Morning Briefing: Neue Zahlen zum Gehaltsplus: Keine Lohn-Preis-Spirale in Sicht
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Volkswirtschaftslehre und Volksempfinden liegen bei keinem anderen Thema so weit auseinander wie bei steigenden Gehältern. Der Angestellte denkt: „Endlich mehr Geld“. Der Nationalökonom denkt: „Aber die Lohn-Preis-Spirale!“
Zumindest nominal steigen die Gehälter, und zwar kräftig. Unternehmen in Deutschland mussten für Löhne und Gehälter im Oktober im Schnitt 7,1 Prozent mehr bezahlen als noch vor einem Jahr. Das geht aus einer Auswertung der Jobplattform Indeed und der irischen Zentralbank hervor, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Deutschland verzeichnet damit den höchsten Anstieg unter den verglichenen sechs großen Euro-Staaten sowie Großbritannien. In Frankreich etwa zogen Löhne und Gehälter um fünf Prozent an, in Spanien nur um 3,5 Prozent.
Mehr Geld gibt es vor allem in jenen Branchen, in denen die Beschäftigten eher nicht im Porsche zur Arbeit fahren. In den Bereichen Reinigung, Gastronomie, sozialer Dienst, Logistik und Kundenservice sind die Löhne zuletzt stärker als die Inflation gewachsen.
Die Ursachen:
- Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro
- Zunehmende Knappheit von Arbeitskräften generell
- Höhere Lohnforderungen wegen steigender Preise
Die Statistik zeigt aber auch: Für viele Beschäftigte gab es zwar nominal ein Gehaltsplus, angesichts der Inflation von zuletzt 10,4 Prozent haben sie real trotzdem weniger zum Leben. Wahrscheinlich erklärt das auch die gelassenen Reaktionen der Wirtschaftsforscher. Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, sagt mit Blick auf eine Lohn-Preis-Spirale: „Das gibt die Datenlage nicht her.“
Entscheidend sind laut Hüther wegen der großen Zahl der dort Beschäftigten die Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie sowie im öffentlichen Dienst. Erst wenn diese Abschlüsse dauerhaft über der Inflation lägen, drohe Gefahr, dass Löhne und Preise sich gegenseitig hochschaukeln. Die IG Metall fordert rund acht Prozent mehr Lohn, Verdi und Beamtenbund wollen bei Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr erwirken.
Bei den Parlaments- und Gouverneurswahlen in den USA schließen in diesen Stunden die letzten Wahllokale in Alaska und auf Hawaii. Nach mehreren Stunden Auszählung in vielen Bundesstaaten gibt es bei den Zwischenwahlen bisher noch keinen klaren Trend. Weder die zuvor in Umfragen leicht favorisierten Republikaner noch die sowohl den Senat als auch das Repräsentantenhaus kontrollierenden Demokraten konnten die „Midterms“ bisher deutlich für sich entscheiden. Nach einem Erdrutschsieg für eine der beiden Parteien sieht es bisher nicht aus, eine endgültige Entscheidung könnte sich wochenlang hinziehen.
Der Republikaner Ron DeSantis konnte in Florida aber bereits einen großen Erfolg einfahren. Der 44-Jährige gewann in dem bevölkerungsreichen Bundesstaat deutlich die Gouverneurswahl. DeSantis werden Ambitionen auf die US-Präsidentschaft nachgesagt.
Die Krise der Kryptowährungen hat in den vergangenen Monaten bereits zu einer ganzen Reihe von Insolvenzen geführt. Nun beschert sie auch dem Milliardär Sam Bankman-Fried eine schmerzliche Niederlage: Der Gründer der Kryptobörse FTX muss große Teile seines Unternehmens verkaufen, wie er gestern mitteilte. Das sei nötig geworden, um einen „Bankrun“ und damit eine Liquiditätskrise zu stoppen. FTX ist die drittgrößte Kryptobörse der Welt und soll nun von Marktführer Binance übernommen werden. Ausgenommen von der Übernahme sei allerdings das US-Geschäft von FTX, das als separates Unternehmen geführt wird, betonte Bankman-Fried. Branchenkennern zufolge könnte das wichtig sein, um US-Regulierer zu besänftigen.
Die FTX-Übernahme führte zu einer neuen Ausverkaufswelle an den Kryptomärkten. Der Bitcoin fiel am Dienstagabend um über zehn Prozent auf 18.499 Dollar. Das sorgte auch für Probleme bei der Kryptobörse Coinbase. Sie meldete in verschiedenen Ländern Ausfälle. Der Aktienkurs von Coinbase gab im New Yorker Handel um über 14 Prozent nach.
Angesichts des anschwellenden Wehklagens aus den Krypto-Katakomben kommt mir die Börsenweisheit von Altmeister Warren Buffett in den Sinn: „Wenn das Wasser sinkt, sieht man, wer keine Badehose anhat.“
Gehören Sie auch zu jenen Menschen, die tagsüber den wohltemperierten Liberalen geben und sich in gewissen Nächten zum ginblütigen Royalisten wandeln? Dann werden Sie wahrscheinlich heute Abend vor dem Fernseher sitzen, um auf Netflix die neue Staffel von „The Crown“ zu „bingen“, wie man in weniger royalen Kreisen zu sagen pflegt. In den neuen Folgen der Erfolgsserie geht es um die peinlichsten Jahre der britischen Monarchie, mit der Scheidung des heutigen Königs Charles III. von seiner ersten Frau Diana als Höhepunkt.
Dass sich die Windsors von diesem Desaster wieder erholt haben, macht selbst einem Turnaround-Kandidaten wie Galeria Karstadt Kaufhof noch Hoffnung.
Ich wiederum werde heute Abend allerdings nicht mit einem Gläschen Pimm’s vor dem Fernseher sitzen, denn über der Krone steht eine noch heiligere Pflicht: die Arbeit am nächsten Morning Briefing.
Ich wünsche Ihnen einen königlichen Tag!
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
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