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Morning BriefingZukunft der Ampel – Ein Dokument wie ein Türstopper

Christian Rickens 04.11.2024 - 06:42 Uhr Artikel anhören
Handelsblatt Morning Briefing

Papier des Finanzministers: Was erlauben Lindner?

04.11.2024
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Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

ist es nun ein „Scheidungspapier“ für die Ampel, das da am Freitag aus dem Finanzministerium in die Öffentlichkeit gelangte? Oder ein normaler politischer Debattenbeitrag, als den ihn Autor Christian Lindner verstanden wissen will?

Die Antwort aus meiner Sicht: Das Dokument kann beides sein. Vor allem handelt es sich bei den 18 Seiten mit angebotspolitischen Forderungen (Steuern runter, Bürokratie abbauen, CO2-Ausstieg strecken) um eine Art Türstopper, mit dem sich der Bundesfinanzminister Optionen offen hält: entweder in der Koalition zu bleiben oder jederzeit einen Grund zum Ausstieg zu haben, weil, oh Wunder, Grüne und Sozialdemokraten nicht über Nacht von ihren eigenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen abrücken mögen.

Welche Option wird er wählen?

Das wichtigste Ziel des FDP-Vorsitzenden Lindner ist es, bei der nächsten Bundestagswahl seine Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven. Im Moment steht sie in Umfragen bei vier Prozent. Das reicht nicht, um Neuwahlen riskieren zu können. Ob es der FDP eher hilft, wenn sie auf Konfrontationskurs geht und die Ampel vorzeitig platzen lässt, oder ob es ihr in der Wählergunst vielleicht sogar schadet: Das ist die entscheidende Frage, auf die – nach allem, was man hört – auch im Hans-Dietrich-Genscher-Haus niemand eine sichere Antwort hat. Die Liberalen werden sehr aufmerksam registrieren, ob das Lindner-Papier die Nadel bei der Sonntagsfrage bewegt.

Steht die Ampel-Koalition vor dem Ende? Foto: dpa

Um diesem politischen 3D-Schach noch eine Dimension hinzuzufügen: Ein Ampel-Aus ist keineswegs gleichbedeutend mit Neuwahlen. Ob es zu denen kommt, hat nur eine Person in der Hand: der Bundeskanzler. Er kann im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, die er ohne die Stimmen der FDP wohl verlieren würde. Aber er kann auch ohne parlamentarische Mehrheit weiterregieren. Abgesetzt werden kann er vom Bundestag nur, wenn das Parlament gleichzeitig einen neuen Kanzler wählt („konstruktives Misstrauensvotum“). Dafür ist keine Mehrheit in Sicht.

Deshalb kommt der derzeitigen Diskussion über den Bundeshaushalt 2025 so eine Bedeutung zu: Die Verabschiedung dieses Haushalts ist das letzte Vorhaben, zu dem Olaf Scholz zwingend eine eigene parlamentarische Mehrheit braucht. Gibt es hier keine Einigung, führt an Vertrauensfrage und Neuwahlen kaum ein Weg vorbei. Ist der Haushalt hingegen verabschiedet, kann Scholz auch ohne Mehrheit bis zum regulären Wahltermin in elf Monaten weiterregieren.

In Gesprächen mit Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck will Scholz nun ausloten, ob sich beim Haushalt ein Kompromiss finden lässt. Der lässt sich in der Politik bekanntlich immer finden, wenn ihn denn alle Beteiligten finden wollen. Am Mittwochabend kommt dann der Koalitionsausschuss im Kanzleramt zusammen, dem auch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden angehören.

Bei den Wahlen in den USA steht zwar der Termin fest – morgen – aber sonst sehr wenig. Die Umfragen zeigen weiterhin ein nahezu perfektes Patt zwischen Donald Trump und Kamala Harris. In einer solchen Situation entscheidet erfahrungsgemäß die Wahlbeteiligung: Es gewinnt, wer seine potenziellen Wählerinnen und Wähler auch tatsächlich zur Stimmabgabe bewegt.

In Umfragen sind Trump und Harris quasi gleich auf. Foto: Imago, AP

Ihren bisherigen Vorsprung im wichtigen Swing State Pennsylvania mit seinen 19 Wahlmännerstimmen hat Harris laut jüngsten Umfragen eingebüßt. Doch dafür sorgte am Wochenende eine Umfrage aus Iowa für Aufsehen. Der Staat mit seinen sechs Wahlmännerstimmen galt eigentlich als sicher republikanisch. Nun sieht eine gut beleumundete Umfrage Harris vor Trump. Demnach kommt Harris in Iowa auf 47 und Trump auf 44 Prozent.

Den Endspurt im US-Wahlkampf können Sie unserem Newsblog verfolgen.

Neben dem Präsidenten oder der Präsidentin werden am Dienstag auch beide Kammern des US-Parlaments neu gewählt. Genauer gesagt: alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 34 der 100 Sitze im Senat. Auch hier wird es knapp, wobei nach Einschätzung unserer Washington-Korrespondentin Annett Meiritz einiges darauf hindeutet, dass sich die bisherigen Mehrheitsverhältnisse umkehren könnten: Die Mehrheit im Repräsentantenhaus könnte von den Republikanern zu den Demokraten wechseln, die im Senat von den Demokraten zu den Republikanern.

Kapitol in Washington: Auch beide Kammern des US-Parlaments werden am Dienstag in Teilen neu gewählt. Foto: picture alliance / AP Images

Solch ein gespaltenes Parlament würde für den neuen Präsidenten oder die neue Präsidentin eine schwere Hypothek bedeuten: Statt durchzuregieren, müsste er oder sie nach Kompromissen mit der jeweils gegnerischen Partei suchen. Und das ist zwischen Republikanern und Demokraten noch schwieriger als zwischen Habeck und Lindner.

Ein geteilter Kongress nach einer Präsidentschaftswahl wäre eine Anomalie in der jüngeren Geschichte. Bisher hat jeder Präsident der vergangenen 30 Jahre sein Amt angetreten, als seine Partei sowohl den Senat als auch das Repräsentantenhaus kontrollierte.

Nachdem Europa und speziell Deutschland vor acht Jahren vom Wahlsieg Trumps kalt erwischt wurde, hatten wir diesmal genug Zeit, uns auf sein mögliches Comeback vorzubereiten. Doch dass genug Gelegenheit gewesen wäre, heißt in der Politik noch lange nicht, dass diese Gelegenheit auch wirklich genutzt wird. Unsere Reporterinnen und Reporter haben sich nach dem Stand des „Trump-Proofings“ in der Verteidigungs- und Handelspolitik erkundigt. Das Ergebnis: Ebenso wie 2016 dominiert in Europa das Prinzip Hoffnung, dass Trump schon nicht gewinnen wird. Das hat sich schon einmal als fatal erwiesen.

Emily Haber war bis 2023 deutscher Botschafterin in Washington DC. Foto: dpa

Im Handelsblatt-Interview erinnert sich Emily Haber, von 2018 bis 2023 deutsche Botschafterin in den USA:

Als ich nach Washington ging, war Donald Trump seit eineinhalb Jahren Präsident. Damals haben viele noch geglaubt, dass die zahlreichen Korrektive dafür sorgen würden, dass die Politik im Mainstream bleibt. Es wurde danach aber immer sichtbarer, dass sein extremes Verhalten, die Unberechenbarkeit, Normalität ist.

Haber ist sich sicher: „Sollte Trump gewählt werden, wird seine zweite Amtszeit keine Neuauflage der ersten sein. Sie wird anders.“

Womit sie ganz sicher nicht meint: harmloser und berechenbarer.

Die prowestliche Staatschefin Maia Sandu hat die Stichwahl um das Präsidentenamt in Moldau gewonnen. Nach Auszählung von fast 98 Prozent der Stimmen lag die 52-Jährige am späten Sonntagabend Ortszeit nach Angaben der Zentralen Wahlkommission bei einem Stimmenanteil von 54 Prozent – und damit uneinholbar vor ihrem Herausforderer Alexandr Stoianoglo, der von den prorussischen Sozialisten unterstützt wird und auf 46 Prozent kam. Begleitet wurde der Urnengang am Sonntag erneut von Vorwürfen der russischen Wahleinmischung.

Spatzen können im Alter offenbar mürrischer werden. Im Alter sinke die Zahl ihrer Sozialkontakte, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal „Philosophical Transactions B“ der britischen Royal Society. Während die Vögel in jungen Jahren für Erfolg im Leben freundlicher sein müssten, könnten sie im Alter evolutionär betrachtet nach Herzenslust granteln, schlussfolgern die Forschenden laut einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur.

Verwandte Themen Donald Trump Kamala Harris Christian Lindner Olaf Scholz FDP USA

Nicht erforscht wurde, ob Spatzen im Alter gesteigerten Wert darauf legen, Zigeunerschnitzel zu verspeisen – denn das wird man ja wohl noch zwitschern dürfen.

Ich wünsche Ihnen einen würzigen Wochenauftakt.

Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt

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