Start-ups Trotz Währungskrise: Türkische Tech-Firmen sammeln Rekordsumme ein

Das Jahr 2021 dürfte das erfolgreichste Jahr in Sachen Investorengelder für türkische Start-ups werden.
Istanbul Schwache Lira, hohe Inflation: Die türkische Wirtschaft hat es derzeit schwer. Eine Branche im Land wächst und gedeiht trotzdem: der Tech-Sektor.
Türkische Start-ups haben in den ersten neun Monaten des Jahres insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar in 206 Deals eingenommen und damit einen Allzeitrekord in dem Land aufgestellt. Das Dealvolumen hat sich mehr als verzehnfacht, die Zahl der Deals stieg im Jahresvergleich um 49 Prozent. Die Zahlen wurden für den „Turkish Startup Ecosystem Quarterly Report Q3 2021“ des türkischen Blogs Startup.Watch berechnet.
Die Inflation in der Türkei beschleunigte sich im Oktober zum fünften Mal in Folge, angetrieben von einem Anstieg der Energiekosten und einer schwachen Lira. Die Preise stiegen bis zum vergangenen Monat um 19,89 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig hat die türkische Lira zum US-Dollar seit Jahresbeginn rund ein Drittel an Wert verloren. Dadurch werden Importe und Stromrechnungen für Industriefirmen immer teurer.
Tech-Firmen sind von solchen Problemen tendenziell weniger betroffen. Die Geschäftsmodelle von Firmen wie Amazon, aber auch von türkischen E-Commerce-Konkurrenten Hepsiburada, Trendyol oder Gaming-Firmen brauchen keinen teuren Stahl, sondern Programmierer und Marketing.
Die schwache Lira macht das Investment für ausländische Geldgeber noch attraktiver, bekommt man doch für einen US-Dollar aktuell weit mehr Lira als vor wenigen Jahren. Und davon profitieren derzeit offenbar vor allem türkischen Tech-Firmen.
Jeder fünfte Deal in der Spielebranche
Der Anstieg der Investitionen in Gaming-Start-ups hatte großen Einfluss auf den Rekord bei den Deals. Jeder fünfte Abschluss wurde in der türkischen Spielbranche getätigt, mit einem Allzeithoch von 40 Gaming-Deals in den ersten neun Monaten des Jahres.
Bereits im vergangenen Jahr erregte der Verkauf der Istanbuler Spielefirma Peak Games für 1,8 Milliarden Dollar an die US-Firma Zynga große Aufmerksamkeit in der Szene. Dem deutschen Investor Earlybird brachte er eine Rekordrendite ein.
Gleich mehrere Gründe machen die Türkei für Start-up-Investoren attraktiv: So gibt es etwa viele gut ausgebildete Ingenieure, aber nur wenige Jobs mit stabilen Einkommen.
„Deshalb ist der Wunsch viel größer, als Gründer etwas aufzubauen“, sagt Ertan Can, der mit seiner Investmentfirma Multiple Capital in viele Start-up-Fonds investiert hat, darunter auch in den besagten Earlybird-Fonds.
Aus Mitarbeitersicht seien Start-ups ebenso verlockend: In einem Land mit knapp 20 Prozent Inflation bieten international finanzierte Firmen vergleichsweise stabile Verhältnisse. Und Istanbuler Start-ups erhöhen die Gehälter aller Mitarbeiter pro Jahr häufig um bis zu 30 Prozent – weit über die statistischen Preissteigerungen hinaus.
Amazon hat keine Chance
Die Markteroberung wird zudem für ausländische Firmen immer schwieriger. Mit der schwachen Inlandswährung sinken die Margen für ausländische Unternehmer. Es lohnt sich für Amazon schlicht immer weniger, in der Türkei Produkte in der Landeswährung zu verkaufen, wenn die Lira ständig an Wert verliert. Bei einer Umfrage der Außenhandelskammer Istanbul vom November 2020 nannten auch die deutschen Mitgliedsunternehmen die schwankende Lira als das größte Problem.
Für türkische Tech-Firmen mit stabilen und skalierbaren Geschäftsmodellen läuft es umgekehrt. Dollar-Investments sind in Lira gerechnet noch mehr wert. Dadurch können sie gute Gehälter bezahlen und bekommen Top-Talente. Wenn E-Commerce-Firmen wie Modanisa, das Mode für konservative Muslima verkauft, einen Großteil ihres Umsatzes auch noch in Europa erwirtschaften, ist der Effekt der schwachen Währung noch größer.
Kein Wunder, dass die Rekordfinanzierung im Jahr 2021 viele türkische Tech-Firmen zu „Einhörnern“ mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar gemacht hat. Darunter sind bisher Dream Games, Hepsiburada, Getir, Peak Games und Trendyol, das allein derzeit mit über 15 Milliarden US-Dollar bewertet wird.
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