Morning Briefing: Mission Machtprobe – Pistorius gegen Lindner im Haushaltsstreit

Generation rechts: Warum junge Wähler jetzt häufiger für AfD und Co. stimmen
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
es gehört zu den Faustregeln des demoskopischen Gewerbes, dass die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien zu einem besonders hohen Anteil aus mittelalten Männern besteht. Nun könnte es an der Zeit sein, diese Erkenntnis zwar nicht zu korrigieren, aber zumindest zu ergänzen.
Bei den unter 30-Jährigen in Deutschland, die eine Parteipräferenz haben und wählen gehen wollen, würden derzeit 22 Prozent für die AfD votieren. Keine andere Partei kommt auf einen so hohen Wert. Methodisch entspricht diese Umfrage im Rahmen der Studie „Jugend in Deutschland“ zwar nicht den klassischen Sonntagsfragen, was ihr einige Kritik einbrachte. Doch andere Befragungen lassen eine ähnliche Tendenz beobachten: Bei jungen Wählerinnen und Wählern ist das Tabu, AfD zu wählen, längst nicht mehr so ausgeprägt wie in den Generationen darüber.
Ein Trend, der sich nicht nur in Deutschland zeigt, sondern in vielen europäischen Staaten. Und der bei den Europawahlen im Juni zu einem deutlichen Rechtsruck im EU-Parlament führen dürfte. Ein Handelsblatt-Team hat sich zwischen Berlin und Lissabon auf die Suche nach der „Generation rechts“ und ihren Beweggründen gemacht.
Was mich an den Rechercheergebnissen besonders verblüfft hat: Wie verhältnismäßig wenig die Zustimmung junger Menschen zu rechtspopulistischen Parteien offenbar an den objektiven Lebensumständen hängt. Die „Generation rechts“ wächst nicht nur dort, wo es prekär zugeht, sondern auch in Ländern mit einem engmaschigen sozialen Netz wie zum Beispiel in Schweden.

Die Anthropologin Julia Ebner, die zu rechtem und islamistischem Extremismus forscht, sagt dazu im Handelsblatt-Interview: „Für den Erfolg von rechten Bewegungen ist es nicht entscheidend, ob eine Ungerechtigkeit objektiv besteht oder nur subjektiv empfunden wird.“
In der rechten Kommunikation würden daher bewusst häufig Beispiele aus anderen Ländern verwendet, um Ängste auszulösen und zu fragen: „Wird es bei uns bald auch so aussehen?“
Ebner hat meiner Kollegin Annika Keilen und mir auch erzählt, warum es zwischen Islamisten und Rechtsextremen mehr Gemeinsamkeiten gibt, als beide Gruppierungen gemeinhin wahrhaben wollen.
Bei seinem Auftritt auf dem Digitalwirtschaftskongress OMR in Hamburg am Mittwoch schien Christian Lindner bester Stimmung. Als er nach dem Bundeshaushalt gefragt wurde, witzelte der FDP-Bundesfinanzminister: „Vor ein paar Jahren war die OMR klein und die FDP hatte Einfluss, heute ist es umgekehrt."

Zwei Sätze, die Boris Pistorius so wahrscheinlich nicht stehen lassen würde. Denn immerhin hat Lindner noch genug Einfluss, um mit seinem Beharren auf der Schuldenbremse dem SPD-Verteidigungsminister das Leben schwer zu machen.
Pistorius hingegen sieht rechtlichen Spielraum, um die Schuldenbremse neu zu interpretieren: Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung können aus seiner Sicht von der Regel ausgenommen werden. Das gelte für Rüstung ebenso wie für den Bevölkerungs- und Zivilschutz, schreibt Pistorius in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.
Lindner widerspricht: Pistorius zeige leider nur die Option auf, Sicherheit durch Schulden zu schaffen, doch: „Der bessere Weg ist, in unserem großen Staatshaushalt Geld umzuschichten und die Wirtschaft in Fahrt zu bringen.“
Auch andere Ministerien verlangen mehr Geld für den Bundeshaushalt 2025. Um den Spardruck zu erhöhen, hat Linder bereits die Zustimmung zum geplanten Rentenpaket der Bundesregierung verweigert. Daran, wie der Haushaltsstreit ausgeht und ob am Ende Schuldenbremse und Koalition noch stehen, dürfte sich entscheiden, ob Lindners Bemerkung auf der OMR Koketterie bleibt oder doch noch zur Realität wird.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bekräftigt, dass sich Israel angesichts internationaler Kritik am Gaza-Krieg notfalls auch alleine verteidigen werde. „Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen“, sagte Netanjahu in einer am Donnerstag veröffentlichten Videobotschaft. Falls nötig, werde Israel „mit seinen Klauen“ kämpfen und siegen. Es war Netanjahus erste öffentliche Äußerung nach einer Drohung aus den USA, die Waffenlieferungen an Israel einzuschränken.
US-Präsident Joe Biden hatte im Nachrichtensender „CNN“ gesagt: Falls Israels Militär für eine Offensive in dicht bevölkerte Teile der Stadt Rafah einmarschiere, werde das Konsequenzen bei den Waffenlieferungen haben. Für eine umfassende Invasion werde er nicht die Waffen bereitstellen.
Nach der US-Ankündigung hat Verteidigungsminister Pistorius erklärt, dass die Bundesregierung über ähnliche Schritte nachdenke. „Darüber wird gegenwärtig beraten“, sagte der SPD-Politiker im „heute journal“. Allerdings liege die Zuständigkeit dafür beim Kanzleramt und beim Auswärtigen Amt.
Der chinesische Präsident Xi Jinping hat auf der letzten Station seiner Europa-Reise am Donnerstag in Budapest mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban eine „umfassende strategische Partnerschaft“ zwischen beiden Ländern vereinbart. Die Inhalte dieser Partnerschaft blieben allerdings eher vage. Orban erwähnte lediglich, dass Ungarn und China künftig auch im Bereich der Nuklearindustrie zusammenarbeiten wollten. Details gab's keine.
Dass mein Plädoyer gegen eine Rückkehr der Wehrpflicht im Morning Briefing vom Mittwoch einige Emotionen schüren würde, hatte ich geahnt. Aber dann war ich doch überrascht von der Vielzahl Ihrer Zuschriften, liebe Leserinnen und Leser. Kalt zu lassen scheint das Thema kaum jemanden. Stellvertretend hier der Ausschnitt aus einer kritischen Lesermail:
„Einfach zu schreiben, der jungen Generation würden einseitig Lasten und Zwänge aufgebürdet, zeugt von Vergesslichkeit. Ist Ihnen entgangen, dass von denjenigen männlichen Mitbürgern, die heute 55 Jahre oder älter sind, jahrgangsabhängig zwischen 80 bis 90 Prozent (Tauglichkeit vorausgesetzt) Wehrdienst, Zivildienst oder Wehrersatzdienst geleistet haben?"
Ein anderer Leser schreibt mir in seiner Mail:
„Ich denke, dass es wieder ein Zugewinn für unsere Gesellschaft wäre, ein soziales Jahr oder wie immer man es nennen möchte, einzuführen. Wir hätten – wenn auch nur temporär – Menschen, die sich bei gesellschaftlichen Aufgaben einbringen.
Es gab aber auch Zustimmung, zum Beispiel von diesem Leser:
„Ich bin entsetzt über die Leichtgläubigkeit, mit der die Wiedereinführung der Wehrpflicht als möglicher Rettungsanker für die Bundeswehr gesehen wird. Wenn die Attraktivität von Berufen nicht ausreicht, macht man sie nicht dadurch besser, dass man sie unter Zwang ausüben lässt."
Und eine Leserin schreibt:
„Wie kann man so Politik auf Kosten der jungen Menschen machen und sich dann über Demokratie-Verdrossenheit beschweren – ich meine die Wehrpflicht-Wiedereinführung."






Allen, die meine ablehnende Meinung zum Thema Wehrpflicht nicht teilen, empfehle ich den Kommentar, den mein Handelsblatt-Kollege Frank Specht zum Thema geschrieben hat. Er vertritt die gegenteilige Meinung von meiner, und deshalb habe ich seinen Text besonders gerne gelesen. Der Wahrheit kommt man nur durch Widerspruch und Zuhören näher.
Ich wünsche Ihnen einen Brückentag, an dem Sie Brücken bauen.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt





