Corona-Folgen Einzelhandel in der Krise: Ruf nach Lockerung der Ladenöffnungszeiten

Flexiblere Ladenöffnungszeiten zur Unterstützung des Einzelhandels sind umstritten.
Berlin Im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise ist der Ruf nach einer Lockerung der Ladenöffnungszeiten laut geworden. Anlass ist der Vorstoß von DIW-Präsident Marcel Fratzscher.
Steuerliche Entlastung und „mehr Freiheiten“ bei den Ladenöffnungszeiten seien „wichtige Elemente“, um Innenstädte und den stationären Einzelhandel attraktiver zu machen, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Handelsblatt. Langfristig müsse es andere Mobilitätskonzepte geben, „grünere Innenstädte und eine kluge Kombination von Einkaufen, Gastronomie, Kunst, Kultur und Tourismus“.
Die FDP, der Handel und die Kommunen plädieren ebenfalls für flexiblere Ladenöffnungszeiten. Gerade in der Coronakrise sei der stationäre Einzelhandel hart getroffen worden. „Eine Entzerrung der Einkaufszeiten würde insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel zu einer geringeren Personendichte in den Läden führen und wäre daher auch für den Infektionsschutz hilfreich“, sagte der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer dem Handelsblatt.
Eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sei auch deshalb „überfällig“, damit der klassische Einzelhandel gegen den Onlinehandel bestehen könne. „Notwendig sind insbesondere ein flexibler Ordnungsrahmen und mehr Rechtssicherheit für verkaufsoffene Sonntage“, mahnte Theurer.
Auch der Handelsverband HDE forderte verlässlichere Regelungen für gelegentliche Sonntagsöffnungen. „Nach der Corona-Pandemie sollten kurzfristig zusätzliche Sonntagsöffnungen ermöglicht werden, um den Händlern die Chance zu geben, wenigstens etwas verlorenen Umsatz aufzuholen“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Handelsblatt.
Verdi gegen Sonntagsöffnungen
Flexiblere Öffnungszeiten könnten nach Corona ein „wichtiger Mosaikstein“ sein, um die Innenstadthändler aus der Krise zu holen. „Das bietet nach der Pandemie auch die Chance, ein klares Signal an die Kunden zu setzen, dass die Innenstädte wieder offen und die Händler ihre Türen wieder geöffnet haben.“
Wegen des Lockdowns in der Coronakrise und mangelnder Öffnungsperspektiven bangen viele Einzelhändler um ihre Existenz. Der Lobbyverband HDE hat wiederholt gemahnt, dass die staatlichen Finanzhilfen schneller bei den Firmen ankommen müssten.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht ebenfalls Handlungsbedarf. „Wir befürchten eine Verödung der Innenstädte und Ortskerne nach der Pandemie, da viele Einzelhändler die Krise nicht überleben werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Handelsblatt. „Da der starke Onlinehandel sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag geöffnet ist, wäre es sinnvoll, jedenfalls für eine Übergangszeit dem Einzelhandel mehr Öffnungsperspektiven einzuräumen.“
Dazu sollten aus Sicht Landsbergs auch mehr Öffnungsmöglichkeiten an Sonntagen gehören. „Das ist zwar umstritten, aber in der Krise müssen wir neue Wege gehen, um die großen Schwierigkeiten zu überwinden“, sagte er.
„Fieberkurve“ des Innenstadthandels. Unternehmen verlieren seit Monaten weite Teile ihres Umsatzes. Politische Maßnahmen mit unmittelbaren Auswirkungen. pic.twitter.com/hunr5LgsRD
— Olaf Roik (@OlafRoik) April 12, 2021
Die Gewerkschaft Verdi stemmt sich dagegen, dass die Läden verstärkt am Sonntag öffnen sollen. „Sonntagsöffnungen sind nicht die Lösung für einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Handel“, sagte kürzlich Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger der Nachrichtenagentur dpa. In Nordrhein-Westfalen war die Öffnung der Geschäfte an Sonntagen bereits gerichtlich gekippt worden. Der HDE erwägt deshalb, für mehr Möglichkeiten zur Sonntagsöffnung seiner Geschäfte bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Ein Viertel der Beschäftigten muss sonntags arbeiten
2009 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, Ausnahmen von der Sonntagsruhe bräuchten einen ausreichenden Sachgrund. Nach Schätzungen des DIW muss etwa ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland regelmäßig am Sonntag arbeiten.
Der HDE ist indes der Überzeugung, dass die jüngsten Gerichtsentscheidungen auf Landesebene zu Ladenschlusszeiten den rechtlichen Rahmen zu eng auslegen. Gerade in der Coronakrise brauche etwa der Modehandel jede Möglichkeit, wenigstens etwas Umsatz zu machen. Aber gerade derzeit entfielen oft die notwendigen Anlässe, etwa Messen und Volksfeste. Der Verband setzt sich dafür ein, den Anlassbezug zu streichen.
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Verdi-Vorstandsmitglied Nutzenberger argumentiert dagegen: „Gerade weil Innenstädte mehr sind als Einzelhandelsgeschäfte, braucht es umfassende Konzepte für Handel, Kultur und gesellschaftliches Leben.“ Es gehe dabei immer auch um den Schutz der Beschäftigten und ihrer Familien.
„Eine Ausweitung von Ladenöffnungszeiten ist der Türöffner für Sonntagsarbeit für andere Branchen, und der Sonntagsschutz ist aus gutem Grund im Grundgesetz verankert.“
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