Morning Briefing: Wie Belgrad sein Lithium im Machtpoker mit der EU einsetzt
Trump-Äußerung lässt Chip-Kurse einbrechen
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
bislang hat die Aussicht auf einen Wahlsieg von Donald Trump die Aktienkurse eher steigen lassen. Die Finanzmärkte feierten die Aussicht auf noch mehr schuldenfinanziertes Wachstum, niedrigere Steuern und geschredderte Umweltauflagen in den USA. In solchen Dingen kann der Kapitalismus ethisch sehr genügsam sein.
Dass es mit Trump an der Börse auch abwärts gehen kann, zeigte sich gestern: Die Aktien der weltgrößten Halbleiterkonzerne sind am Mittwoch massiv unter Druck geraten. So verloren die Papiere von Branchenführer Nvidia an der Wall Street zeitweise mehr als sechs Prozent. Die Aktien des Rivalen AMD gaben sogar um mehr als neun Prozent nach, der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC rutschte um sieben Prozent ab. Die größten Einbußen musste ASML hinnehmen. Der Kurs des niederländischen Anlagenbauers für Chipfabriken fiel um gut zehn Prozent.
Ein Grund für den Absturz: Trump lässt Zweifel daran aufkommen, dass die USA unter seiner Präsidentschaft Taiwan gegen einen chinesischen Angriff verteidigen würden. Der republikanische Präsidentschaftskandidat sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg über Taiwan: „Sie haben etwa 100 Prozent unseres Chipgeschäfts übernommen. Ich denke, Taiwan sollte uns für die Verteidigung bezahlen.“
Ohne die Lieferungen aus Taiwan stünden weite Teile der Halbleiterbranche in wenigen Tagen still. Eine Chipaktie lag am Mittwoch entgegen dem Trend im Plus: Die Papiere von Intel gewannen knapp fünf Prozent an Wert. Das könnte daran liegen, dass der Konzern im Gegensatz zu den größten Rivalen eigene Werke betreibt und weniger abhängig ist vom Auftragsfertiger TSMC in Taiwan.
Fairerweise sei angemerkt: Neben Trumps Äußerung könnte noch eine Reihe von weiteren Faktoren den Kursrutsch verstärkt haben, etwa die allgemein steigende Skepsis gegenüber Tech-Aktien oder die Aussicht auf neue Sanktionen der USA gegen China, die das Geschäft der Chipkonzerne ebenfalls beeinträchtigen würden.
Diese Nachricht dürfte die Kurse der EU-Autohersteller eher steigen lassen: Die europäische Autoindustrie soll exklusiven Zugriff auf die Lithium-Vorkommen Serbiens erhalten. Kanzler Olaf Scholz trifft sich am Freitag mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maroš Šefčovič in Belgrad. Dort soll eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet werden.
Der Rohstoff Lithium wird für Batterien gebraucht und gilt als zentral für die Elektromobilität. Bis 2040 werde sich der globale Bedarf verneunfachen, schätzt die Internationale Energieagentur. Bislang kontrolliert China einen Großteil der Wertschöpfungskette.
Im Gespräch mit dem Handelsblatt bestätigt Serbiens Präsident den Deal: „Die EU braucht Lithium und wir wollen unsere Verbindung zur EU stärken.“
Er verspricht, dass Serbien jährlich 58.000 Tonnen Lithium abbauen könne. Dies reiche in Summe für 1,1 Millionen Elektroautos: „Wir werden also in der Lage sein, rund 17 Prozent des europäischen Marktes zu versorgen.“
Auch die Chinesen hätten „sehr klar ihr Interesse zum Ausdruck gebracht, dass sie Zugang zu den Lithium-Vorkommen haben wollen“, so Vučić. „Wir haben ihnen aber mitgeteilt, dass wir dieses Thema mit den Europäern diskutieren“, es gebe in Sachen Lithium keine Gespräche mit China.
Die Wertschöpfung wolle Serbien so weit wie möglich im eigenen Land halten: „Daher wollen wir die Produktion von Batterien in Serbien ansiedeln und nur einen Teil des Lithiums als Rohstoff verkaufen. Über diesen Weg wollen wir uns als Standort für die Autoproduktion stärker ins Spiel bringen.“
Hintergrund: Vučić möchte sein Land in die EU führen und sich deshalb gut mit Berlin und Brüssel stellen. Doch es kommt immer wieder zu Spannungen, so kritisierte Deutschland die letzten Wahlen in Serbien als „irregulär“. Serbien beteiligt sich zudem nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland und pflegt auch enge Kontakten zu China.
Ein vom US-Militär errichteter Behelfshafen an der Küste des Gazastreifens für Hilfslieferungen an die palästinensische Bevölkerung wird endgültig abgebaut und in die USA zurückgebracht. Damit endet eine Mission, die wiederholt durch schlechtes Wetter und Sicherheitsprobleme zurückgeworfen wurde. Kritiker sahen in dem Pier, dessen Bau laut Pentagon rund 300 Millionen Dollar kostete, eine Zeit- und Geldverschwendung. Sie beklagen, dass das Ziel verfehlt worden sei, genügend Hilfsgüter über die Anlegestelle in den Gazastreifen zu liefern, um eine drohende Hungersnot zu verhindern. Zudem habe das Projekt den Druck von Israel genommen, mehr Grenzübergänge für Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu öffnen.
Es gibt wieder Zinsen, vor allem in den USA. Dadurch geraten Anleihen zurück in den Fokus der Investoren. Sophia Ferguson, leitende Anleiheexpertin bei Goldman Sachs Asset Management, findet im Gespräch mit dem Handelsblatt vor allem US-Unternehmensanleihen interessant, die an der Grenze zwischen starker und schwächerer Kreditqualität liegen. Also bei Ratings mit den Noten BBB, was noch Investmentgrad ist, und BB, was zum Hochzinsmarkt gehört, der in den vergangenen Jahren insgesamt an Kreditqualität gewonnen hat. Mit solchen Anleihen lässt sich ein deutliches Zinsplus gegenüber US-Staatsanleihen erzielen, bei laut Ferguson noch vertretbarem Ausfallrisiko.
Hier noch eine Meldung, die mich persönlich bewegt: Die Stadtsparkasse Wunstorf nimmt Fusionsgespräche mit der benachbarten, deutlich größeren Sparkasse Hannover auf und begründet den Schritt mit fehlendem Personal. Wegen des Fachkräftemangels könnten vakante Stellen oft nicht zeitnah neu besetzt werden. Auch leitende Mitarbeiter hätten sich für einen anderen Werdegang entschieden.
Die Sparkasse Wunstorf, eine der kleinsten in Deutschland, hat lediglich knapp 80 Beschäftigte, sodass schon wenige nicht besetzte Jobs sie stark einschränken. Der Personalengpass ist so verheerend, dass Beschäftigte der Sparkasse Hannover bereits seit einigen Wochen in Wunstorf aushelfen.
Am Gymnasium in Wunstorf habe ich Abitur gemacht. Unsere Schülerzeitung hatte bei der Stadtsparkasse ihr Konto, und die Bareinzahlung der Verkaufserlöse (30 Pfennig pro Exemplar) brachte das Schalterpersonal schon damals an die Kapazitätsgrenze. Auch das obligatorische Bewerbungstraining, das die Stadtsparkasse an unserer Schule anbot, ergibt im Rückblick Sinn. Wenn ich mich richtig erinnere, lautete eine Kernaussage: Nur eine Sparkassenlehre könne uns zuverlässig vor der Massenarbeitslosigkeit bewahren. Offenbar haben nicht genug von uns auf den Rat gehört.
Falls nun die eine oder andere Finanzfachkraft darüber nachdenkt, der kleinen Stadtsparkasse noch schnell mit einer Initiativbewerbung aus der Patsche zu helfen: In Wunstorf lässt es sich prima leben. Man muss dort auch keineswegs auf alle Gewohnheiten aus der Frankfurter oder Londoner City verzichten – in der Wunstorfer Fußgängerzone gibt es inzwischen sogar eine Sushibar.
Ich wünsche Ihnen einen gut gerollten Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt