Morning Briefing: „Taschenspielertricks“ – ein Asylchaos ganz ohne Flüchtlinge

Eklat: Wie es nach dem geplatzten Migrationsgipfel weitergeht
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
das Wort „Asylchaos“ erhielt in den vergangenen 24 Stunden eine völlig neue Bedeutung. Auslöser war diesmal nicht der angebliche oder tatsächliche Ansturm auf Deutschlands Grenzen, sondern der Hickhack der Berliner Politik. Erst verkündet Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag überraschende Kontrollen an allen deutschen Grenzen und stellt nicht näher definierte „Zurückweisungen“ in Aussicht. Die sollen aber erst den Vertretern der oppositionellen Union erläutert werden, bevor die Bürgerinnen und Bürgern Details erfahren dürfen.
Dann hält es der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bis wenige Stunden vor Beginn des „Migrationsgipfels“ am Dienstag offen, ob seine Partei teilnimmt. Am Ende erscheinen die Unionsvertreter, allerdings nur, um das Treffen wieder zu verlassen, als sie zu hören meinen: Die von der Union geforderten Zurückweisungen von Asylbewerbern an der Grenze soll es doch nicht geben.
Was die Ampel konkret plant: Migranten, die anderswo in der EU schon einen Asylantrag gestellt haben, sollen durch die Kontrollen bereits an der Grenze herausgefischt werden und dann in einem beschleunigten Verfahren in die für sie zuständigen Staaten zurückgebracht werden. Bis es so weit ist, sollen die Migrantinnen im „grenznahen Raum“ festgehalten werden. Das könne ein nahegelegenes Gefängnis sein, oder eine „feste Zuweisung und Wohnsitzauflage“. So will die Bundesregierung verhindern, dass die Flüchtlinge vor einer Abschiebung untertauchen.
Klingt schlüssig, die entscheidende Frage lautet aber: Lohnt sich für diese Verfahrensvereinfachung der enorme Aufwand der festen Grenzkontrollen? Innenministerin Faeser sagt jetzt schon, dass es „dazu mehr Personal braucht, damit die Bundespolizei das auch dauerhaft stemmen kann.“

Zur Erinnerung: Der Messerattentäter von Solingen hätte auch ohne Grenzkontrollen in sein Erstregistrierungsland Bulgarien abgeschoben werden können. Die deutschen Behörden hatten es allerdings versäumt, den Fall mit dem nötigen Nachdruck zu verfolgen.
Am Abend warf Bundeskanzler Olaf Scholz Merz in drastischen Worten vor, den Abbruch des Gesprächs von Anfang an geplant zu haben – was Merz bestreitet.
Scholz über Merz: „Charakter, Ehrlichkeit und Festigkeit sind für dieses Land gefragt. Und nicht solche kleinen Taschenspielertricks und Provinzbühnenschauspielerei. “ In etwas freundlicheren Worten sieht es Handelsblatt-Politikchef Moritz Koch in seinem Kommentar ähnlich.
Merz wiederum attestierte der Ampel: „Die Bundesregierung ist handlungsunfähig und führungslos.“
Deutlich gemäßigter schrieb Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf „X“: „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein“
Merz solle in einem weiteren Treffen mit dem Kanzler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner selbst verhandeln.
Vorstandschef Manfred Knof verlässt die Commerzbank Ende 2025 nach nur fünf Jahren. Der 60-Jährige teilte Aufsichtsratschef Jens Weidmann mit, dass er seinen bis Ende Dezember 2025 laufenden Vertrag erfüllen werde, aber darüber hinaus der Commerzbank nicht mehr zur Verfügung stehe.

Nach Knofs Rückzug hat Finanzvorständin Bettina Orlopp gute Karten, den Vorstandsvorsitz zu übernehmen. Die 54-Jährige genießt im Aufsichtsrat hohes Ansehen. Einen Automatismus, dass Orlopp Chefin werde, gebe es aber nicht, erfuhr Handelsblatt-Bankenreporter Andreas Kröner.
Die US-Beteiligungsfirma GTCR befindet sich laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg in fortgeschrittenen Gesprächen über eine mögliche Übernahme des deutschen Generikaherstellers Stada. Dabei sei eine Bewertung von etwa zehn Milliarden Euro für Stada im Gespräch. Die derzeitigen Eigentümer von Stada, die Private-Equity-Firmen Bain Capital und Cinven, könnten laut Bloomberg aber auch noch andere Alternativen wie einen Börsengang verfolgen.
Bald gehen in Deutschland die Heizungen an. Die gute Nachricht: Angst, dass das Gas knapp wird, muss in diesem Winter niemand haben. Die Gasspeicher in der EU sind im Schnitt zu 93 Prozent gefüllt. Dennoch warnen Experten vor starken Preisschwankungen, denn seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine reagieren die europäischen Gaspreise empfindlich auf kleinste Produktionsstörungen.
2021, also vor dem Ukrainekrieg, war Russland mit einem Anteil von rund 45 Prozent der europäischen Gasimporte der wichtigste Gaslieferant. Mittlerweile kommen fast 30 Prozent der Lieferungen aus Norwegen. Schiffslieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den USA machten im vergangenen Jahr knapp 20 Prozent der EU-Gasimporte aus.
Nach einem Brand im Duisburger Werk des Grillo-Konzerns stand gestern eine schwarze Rauchwolke über dem Norden der Stadt. In einer Warnmeldung forderte die Stadt dazu auf, zu Hause zu bleiben und Fenster und Türen zu schließen. Der Vorstandschef des Unternehmens, Ulrich Grillo, gab am Abend vorläufige Entwarnung: „Nach jetzigen Erkenntnissen ist keine Gefahr in der Rauchwolke“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse in den nächsten Tagen entscheiden, ob und wie lange die Produktion ausgesetzt werde.
Falls Sie sich jetzt fragen, woher Sie den Namen Ulrich Grillo kennen: Der Familienunternehmer war von 2013 bis 2016 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

Im Anschluss an die Warnungen der vergangenen Woche hat das Volkswagen-Management Ernst gemacht und die Jobgarantie für die rund 120.000 Beschäftigten des Autokonzerns gekündigt. Ein entsprechendes Schreiben ging bei der Bezirksleitung der IG Metall in Hannover ein. Demnach kündigte VW neben der Beschäftigungssicherung auch die Übernahmeverpflichtung für ausgelernte Azubis, VW-interne Regelungen zur Leiharbeit und den sogenannten Tarif Plus, die höchste Vergütungsgruppe im VW-Haustarifvertrag. Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo reagierte kampfeslustig:
Angesichts der Krise bei Volkswagen hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil eine Wiederauflage der Kaufprämie für Elektroautos gefordert. Diese neue Prämie solle aber nicht für den US-amerikanischen Autobauer Tesla oder den chinesischen Hersteller BYD gelten, sondern für Fahrzeuge aus deutscher Produktion, sagte der SPD-Politiker der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“: „Dafür müssen wir Lösungen finden, die dem europäischen Wettbewerbsrecht entsprechen.“
Falls das juristisch zu anspruchsvoll wird, hier eine radikale Alternatividee: Volkswagen könnte sich an der Produktion von Elektroautos versuchen, die technisch und preislich besser sind als die von Tesla.
Ich wünsche Ihnen einen kompetitiven Mittwoch.
Herzliche Grüße,
Ihr






Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
PS: In der Nacht hat unser Team in den USA für Sie die Fernsehdebatte zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump verfolgt. Wenn Sie wissen möchten, wer sich wie geschlagen hat: Hier finden Sie die Antwort...





