Wahlen in Ungarn Der Mann für die großen Überraschungen: Peter Marki-Zay fordert Ministerpräsident Orban heraus

Der überraschende Sieg bei den Vorwahlen der ungarischen Opposition hat den Politiker ins internationale Scheinwerferlicht katapultiert.
Budapest Bis vor wenigen Wochen kannten Peter Marki-Zay nur politische Insider. Nun aber hat ihn sein überraschender Sieg bei den Vorwahlen der ungarischen Opposition ins internationale Scheinwerferlicht katapultiert. Der 49-Jährige soll im nächsten Frühling bei der Parlamentswahl als gemeinsamer Spitzenkandidat den seit über einem Jahrzehnt regierenden Viktor Orban ablösen.
„Wir wollen ein neues Ungarn aufbauen“, rief der Bürgermeister der Kleinstadt Hodmezövasarhely am Sonntag in den Budapester Nachthimmel, „wir wollen eine neue Kultur in das Land bringen.“ Neben ihm standen zahlreiche Oppositionsvertreter sowie seine Frau und seine sieben Kinder. Abwesend war hingegen die Sozialistin Klara Dobrev, die Marki-Zay zuvor mit 56,7 gegen 43,3 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang klar besiegt hatte. Sie anerkannte lediglich ihre Niederlage und versprach, gemeinsam auf einen Machtwechsel hinzuarbeiten.
Auf die Regeln der Vorwahl hatte sich ein Bündnis von sechs Formationen bereits Anfang des Jahres geeinigt aus der Einsicht, dass nur so ein Erfolg gegen die übermächtige Regierungspartei Fidesz möglich ist. Dass ausgerechnet Peter Marki-Zay triumphierte, dessen Kleinstpartei nicht einmal Teil der Allianz ist, wurde erst über Umwege möglich: Der Budapester Bürgermeister Gergely Karacsony, der vor allem bei ausländischen und liberalen Medien als Favorit galt, zog sich nach seinem enttäuschenden Abschneiden im ersten Wahlgang zugunsten Marki-Zays zurück.
Bei Marki-Zay haben Überraschungen eine gewisse Tradition: Sein Sieg bei der Bürgermeisterwahl in der südungarischen Fidesz-Hochburg Hodmezövasarhely 2018 galt als Sensation. Schon damals profitierte der Vater von sieben Kindern und gläubige Katholik, der fünf Jahre lang in den USA und Kanada gelebt hatte, von seiner politischen Unbeflecktheit in Ungarn. Der Neulingsbonus zog bei den Vorwahlen erneut.
„Heute haben wir auch die Opposition ausgewechselt“, meldete Marki-Zay am Sonntag sein Versprechen auf eine Erneuerung an. Der von seinen meist jungen Unterstützern wie ein Popstar gefeierte Politiker verwies darauf, dass zahlreiche alteingesessene Post-Sozialisten bei den Vorwahlen für die Direktkandidaten von 106 Parlamentssitzen Niederlagen erlitten hatten. Er markierte damit auch die Distanz zum umstrittenen ehemaligen Regierungschef Ferenc Gyurcsany, der als graue Eminenz der Opposition gilt.
Entschuldigung beim politischen Gegner
Gyurcsany ist der Ehemann von Klara Dobrev, die sich mit Marki-Zay im Vorwahlkampf heftige Wortgefechte geliefert hatte. Letzterer warf Dobrev vor, Politiker erpresst zu haben, im zweiten Wahlgang für sie zu stimmen. Gleichzeitig bezeichnete Marki-Zay etwa die Partei von Gergely Karacsony, die gegen dessen Anweisungen für Dobrev votiert hatten, als „Vaterlandsverräter“. Seine Konkurrentin beschuldigte ihn daraufhin, er wende Methoden an, die an Orban und Trump erinnerten.
Marki-Zay entschuldigte sich. Seine Versicherung am Sonntag, er werde „jeden mit Liebe umarmen“, war wohl als Ölzweig an die Sozialisten gedacht. Dennoch sind die Spannungen innerhalb der Opposition klar spürbar. Sie sind der widersprüchlichen Persönlichkeit Marki-Zays gewissermaßen inhärent: Er punktet als wertkonservativer Politiker vom Lande, hängt aber in Ermangelung einer eigenen Machtbasis von einer mehrheitlich linksliberalen Parteienallianz ab.
Um die Gegensätze kleinzureden, bedient sich der Wirtschaftswissenschaftler, der als Marketing-Experte gilt, populistischer Slogans: „Der Ausweg ist weder rechts noch links, sondern nur aufwärts.“ Zunächst aber muss er sich mit den Mühen der Ebene herumschlagen. Es geht um gemeinsame Positionen und Listen der Opposition, die neben dem Ziel, Orban abzulösen, wenig vereint.
Im Wesentlichen sind dies fünf nun zu präzisierende Prinzipien: die Stärkung der unabhängigen Justiz und der freien Presse, Transparenz, eine neue Verfassung, mehr Umweltschutz und das Ende der politischen Polarisierung. Marki-Zay hat durchaus radikale Ideen anklingen lassen: So sieht er die Fidesz-Verfassung, die 2011 verabschiedet wurde, als vollständig illegitim an. Daraus müsste logischerweise folgen, dass sämtliche darauf basierenden Gesetze illegal sind.
Der oppositionelle Spitzenkandidat gibt sich klar proeuropäisch
Obschon auch die Regierungspartei überrascht wirkt von ihrem neuen Gegner, deutet sich an, dass sie mit Warnungen vor einem „linksliberalen Chaos“ ihren Sieg sichern will. Sie hofft auch darauf, dass Marki-Zay die Opposition noch vor der Wahl spalten wird.
Seine politischen Positionen sind schwieriger anzugreifen: Zwar gibt sich der oppositionelle Spitzenkandidat klar proeuropäisch und kritisiert Orbans Konfliktstrategie gegenüber Brüssel bei rechtsstaatlichen Fragen. Er hält sich aber etwa beim umstrittenen Migrationsthema zurück. Marki-Zay unterstützt die Familienpolitik der Regierung, lehnt Steuererhöhungen ab und will die ungarische Diaspora weiterhin aktiv unterstützen.
Ihn als radikalen Linken darzustellen, dürfte der Regierungspropaganda deshalb schwerfallen. „Fidesz gegen Fidesz“ fasst ein regierungsnaher Publizist nur leicht ironisch die Ausgangslage zusammen. Hält das oppositionelle Bündnis, könnte Marki-Zay im Frühling somit ein drittes Mal alle überraschen.
Mehr: Die EU muss Ungarn ausschließen – und Polen auch. Ein Gastkommentar.
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