste Mal, dass der Chefankläger in Den Haag solche Vorwürfe gegen den Regierungschef eines demokratischen Landes erhebt.
Die Richter in Den Haag müssen nun über die Haftbefehle entscheiden. Sollte es zu ihnen kommen, wären Deutschland und die rund 120 weiteren Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs angehalten, Netanjahu und Galant bei einem Besuch festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen. Die beiden israelischen Spitzenpolitiker wären damit in der gleichen Lage wie Russlands Präsident Wladimir Putin, gegen den der Strafgerichtshof im vergangenen Jahr einen Haftbefehl erließ.
Ich hege keine Sympathien für Netanjahu und finde Israels Vorgehen in den besetzten Gebieten in vieler Hinsicht falsch. Aber dass der Premierminister durch die gleichzeitigen Haftanträge nun faktisch mit den Mördern und Vergewaltigern der Hamas auf eine Stufe gestellt wird, halte ich für unangemessen. Schließlich kommt es auch deshalb zu den vielen zivilen Opfern, weil sich die Hamas-Terroristen mit ihren israelischen Geiseln bewusst inmitten der palästinensischen Zivilbevölkerung verstecken.
Das geht offenbar nicht nur mir so. Auch US-Präsident Joe Biden und Netanjahu selbst reagierten empört. Das deutsche Außenministerium übte gestern Abend ebenfalls deutliche Kritik an Khans Vorgehen:
Nach Informationen des Handelsblatts trifft sich die Bundesregierung am Donnerstag, um über den Verbleib von chinesischer Technik im deutschen 5G-Netz zu beraten. Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) sollen demnach an dem Treffen teilnehmen und zeitnah zu einer Lösung kommen. Die Rede war von einer Entscheidung noch vor der parlamentarischen Sommerpause.
Es geht darum, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum Equipment von chinesischen Anbietern wie Huawei aus dem deutschen 5G-Netz entfernt werden muss. Bislang stammen laut Expertenschätzungen zwischen 50 und 60 Prozent der Komponenten in deutschen 5G-Zugangsnetzen aus China. Hintergrund für die Debatte ist die Sorge vor Manipulationen oder einem möglichen Datenabfluss. Zudem gibt es die Befürchtung, dass chinesische Anbieter wie Huawei im Fall eines Konflikts zwischen China und Deutschland das Netzwerk einfach ausschalten könnten.
Meine Washingtoner Kollegin Annett Meiritz hat mich auf einen cineastischen Leckerbissen hingewiesen, der gestern Abend beim Filmfestival in Cannes Premiere feierte: „The Apprentice“ – ein Kinofilm über den jungen Donald Trump im New York der 1980er Jahre. Bilder von Trumps Aufstieg als Geschäftsmann hat man zwar vage im Kopf (Trump in Limousine, Trump am Spiralkabel-Festnetztelefon, Trump vor Wolkenkratzer), doch das Projekt des iranisch-dänischen Filmemachers Ali Abbasi taucht tief in die Details ein, glaubt man ersten Rezensionen.
Besonders passend finde ich die Wahl des Hauptdarstellers: Sebastian Stan verkörpert den jungen Trump. Stan spielte einst in der Filmreihe „Captain America“ den Soldaten James Buchanan, den russische Wissenschaftler einer Gehirnwäsche unterziehen und zum Superagenten „Winter Soldier“ umprogrammieren. Der wird die meiste Zeit tiefgekühlt aufbewahrt und altert daher kaum noch.
Ich wünsche Ihnen einen Tag, an dem nicht alle Fantasien Realität werden.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
PS: Boomer, Generation X, Millennials und Gen Z: Auf der Arbeit prallen die Generationen aufeinander – inklusive der unterschiedlichsten Vorurteile zur Arbeitsmoral. Wir möchten von Ihnen wissen: Was ist dran an den Unterschieden? Beeinflussen diese den Arbeitsalltag überhaupt? Was braucht es, damit die verschiedenen Generationen gut zusammenarbeiten? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an forum@handelsblatt.com.Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag gedruckt und online.