Geldpolitik Inflationsrate in der Türkei steigt auf knapp 20 Prozent – aber schwächer als erwartet

Die Währung ist in den vergangenen Monaten weiter unter Druck geraten.
Istanbul Die Inflation in der Türkei legt weiter zu. Im Oktober stiegen die landesweiten Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 19,89 Prozent, wie das Statistikamt am Mittwoch mitteilte. Im Vormonat hatte die Inflationsrate 19,58 Prozent betragen.
Allerdings hatten Beobachter mit einer noch stärkeren Inflation gerechnet. 20 von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Analysten prognostizierten im Schnitt einen Preisanstieg in Höhe von 20,35 Prozent.
Die aktuellen Daten könnten darauf deuten, dass der Inflationszyklus in der Türkei sich dem Ende zuneigt und die Preise künftig geringer steigen. Das würde die ohnehin überhitzte türkische Wirtschaft nicht noch weiter belasten. Doch die Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan will die Leitzinsen stattdessen weiter senken, um die Wirtschaft eher noch anzuheizen.
Die jährlichen Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, die etwa ein Viertel des Verbraucherkorbs ausmachen, lagen im Oktober bei 27,41 Prozent. Im Energiesektor legten die Preise um 25,76 Prozent zu. Die Kerninflation, die die Preise ohne volatile Güter wie Nahrungsmittel und Energie misst, sank leicht auf 16,82 Prozent
Die türkische Lira verlor daraufhin leicht an Wert. Am Mittag lag sie im Verhältnis zum US-Dollar bei 9,6720 Lira (Rekordtief bei 9,8554 Lira). Gegenüber dem Euro fiel die türkische Währung auf einen neuen Tiefstand von 11,2570 Lira.
Die Teuerung sowie der Wertverlust der Lira bereiten Anlegern seit Längerem Kopfzerbrechen. Die Landeswährung der Türkei ist in den vergangenen Monaten gegenüber Dollar und Euro erheblich unter Druck geraten und jeweils auf Rekordtiefstände gefallen.
Zentralbank senkt den Leitzins
Verschärft wird die Situation durch den lockeren geldpolitischen Kurs der Zentralbank, die ihren Leitzins trotz der gestiegenen Inflation zuletzt zweimal abgesenkt hat. Zurzeit liegt der Leitzins in der Türkei bei 16 Prozent. Damit liegt der Realzins bei minus 3,89 Prozent.
Kritiker monieren, der Kurs werde maßgeblich durch Erdogan beeinflusst, der als erklärter Gegner hoher Zinsen gilt. Wiederholt hat Erdogan die Notenbankspitze ausgewechselt. Er verfolgt mit seiner unorthodoxen Geldpolitik einen konkreten Plan. Die niedrigen Leitzinsen sollen Unternehmer und Konsumenten dazu animieren, ihr Geld auszugeben, bevor es weiter an Wert verliert – ein Schritt, den auch andere Schwellenländer wie Mexiko, China, Indien, Südkorea oder Taiwan gegangen sind, um das eigene Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Der Hintergedanke: Niedrige Zinsen sorgen dafür, dass per Kredit viel investiert und konsumiert wird. Das Wirtschaftswachstum steigt an, ebenso meist die Beschäftigung. In der Türkei kann man beide Effekte beobachten: Weltbank, IWF und andere Organisationen haben ihre Wachstumsprognosen für das Land über den Sommer angehoben, während die Lira abgesackt war. Auch die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Sommer inzwischen um drei Prozentpunkte gesunken.
Ein weiterer Effekt: Türkische Produkte werden im Ausland billiger. Das ist gut für die Exporteure am Bosporus – und schlecht für die Konkurrenz im Ausland, die mit den günstigen Preisen aus der Türkei kaum mithalten kann. Das betrifft Exportprodukte wie Autoteile, Rohstoffe wie Baumwolle sowie Obst und Gemüse, aber auch Dienstleistungen wie den Tourismus. Im Oktober stiegen die Exporte des Landes um mehr als 20 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Auch im Zwölf-Monats-Schnitt kletterten die Exporte auf ein Rekordhoch.
Erdogans Rechnung könnte – so wie bei den meisten anderen Schwellenländern – aufgehen. Das Problem aber ist: Erdogan selbst. Seine Innen- und Außenpolitik verschreckt Anleger, Investoren und Touristen. Letztlich gibt die Lira nicht nach, wenn die Wirtschaft stottert – sondern wenn Erdogan politische Schritte unternimmt.
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