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Afghanistan Drogen, Zölle, Rohstoffe: So funktioniert die Taliban-Ökonomie

Die neuen Machthaber kontrollieren Handelsrouten, Staatsfirmen und Infrastruktur. Das macht sie unabhängig – und nur schwer beeinflussbar.
24.08.2021 - 14:52 Uhr 3 Kommentare
Die Taliban kontrollieren wichtige Handelsrouten in die Nachbarländer. Quelle: dpa
Grenze zu Pakistan

Die Taliban kontrollieren wichtige Handelsrouten in die Nachbarländer.

(Foto: dpa)

Istanbul Nur wenige Stunden nachdem die Taliban Kabul eingenommen hatten, stand einer ihrer Kämpfer im Kontrollraum der staatlichen Elektrizitätswerke. Er versprach den anwesenden Angestellten, der Betrieb werde weiterlaufen. Der einzige Unterschied: Die Einnahmen gingen nun an die Taliban.

Und diese Einnahmen sind nur das eine. Schon vor ihrem Sturm auf Kabul hatten die Taliban vorgesorgt, nun stehen ihnen viele Ressourcen zur Verfügung. Die Anhänger der Gruppe kontrollieren Handelsrouten, Rohstoff-Lagerstätten und Fabriken sowie staatliche Versorgungswerke in vielen Regionen des Landes. Sie erheben zudem Zölle aus dem Warenaustausch mit den Nachbarländern, aus den immensen Rohstoffvorkommen Afghanistans und dem Schwarzmarkt.

Zwar müssen die Taliban wohl auf die etwa vier Milliarden Dollar ausländischer Hilfe jährlich verzichten, die die inzwischen abgesetzte Regierung von Ex-Präsident Ashraf Ghani erhielt. Doch sie können das mehr als ausgleichen. „Das Drohpotenzial des Westens, mittels Geldentzug die Taliban zu mäßigen, ist gleich null“, glauben Graeme Smith und David Mansfield vom Thinktank Odi, die die offiziellen und informellen Geldströme in dem Land untersucht haben.

Nach dem Fall Kabuls beeilten sich westliche Regierungen, ihre teils immer noch andauernden Entwicklungsprojekte und Hilfszahlungen auf Eis zu legen, solange die Zukunft des Landes ungewiss bleibe. Politiker wie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) fügten hinzu, dass Hilfszahlungen sofort eingestellt würden, sollten die Islamisten Grundrechte einschränken oder die Scharia einführen. Die EU-Außenminister gaben kurz nach dem Fall Kabuls am 17. August bekannt, eine kurzfristige finanzielle Unterstützung in Höhe von 1,4 Millionen US-Dollar auszusetzen.

US-Regierung: Einfluss auf Taliban durch Finanzsanktionen erhöhen

US-Präsident Joe Biden hatte noch am Tag des Falls von Kabul angekündigt, afghanische Geld-Reserven einzufrieren. Sein Sicherheitsberater Jake Sullivan fügte hinzu, die Amerikaner könnten ihren Einfluss auf die Gotteskrieger „über Sanktionen vergrößern“.

Eine überaus optimistische Prognose, wenn man die tatsächliche Finanzlage der Taliban betrachtet: Die Islamisten sind beim Handel in der Region Südasien längst große Player. Sie nehmen möglicherweise mehr Geld ein, als der Westen ihnen bieten kann. Der Westen habe seinen Einfluss im Land maßlos überschätzt, was unter anderem auch daran liege, dass er die Dominanz des Schwarzmarkts ausgeblendet habe, meint Studien-Koautor Mansfield.

Der Schwarzmarkt dominiert die afghanische Wirtschaft. Der Westen hat dies bis zuletzt unterschätzt. Quelle: imago images/VWPics
Markt in Kundus

Der Schwarzmarkt dominiert die afghanische Wirtschaft. Der Westen hat dies bis zuletzt unterschätzt.

(Foto: imago images/VWPics)

„Die Taliban zählen auf den afghanischen Opiumhandel als eine ihrer Haupteinnahmequellen“, sagte Cesar Gudes, der Leiter des Kabuler UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), der Nachrichtenagentur Reuters. Aber es gehe längst nicht nur um den illegalen Handel mit Opium oder anderen Drogen, zitiert Mansfield aus seiner Studie.

Der größte Schwarzmarkt-Umsatz stamme aus dem illegalen Handel mit Alltagsgütern wie Treibstoff oder Haushaltsartikeln. „Dieser Handel ist in Größe und Umfang weitaus höher als die internationale Entwicklungshilfe für das Land.“

Vor allem Importe bildeten eine Einnahmequelle für die Taliban. „Das kann alles sein“, erläutern Mansfield und Smith in ihrer Untersuchung: „Automotoren und Ersatzteile aus Korea, China oder Australien, Zigaretten aus Dubai und Indonesien bis hin zu Lebensmitteln aus dem Iran, China und Indien.“

Die beiden Forscher haben mehr als 300 Interviews vor Ort alleine in der Provinz Nimruz geführt und Bewohner, Wirtschaftsakteure, Beamte und lokale Milizen nach dem Handel in der Region befragt. Dabei ging es auch um die Regeln der formellen und informellen Besteuerung und um die Menge an Gütern, die dort gehandelt werden.

Zugleich werteten sie Satellitenbilder aus und analysierten, wie viele Pick-ups lokaler Talibankämpfer an Hauptstraßen standen und mutmaßlich Handelstransporte kontrollierten. Daraus ergab sich eine Schätzung, wie viel Geld in einer Region tatsächlich verdient wird.

Ihre Methode, Satellitenbilder mit Beobachtungen vor Ort abzugleichen, könnte dabei helfen, einige grundlegende Fragen zu beantworten: Wie viel Geld wird wirklich in Afghanistan verdient? Welchen Einfluss haben internationale Hilfsgelder? Und welches Potenzial besteht für die nächste Regierung, ihren Einfluss durch Zahlungen an informelle Akteure und korrupte Beamte zu erhöhen?

Ihre Ergebnisse zeigen, dass der Westen möglicherweise jahrelang falschlag mit seiner Einschätzung, durch militärische Kontrolle und zivile Entwicklungshilfe eine ganze Nation auf seine Seite bringen zu können. „In diesem Konflikt die Oberhand zu gewinnen hängt nicht immer mit der schieren Menge an Landmasse zusammen, die man kontrolliert“, meinen die beiden Studienautoren. „Wichtiger sind die Gelder, die durch die Beschlagnahme wichtiger Gelände entlang von Straßen und Autobahnen gesammelt werden.“

Zehnmal mehr Einnahmen durch Schwarzhandel

Als Beispiel nennen er und sein Forschungskollege Graeme Smith eine Untersuchung aus der afghanischen Provinz Nimruz. Demnach hätten die Taliban jedes Jahr rund 235 Millionen US-Dollar mit informellen Steuern in der Grenzregion zum Iran und zu Pakistan eingenommen.

So hätten bewaffnete Kämpfer Geld von Lkw-Fahrern oder Firmen genommen, um ihnen eine freie Durchfahrt über die Grenzen oder in andere Landesteile zu garantieren. Im selben Zeitraum erhielt dieselbe Provinz gerade einmal 20 Millionen US-Dollar an internationaler Hilfe.

Eine Praktik, die auch im Bürgerkriegsland Syrien gang und gäbe ist. Dort hatten der IS und korrupte Soldaten der Regierung viel Geld damit verdient, den Transport von überlebenswichtigen Lebensmitteln wie Mehl und Treibstoff zu kontrollieren.

Indem die Taliban Grenzposten und Handelsrouten kontrollierten, konnten sie das wirtschaftliche und politische Gleichgewicht kippen, argumentieren die Forscher. „Die Folgen waren gravierend für die afghanische Regierung, die die erklärten Einnahmen Stück für Stück verloren hat.“ Und was ebenso wichtig ist: Die regierungsnahen politischen Akteure erhielten nicht mehr die Gelder, die ihnen versprochen worden waren. Das habe die Loyalität dieser lokalen Anführer zur Zentralregierung in Kabul geschwächt.

Zolleinnahmen von vielen Millionen Dollar

Als die Taliban im Juni die an einer wichtigen Verbindungsstraße gelegene Provinz-Hauptstadt Ghorghory und anschließend Delaram entlang derselben Route eingenommen hatten, erlangten sie damit auch die Kontrolle über mögliche Zölle in Höhe von 18,6 Millionen US-Dollar, schätzen Smith und Mansfield.

Die Kontrolle über die Stadt Zaranj an der iranischen Grenze könnte den Taliban mehr als 43 Millionen Dollar pro Jahr einbringen – und das nur im Bereich des Schwarzmarktes. Die offiziellen Steuereinnahmen aus dem Distrikt beliefen sich zuletzt auf rund 50 Millionen US-Dollar.

Auch in anderen Provinzen haben die Taliban schon lange mitverdient. Als sie im Juli den – von den USA gebauten – Grenzposten „Sher Khan“ an der tadschikischen Grenze eingenommen hatten, begannen sie sofort damit, die Zolleinnahmen zu kassieren.

Und das ganz offiziell: Der Taliban-Sprecher Suhail Shaheen erklärte damals gegenüber dem Wall Street Journal", die Grenze und der Zoll nahe der ehemaligen Bundeswehr-Garnison Kunduz würden weiterhin wie bisher funktionieren, weil man „keine Probleme für Geschäftsleute, Händler und einfache Leute schaffen will“.

Afghanistan News: Aktuelles zum Binnenstaat Afghanistan Quelle: Reuters
Mohnanbau in Afghanistan

Der Herstellung von Opiaten ist eine verlässliche Einnahmequelle der Taliban.

(Foto: Reuters)

Auch mit Pakistan existiert ein reger Handel, an dem die Taliban mitverdienen. Eine Studie der US-Hilfsorganisation US Aid aus dem Jahr 2016 legt nahe, dass ein statistischer Rückgang des afghanischen Außenhandels in den vergangenen Jahren dadurch erklärt werden könnte, dass ein Teil des Handels einfach auf den informellen Sektor übergegangen ist und daher nicht erfasst werden konnte.

So seien die afghanischen Tee-Exporte nach Pakistan im Jahr 2013 um rund ein Viertel auf 42,5 Millionen US-Dollar eingebrochen. Allerdings kam immer noch eine Menge Schwarztee in dem Nachbarland an. Im selben Jahr belief sich der Wert an tatsächlich importiertem Schwarztee aus Afghanistan auf rund 300 Millionen US-Dollar.

Ähnliche Beispiele gibt es für Textilien und LCD-Fernseher. Dabei würde es häufig nur um sogenannte Transitgüter gehen, die weder in Afghanistan produziert noch konsumiert würden, erklären die Studienautoren.

Afghanistan habe niedrigere Zölle als Pakistan für eine Reihe von schmuggelgefährdeten Waren. „Schwarzhändler importieren Waren nach Afghanistan und schmuggeln sie dann über informelle Kanäle nach Pakistan, um die Arbitragemöglichkeiten zu nutzen, die sich aus den Unterschieden in den angewandten Zöllen und Steuern zwischen den beiden Ländern ergeben.“

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Aus Sicht der Handelspartner im Ausland führt der Vormarsch der Gotteskrieger in ein Dilemma. „Entweder machen sie weiter wie bisher und stärken die Taliban, oder sie verzichten auf eine Menge Umsatz“, resümieren die Forscher. Sie schätzen, dass die Taliban schon vor ihrer Offensive durch die Kontrolle der drei großen Grenzregionen zum Iran rund 84 Millionen US-Dollar pro Jahr eingenommen haben.

Nachbarländer stecken in einem Dilemma

Auch die Zusagen von China, Russland oder Pakistan, weiterhin mit den Taliban Handel zu treiben, dürfte die Gotteskrieger dazu ermutigen, nicht zu viel auf die Drohungen aus dem Westen zu geben.

Anfang August hatte die iranische Regierung, die die Taliban nicht anerkennt, zwar den Handel mit dem Nachbarland offiziell eingestellt. Doch die Versuchung für das selbst von Sanktionen geplagte Land ist groß, die Barriere irgendwann fallen zu lassen: Bisher erwirtschafteten iranische Firmen einen Umsatz in Höhe von rund zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr durch den Handel mit dem Nachbarland.

Die beiden Forscher glauben, dass die Summe doppelt so hoch ist, wenn man den informellen Handel hinzurechnet. So wundert es nicht, dass die Grenze zwischen Iran und Afghanistan längst nicht so dicht ist, wie die Regierung in Teheran es behauptet.

Wie es in dem Land weitergeht, ist ungewiss. Ob die Taliban da weitermachen, wo sie 2001 aufgrund der Nato-Intervention aufhören mussten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Gewiss ist nur, dass der Westen darauf mittels Finanzsanktionen kaum Einfluss wird nehmen können.

Mehr: Das Versagen des Westens in Afghanistan ist eine Warnung für andere Krisenherde.

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3 Kommentare zu "Afghanistan: Drogen, Zölle, Rohstoffe: So funktioniert die Taliban-Ökonomie"

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  • Politisches Versgen auf der gesamten Linie, ich weiß auch nicht mehr weiter. Die Kombination des politischen Versagens, der Gutmenschen und die ach so objektive Presse lassen mich ratlos in die Zukunft schauen. Und in wenigen Wochen sollen wir die nächste Riege wählen!!!!!!

  • Hat der Westen überhaupt etwas richtig gemacht, außer Geld in den Sand gesetzt? Einige wenige positive Aspekte werden sich finden, denn auch ein blindes Huhn findet gelegentlich ein Korn.

  • ... und Waffen aus dem Westen brauchen sie auch nicht, schließlich wurden ja zur Ausstattung der afghanischen Armee Waffen im Wert von ca. 89 Milliarden US Dollar zurückgelassen, wie z.B. 160 Jets - die sind wohl besser ausgestattet als die Leyen - AKK - Bundeswehr!
    Ob die Taliban - Kämpfer auch Kindergärten in ihrer Einheit haben?
    Haben die Taliban - Kämpfer sich auch extern von teuren Beratungsfirmen beraten lassen?

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