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GastkommentarWie ein Frieden in der Ukraine 2026 beginnen könnte

Was zählt, ist weniger Macht als ein realistischer Blick darauf, was möglich ist. Der schwierigste Punkt entscheidet sich abseits des Schlachtfelds, meinen Guido Stein und Nicolas Schultze. 30.12.2025 - 12:02 Uhr Artikel anhören
Die Autoren: Guido Stein (r.) unterrichtet Management an der IESE Business School in München. Nicolas Schultze studiert an der IESE Business School in München. Foto: AP, IESE Business School, PR [M]

Das jüngste Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist zwar ohne erkennbares Ergebnis geendet. Doch nach fast vier Jahren Krieg in der Ukraine gibt es seit einigen Wochen zumindest Gespräche zwischen den USA, Russland, der Ukraine und Europa zu einem möglichen Friedensabkommen.

Auch wenn viele Beobachter Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland als indirekten Sieg der russischen Aggression werten, so muss man trotzdem überlegen, ob ein Waffenstillstand die bessere Alternative zu weiterem Blutvergießen ist.

Entscheidend ist bei jeder Art von Verhandlung weniger Macht als ein realistischer Blick darauf, was möglich ist. Das gilt in Unternehmen ebenso wie in der großen Politik.

Die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen militärische Stärke kurzfristig beeindruckt, langfristig aber versagt. Der Satz des französischen Staatsmanns Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, man könne mit Bajonetten vieles tun, „nur nicht darauf sitzen“, erinnert daran, dass Gewalt keine stabile Ordnung schafft.

Ein Krieg, der feststeckt

Die Front in der Ukraine bewegt sich kaum noch, die Wintermonate verlangen beiden Seiten viel ab. Material fehlt, Menschen sind erschöpft, die Verluste steigen. Gleichzeitig glaubt Selenskyj weiter an einen vollständigen Sieg, während Putin auf einen zermürbenden Abnutzungskrieg setzt.

Doch Fehlannahmen sind brandgefährlich. Putin plante gleich zu Beginn des Krieges schon Paradeuniformen für den schnellen Sieg, Selenskyj verließ sich auf unbegrenzte westliche Unterstützung. Beide haben sich verkalkuliert.

Europa und die USA haben der Ukraine massiv geholfen – deutlich mehr, als Moskau es je erwartet hätte. Europa, das sich bemüht, bei den Friedensgesprächen mit am Tisch zu sitzen, hat der Ukraine jüngst einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro gewährt.

Allerdings hat auch die amerikanische und europäische Unterstützung für die Ukraine Grenzen. Vor allem hat sie den Nebeneffekt, dass die Ukraine dadurch schwerer zu Kompromissen bereit ist, weil der Eindruck entsteht, am Ende doch siegen zu können. Beide Seiten hängen an Maximalzielen fest.

Russland führt zwar Gespräche, aber ob Putin tatsächlich Interesse an einem Frieden hat, ist völlig unklar.

Donald Trump, der sich nach dem Waffenstillstand in Gaza auch in der Ukraine zum Peacemaker aufschwingen möchte, hat die Dynamik verändert. Er sucht den „Deal“, wo andere feststecken. Genau das könnte ihn – ob man ihn mag oder nicht – zu einer Figur machen, die das aktuelle Patt aufbrechen kann. Ein solcher Vorstoß würde allerdings nur funktionieren, wenn China unter Xi Jinping nicht blockiert, sondern zumindest passiv mitzieht.

Was einen Waffenstillstand realistisch machen könnte

Europa müsste seine Rolle klar definieren: nicht als moralischer Kommentator, sondern als Sicherheitsgarant, Stabilitätsanker und als zentrale Kraft beim Wiederaufbau der Ukraine. Gerade in festgefahrenen Konflikten entstehen Lösungen oft durch Zweckgemeinschaften, nicht durch moralische Reinheit. Und es ist in erster Linie Europa und nicht die USA, das ein Interesse daran hat, dass der Krieg in seiner unmittelbaren Nachbarschaft endet.

Die Alternative? Eine gefährliche Eskalation, etwa durch ukrainische Angriffe tief ins russische Territorium.

Der schwierigste Punkt wird sein, wie beide Seiten einen „Sieg“ erklären können. Putin braucht innenpolitische Stabilität, Selenskyj braucht Sicherheit und eine Perspektive auf eine westliche Zukunft. Zu verlieren haben beide viel.

Ein erster Schritt könnte eine internationale Beobachtermission der Vereinten Nationen sein. Keine Nato, keine einseitigen Bündnisse, sondern ein Mandat, dem beide Seiten zustimmen können. Danach müssten die harten Fragen kommen: territoriale Grenzen, Sicherheitsgarantien, wirtschaftliche Hilfe, der Status von Donezk, Luhansk und der Krim. Verhandeln ist weniger kompliziert als mühsam – die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Einigung.

Nichts davon ist einfach. Die Alternative? Eine gefährliche Eskalation, etwa durch ukrainische Angriffe tief ins russische Territorium. Das wäre ein Punkt, an dem niemand mehr die Kontrolle hätte.

Frieden entsteht selten durch einen großen Moment. Er entsteht durch eine Abfolge kleiner Schritte, durch genug gemeinsame Interessen und durch die Einsicht, dass die Kosten des Weiterkämpfens höher sind als die Kosten des Einlenkens. Heute könnte dieser Moment näher sein, als es scheint.

Die Autoren:

Guido Stein unterrichtet Management an der IESE Business School in München.

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Nicolas Schultze studiert an der IESE Business School in München.

Erstpublikation: 30.12.2025, 08:52 Uhr.

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