Brain-Computer-Interface Hirnforschung am Bungee-Seil

Mit kabellose Elektrodenkappen zur Messung der Hirnaktivität stürzten sich die Probanden in die Tiefe. (Foto: Surjo R.)
Berlin Was im Kopf von Bungee-Springern vor sich gehen mag, fragen sich nicht nur Zeitgenossen, denen solch ein freiwilliger Sturz in den Abgrund nicht ganz geheuer ist. Forscher der Universitätsklinik Tübingen fanden diese Frage so faszinierend, dass sie mit einem spektakulären Experiment nach einer Antwort suchten: Insgesamt 30 Mal stürzten sich in ihrem Auftrag zwei semi-professionelle Klippenspringer am Seil von der 192 Meter hohen Europabrücke bei Innsbruck.
Die Springer trugen kabellose Elektrodenkappen, mit denen ihre Hirnaktivität vor und während des Sprungs aufgezeichnet wurde. Die Forscher um den Tübinger Neurowissenschaftler Surjo Soekadar interessierten sich dabei für das sogenannte Bereitschaftspotenzial – eine charakteristische elektrische Spannungsverschiebung im Gehirn, die eine bevorstehende willentliche Handlung anzeigt, und die entsteht, noch bevor sich der Handelnde bewusst wird, dass er gleich eine Bewegung ausführen wird.
Mitte der 1960er-Jahre wurde das Bereitschaftspotenzial erstmals wissenschaftlich beschrieben: Forscher maßen dazu unter Laborbedingungen die Hirnströme eines Probanden, während er hunderte von Fingerbewegungen machte. Trotz zahlreicher weiterer Studien wurde es bisher nie in lebensnahen Situation gemessen: Da die Spannungsverschiebung im Bereich von nur einigen Millionstel-Volt liegt, galten bislang nur Messungen unter strengen Laborbedingungen als möglich.
Mit ihrem spektakulären Bungee-Experiment wollten die Tübinger Forscher nun versuchen, das Bereitschaftspotenzial im Gehirn erstmals außerhalb eines Labors und unter Extrembedingungen zu messen. Und tatsächlich: Nach nur wenigen Sprüngen gelang es ihnen, die charakteristische Spannungsverschiebung zweifelsfrei nachzuweisen. „Das aktuelle Experiment zeigt einmal mehr, dass sich die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter verschieben“, sagte Soekadar.
Die Ergebnisse des Experiments seien vor allem für die Weiterentwicklung sogenannter Gehirn-Maschine-Schnittstellen (Brain-Computer-Interface) wichtig, so der Forscher. Durch solche Systeme können Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten Maschinen mit ihren Hirnsignalen steuern. „Das aktuelle Ergebnis hilft uns dabei, die Zuverlässigkeit dieser Schnittstellen im Alltag wesentlich zu verbessern“, so der Forscher, der die Ergebnisse des Experiments demnächst in einem internationalen Fachjournal veröffentlichen wird. Online ist die Studie bereits jetzt einsehbar.
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