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Interview Leopoldina-Mitglied Huster: „Keine Ausgangssperren für Geimpfte“

Der Rechtsexperte erklärt, warum es richtig ist, dass die Alten schon wieder im Reiseflieger sitzen, während die Jungen noch Corona-Beschränkungen erdulden müssen.
24.04.2021 - 10:02 Uhr Kommentieren
Stefan Huster ist Rechtsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Philosoph, Experte für Gesundheitsrecht und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dem Corona-Beratergremium der Bundesregierung. Quelle: Ruhr Uni Bochum
Stefan Huster

Stefan Huster ist Rechtsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Philosoph, Experte für Gesundheitsrecht und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dem Corona-Beratergremium der Bundesregierung.

(Foto: Ruhr Uni Bochum)

Stefan Huster, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dem Corona-Beratungsgremium der Bundesregierung, hat vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern für eine schnelle Aufhebung der Grundrechts-Einschränkungen für Geimpfte plädiert. „In dem Moment, in dem jemand kein Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus für Dritte mehr darstellt, lässt es sich nicht mehr rechtfertigen, ihn mit weiteren Freiheitseinschränkungen zu behelligen“, sagte der Rechtsprofessor, Philosoph und Experte für Gesundheitsrecht im Interview mit dem Handelsblatt.

Das Robert Koch-Institut habe bestätigt, dass ein Mensch spätestens 15 Tage nach der zweiten Impfung das Coronavirus nicht mehr übertragen könne. „Damit liegt der Fall klar“, sagte Huster und betonte, Neid sei „kein guter Grund, um Geimpften ihre Freiheitsrechte zu verbieten“.

In der Bund-Länder-Runde mit den Ministerpräsidenten soll am Montag unter anderem über die Impfpriorisierung beraten werden. Auch die Rechte der Geimpften sollen Thema sein.

Die gerade beschlossene Ausgangssperre der Bundesnotbremse könne für Geimpfte gar nicht gelten, bekräftigte Huster, „vor allem nicht, wenn es um nächtliche Ausgangsbeschränkungen geht“. Wenn sowieso nur wenige Leute auf der Straße seien, ließen sich Ausnahmen relativ einfach über den Impfausweis kontrollieren. „Da sehe ich tatsächlich nicht, warum das Verbot für Geimpfte aufrechterhalten werden sollte“, sagte Huster.

Trotzdem hält der Rechtsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum die Bundesnotbremse an dieser Stelle nicht für verfassungswidrig: Das Gesetz stelle einen allgemeinen Rechtsrahmen zur Verfügung, der bestimmte Beschränkungsmöglichkeiten nennt. „Wie und wo und unter welchen Bedingungen diese dann ausgesetzt werden für schon Geimpfte, das kann im Einzelnen in einer Rechtsverordnung geklärt werden“, erklärte Huster.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Professor Huster, am Montag auf dem Impfgipfel wird es auch um die Rechte der Geimpften gehen. Müssen für sie die Grundrechts-Einschränkungen schnell aufgehoben werden?
In dem Moment, in dem jemand kein Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus für Dritte mehr darstellt, lässt es sich nicht mehr rechtfertigen, ihn mit weiteren Freiheitseinschränkungen zu behelligen. Das Robert Koch-Institut hat bestätigt, dass ein Mensch spätestens 15 Tage nach der zweiten Impfung das Coronavirus nicht mehr übertragen kann. Damit liegt der Fall klar.

Warum ist es irreführend, hier von Privilegien oder Sonderrechten zu sprechen?
Für die Geimpften ist es lediglich der Weg zurück zum Normalzustand. Der bedeutet, dass die Grundrechte wahrgenommen werden können. Die Beschränkung, das ist die Sondersituation.

Das hieße aber auch, dass die gerade beschlossene Ausgangssperre der Bundesnotbremse für Geimpfte gar nicht gelten kann?
Genau, vor allem nicht, wenn es um nächtliche Ausgangsbeschränkungen geht. Wenn sowieso nur wenige Leute auf der Straße sind, lassen sich Ausnahmen ja relativ einfach über den Impfausweis kontrollieren. Da sehe ich tatsächlich nicht, warum das Verbot für Geimpfte aufrechterhalten werden sollte.

Ist das geänderte Infektionsschutzgesetz damit an dieser Stelle schon verfassungswidrig?
Nein. Das Gesetz stellt einen allgemeinen Rechtsrahmen zur Verfügung, der bestimmte Beschränkungsmöglichkeiten nennt. Wie und wo und unter welchen Bedingungen diese dann ausgesetzt werden für schon Geimpfte, das kann im Einzelnen in einer Rechtsverordnung geklärt werden. Die Maßnahmen müssen aber jeweils angeschaut werden. Wir reden hier über Rechtsnormen, und die wollen auf eine praktikable Weise eine Vielzahl von Fällen regeln. Wenn bestimmte Beschränkungen überhaupt nicht mehr sinnvoll kontrollierbar und vollziehbar sind, dann mag es gerechtfertigt sein, dass diese auch für die bereits Geimpften weiterhin Bestand haben.

Zum Beispiel?
Ich denke da an die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr. Da kann kein Mensch im Einzelfall kontrollieren, ob jemand, der keine Maske trägt, schon geimpft oder ein Maskenverweigerer ist.

Droht Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem? Geimpfte haben doppelte Vorteile, nämlich den Schutz vor Erkrankung und Freiheitsrechte. Ungeimpfte haben doppelte Nachteile, nämlich keinen Schutz und starke Einschränkungen.
Man muss sich immer klarmachen: Diejenigen, die noch keine Impfung haben, kommen nicht schneller an die Impfung dadurch, dass die Geimpften ihre Freiheiten nicht wahrnehmen können. Das ist kein Verteilungsproblem – anders als beim Impfstoff selbst. Den Impfstoff, den der eine bekommt, kann der andere nicht haben. Da gibt es konkrete Nachteile. Bei den Beschränkungen ist das aber nicht so. Den Ungeimpften geht es in keiner Weise schlechter, weil die Geimpften ein Stück weit zu ihrem normalen Leben zurückkehren dürfen. Es leuchtet also nicht ein, dass wir ein Gerechtigkeitsproblem haben. Es geht wohl eher um Neid. Aber das ist kein guter Grund, um Geimpften ihre Freiheitsrechte zu verbieten.

Erzwungene Solidarität von Geimpften „unplausible Vorstellung von Gleichheit“

Was ist mit Solidarität? Die wurde doch bislang von den Jungen eingefordert? Warum nun nicht von den Geimpften?
Solidarität bedeutet, dass man sich gegenseitig hilft. Es ging um den Schutz vulnerabler Gruppen. Eine Solidarität der Geimpften würde aber darauf beruhen, dass es allen gleich schlecht gehen soll. Das ist nicht einzusehen. Das ist eine unplausible Vorstellung von Gleichheit.

Jüngere müssen also die gefühlte Ungerechtigkeit aushalten, dass – überspitzt gesagt – die Alten schon im Reiseflieger sitzen, während sie sich noch mit Homeoffice und Homeschooling abmühen?
Im Grund ja. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass zuerst die über 80-Jährigen geimpft wurden und das sie betreuende Personal. Die haben nun wirklich sehr schwere Monate hinter sich, mit ganz strikten Kontaktbeschränkungen. Dass sie in Alten- und Pflegeheimen wieder Besuch empfangen dürfen, das sollte nicht als ungerechtfertigte Privilegierung betrachtet werden. Im Nachhinein ließe sich die Impfpriorisierung kritisieren. Aber nun ist sie so, also müssen die Konsequenzen auch angenommen werden.

Kann es als indirekter Impfzwang gewertet werden, wenn das normale Leben nur für Geimpfte zurückkehrt?
Nein. Ich befürchte aber, dass dieses Argument an der ein oder anderen Stelle etwas damit zu tun hat, dass die Politik so zurückhaltend ist. Sie will sich auf keinen Fall von irgendwelchen Querdenkern vorhalten lassen, dass eine Art von mittelbarer Impfpflicht eingeführt wird. Ich finde den ganzen Verdacht abwegig. Es geht nicht um überlebensnotwendige Bezüge, sondern darum, dass man wieder ins Restaurant oder Kino gehen oder Urlaubsreisen machen kann. Warum das einen Impfzwang auslösen soll, ist nicht ersichtlich. Wer sich nicht impfen lassen will, der muss mit den Konsequenzen leben.

Private Anbieter genießen Vertragsfreiheit. Müssen sich die Bürger also darauf einstellen, dass es künftig bestimmte Angebote wie Veranstaltungen oder Kreuzfahrten nur für Geimpfte gibt?
Ja, aber das hat nur bedingt etwas mit der Vertragsfreiheit oder Privatautonomie zu tun. Sonst ließen sich ja auch andere willkürliche Differenzierungen einführen, etwa nach der Haarfarbe oder der Körpergröße. Auf den Impfstatus abzustellen etwa bei einer Kreuzfahrt scheint angesichts des Infektionsrisikos sachlich angemessen und nachvollziehbar. Da würde der Gesetzgeber dem Betreiber sicherlich nicht mit dem Gleichstellungsgesetz kommen.

Wie kann der Staat freiheitsrechtliche Spielräume für diejenigen schaffen, die noch auf die Impfung warten?
Die ungleiche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften wird nur für eine Übergangszeit existieren. In vielen Bereichen wird es möglich sein, in dieser Zeit zu einer Gleichstellung von Geimpften und Getesteten zu kommen. Zum Beispiel der Zugang zum Einkaufen oder zu Veranstaltungen setzt dann voraus, dass entweder ein Impfnachweis oder ein aktuelles Testergebnis vorgelegt wird. Das ist dann immer noch eine Schlechterbehandlung der noch nicht Geimpften. Weil die jedes Mal die Mühe auf sich nehmen müssen, einen Test zu besorgen. Aber beide Gruppen können dann überhaupt Zugang bekommen. Sonderfall sind die wieder Genesenen. Das ist dann eher eine medizinische Frage, wie gut nachgewiesen werden kann, dass von ihnen keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht.

Was ist mit denen, die sich aus bestimmten Gründen nicht impfen lassen können?
Da verfahren wir genauso wie bei der Maskenpflicht. Wer sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann, der bekommt ein Attest. Es geht doch um den Schutz genau dieser Menschen. Das ist wie bei den Masern: Deshalb müssen sich eben die anderen impfen lassen.

Sie hatten die Impfpriorisierung eben schon angesprochen. Wäre da eine andere Reihenfolge aus Ihrer Sicht sinnvoller gewesen?
Dass zunächst die ganz Alten mit dem hohen Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs geimpft werden, das leuchtet ein. Aber für die nächste Stufe wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, zunächst diejenigen zu impfen, die die Wirtschaft am Laufen halten. Von Ökonomen hat es da durchaus Vorschläge gegeben. Die meinten, nur auf medizinische Dringlichkeit zu setzen, das sei eine „Schönwetterpriorisierung“. Darüber wurde aber gar nicht diskutiert, weil das Problem an die Ständige Impfkommission abgegeben wurde. Die denkt natürlich in medizinischen Kategorien und hat keinen rechten Sinn für die sozialen und ökonomischen Zusammenhänge.

Herr Professor Huster, vielen Dank für das Interview!

Mehr: Corona-Impfstoff für alle: Priorisierung könnte laut Spahn im Juni fallen

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