Roboter-Revolution Wie Mensch-Maschinen unsere Welt verändern
Der Mensch-Maschinen-Meister
Bevor er den ersten Schritt macht, schaut Hubo auf den Boden. Er scannt mit seinen Kameraaugen die unebenen, grauen Betonsteine, die Motoren summen, vorsichtig hebt er das rechte Bein. Zwar dauert es fast noch eine ganze Minute, bis er das gut ein Quadratmeter große Hindernis überwunden hat. Aber: Hubo kann laufen. Und er kann noch viel mehr.
Hubo ist einer der am weitesten entwickelten Roboter der Welt. 2015 gewann er die Darpa Robotics Challenge – einen vom US-Verteidigungsministerium initiierten Wettbewerb. Wenn man so will: die WM der humanoiden Roboter. Und Hubo ist der beste von 23. Der Mensch-Maschine-Meister. Acht Prüfungen musste das 80-Kilo-Wesen bestehen: ein Fahrzeug steuern, eine Tür öffnen, Treppen steigen, ein Loch bohren. 44 Minuten und 28 Sekunden brauchte er für alle Aufgaben.
Jun Ho Oh ist noch immer stolz auf den Erfolg. Auf dem Schreibtisch des Professors steht inmitten von Kabeln, Platinen und Papierstapeln die kleine schwarze Glas-Trophäe. Den Scheck über zwei Millionen Dollar Siegprämie hat er am Eingang aufgehängt. „Als ich vor 14 Jahren den ersten humanoiden Roboter bauen wollte, hat mir niemand vertraut“, erinnert er sich. Fördergelder bekam er nicht, das Geld lieh er sich bei Freunden. Heute leitet der 62-Jährige das Humanoid Robot Research Center in Daejeon, Südkorea, 160 Kilometer südlich von Seoul.
Das „Hubo Lab“, ein unscheinbarer Rotklinkerflachbau, liegt im Norden des weitläufigen Campus der KAIST-Universität, der renommiertesten TU des Landes. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt“, meint Oh. Bisher seien die menschlichen Maschinen belächelt worden – als schickes Spielzeug, als Träumerei. „Aber langsam merken alle: Ein Roboter kann wirklich etwas.“
Schon heute sind viele technische Helfer nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Smartphones weisen uns nicht nur den Weg und wissen, wie das Wetter wird – seit Siri sprechen sie auch mit uns. Saug- und Mähroboter, die selbstständig durch Staub und Grashalme summen, sind längst Realität. Auch in der Industrieproduktion, in Autofabriken, gehören Roboterarme zum Standard.
Nun steht die nächste Stufe des automatisierten Alltags an: Menschenähnliche Maschinen erobern auch Krankenhäuser, Altenheime – und zu guter Letzt unser Zuhause. Werden das Maschinen mit Gesichtern und künstlicher Intelligenz sein, die uns die Arbeit wegnehmen? Die Kranke pflegen und füttern? Die unseren Haushalt managen, sich mit uns unterhalten? Sind sie eher Chance oder Bedrohung?

Hersteller: Aldebaran (Frankreich) und Softbank (Japan)
Größe: 1,21 m
Gewicht: 28 kg
Preis: ca. 1 400 Euro, plus monatliche Servicekosten
Funktionen: Kommunizieren, Interagieren, Gefühlssimulation
Mögliche Einsatzgebiete: Messen, Hotels, Restaurants, Schulen
Was sich für die einen wie Szenen aus einem Film (Genre: Science-Fiction bis Horror) anhört, ist für die anderen nur noch eine Frage der Zeit. Der schlichte Grund für das rasante Robo-Wachstum: technischer Fortschritt. Prozessoren, Sensoren und Antriebselemente sind in kurzer Zeit viel leistungsfähiger und günstiger geworden. Bild- und Spracherkennung funktionieren besser.
Humanoide Roboter sind daher keine Vision mehr von Wissenschaftsnerds, kein gold-blecherner C3PO aus den „Star-Wars-Filmen“. Sie sind Realität. Sie sehen immer mehr aus wie Menschen und übernehmen unsere Jobs. Langsam, aber unaufhaltsam halten sie Einzug in unser Leben.
Im belgischen Gent etwa begrüßt ein Roboter schon heute die Hotelgäste, händigt Zimmerschlüssel aus, ruft das Taxi. Auch die US-Hotelkette Hilton arbeitet gerade mit IBM an einem „Concierge-Roboter“. Noch bis Ende des Jahres will Pizza Hut in Asien Bestellroboter an die Kassen stellen. In Japan setzt Nissan die Humanoiden in seinen Autohäusern ein, um die Kinder der Kundschaft zu bespaßen.
Die nächste Revolution
Längst hat auch die Industrie die Chancen erkannt. Airbus testet humanoide Roboter in der Flugzeugmontage. In den Autofabriken verschwinden langsam die Roboterkäfige. Es gibt Versuche, bei denen Mensch und Greifarm nebeneinander arbeiten, ohne Sicherheitsglas. Hunderte Tech-Unternehmen, vor allem aus den USA, entwickeln Geschäftsmodelle rund ums Thema künstliche Intelligenz – eine Technologie, die die Gesellschaft radikaler wandeln könnte, als es die industrielle Revolution getan hat.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat erst im April einen neuen Roboter-Standort im bayerischen Oberpfaffenhofen eingeweiht. Menschenähnliche Robos sollen künftig auch Schiffe konstruieren, Atomkraftwerke abbauen, Feuer löschen. Nach Erdbeben Überlebende suchen, Minen entschärfen, im Bergbau arbeiten, in der Tiefsee tauchen. Kurzum: überall dort einspringen, wo es für Menschen zu gefährlich wird, zu eng, zu unwirtlich.
Wenn Professor Oh aus Korea, hohe Stirn, runde Designerbrille, von seinem Institut in sein Unternehmen gehen will, braucht er nur zwei Türen zu öffnen. Einmal quer über den Gang firmiert die Rainbow Company. Überall hängen Kabel und Drähte, Motoren und Sensoren stapeln sich auf den Werkbänken, Metallspäne liegen auf dem Boden. Einer der zwölf Mitarbeiter fertigt gerade eine Roboterhand. Im Hintergrund rattert ein computergestütztes Fertigungszentrum – sie stellen hier fast alle Bauteile selbst her. „Auf der ganzen Welt gibt es gerade total schicke Roboter“, sagt Oh. „Aber kaum einen davon kann man kaufen.“ Bei Hubo ist das anders. Er sei vielleicht nicht so „fancy“, nicht so reaktionsschnell. „Aber er kann bestellt und benutzt werden.“ Was Oh mit seinen Studenten erforscht, geht hier in Serie.

Hersteller: Italian Institute of Technology (IIT) in Genua
Größe: 1,04 m
Gewicht: 22 kg
Preis: ca. 200.000 Euro
Funktionen: Krabbeln, Objekterkennung, Verformen von Gegenständen
Mögliche Einsatzgebiete: Schulen, Kindergärten, Arzt
Rainbow ist damit wohl einer der ersten Humanoiden-Hersteller weltweit. Mehr als 20 Roboter hat die Firma seit 2011 verkauft, in die USA, nach Singapur, Hongkong und in die Schweiz. Schon sechs Mal wurde ihr komplexestes Modell geordert: DRC-Hubo – der Robo-Weltmeister. Kostenpunkt: eine halbe Million Dollar. Kunden sind Unis und Forschungsinstitute. Gerade sind wieder drei in Arbeit, bis zu sechs Monate dauert die Montage.
Oh ist Inhaber von Rainbow, die Universität hält eine Minderheitsbeteiligung, viele Studenten haben Anteile gekauft. Neben Robotern werden hier Teleskopsysteme gebaut, getestet werden sie auf dem Dach des Flachbaus. Ohs zweite große Leidenschaft. Er nennt sich „Eclipse-Chaser“, er sei ein Sonnenfinsternis-Junkie. Zehn hat er gesehen, die letzte in Indonesien. Für sein himmlisches Hobby fliegt er rund um den Erdball.
Die Käufer seiner Roboter nehmen auch ein paar Flugstunden auf sich. Für eine Woche lädt Oh jeden Kunden nach Daejeon ein. „Sie sollen lernen, den Roboter zu bedienen, zu warten“, erklärt er. „Hubo ist kein Industrieroboter, er ist ein zerbrechliches Wesen.“ Wer ihn erwirbt, bekommt auch Einblicke in Soft- und Hardware. Oh öffnet das Heiligtum seiner Forschung. „Ich wollte nie nur einen Roboter für meine eigenen Zwecke bauen.“
Der Professor sieht Hubo als offene Plattform, als Basis für Forschungen in allen Bereichen, für Weltraum- und Servicerobotik, als Helfer in der Industrie. Er vergleicht sein Baby gern mit einem Smartphone, für das sich jeder Nutzer passende Apps runterladen kann. „Hubo ist das iPhone der Zukunft“, sagt Oh und muss laut lachen. Milliardengewinne wie Apple wird die Firma wohl nie abwerfen. Aber schon heute, fünf Jahre nach Gründung, trägt sich das Unternehmen selbst.
Dauerhafte Prototypen
Auch, weil der Markt für die Humanoiden riesig ist. Laut Zahlen des Weltroboterverbands IFR wurden im Jahr 2014 rund 1,3 Millionen Unterhaltungs- und Freizeitroboter verkauft, wozu auch die Menschen-Maschinen gezählt werden. Für den Zeitraum von 2015 bis 2018 soll die Zahl bei neun Millionen liegen. Geschätztes Verkaufsvolumen: 7,6 Milliarden Dollar.
Doch noch gibt es wenige Hersteller, die ein marktreifes Produkt im Angebot haben. In Japan treiben bislang vor allem die Autobauer die Forschung voran. Seit Jahren entwickelt Honda seinen Asimo. Die erste Version stellte der Konzern bereits 2004 vor. Der neueste weiße Roboter im Michelin-Männchen-Look kann hüpfen, tanzen, Treppen steigen – und sehr schnell laufen, mit bis zu neun Stundenkilometern. Honda präsentiert Asimo gern auf Automessen, selbst US-Präsident Obama hat den Roboter schon getroffen – und mit ihm Fußball gespielt.
Nur verkauft wird Asimo bisher nicht. Bei einem Schätzpreis von 2,5 Millionen Dollar wäre es wohl auch schwer, Interessenten zu finden. Ähnlich wie Konkurrent Toyota, der eine Roboterreihe namens „Partner“ im Portfolio hat, nutzt Honda die künstlichen Wesen als Werbeplattform – und für die Weiterentwicklung im Kerngeschäft: Viele Systeme in den Autos gehen auf die Roboterforschung zurück.
Auch der US-Hersteller Boston Dynamics hat bisher nur Prototypen präsentiert, wenn auch sehr eindrucksvolle. Die neueste Version mit dem Namen Atlas ist ein robuster Militärroboter – seine Videos sorgen auf Youtube für millionenfache Klicks. Er kann sich in unwirtlichem Terrain bewegen, Lasten tragen und steht wieder auf, wenn er umgeschubst wird.

Hersteller: Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Größe: 1,75 m
Gewicht: 150 kg
Preis: ca. 280.000 Euro
Funktionen: Lernen aus Beobachtung, Greifen, Verformen von Gegenständen
Mögliche Einsatzgebiete: Haushalt, Altenpflege, Restaurants
2013 erwarb Google die Firma, doch offenbar will die Mutter Alphabet das Unternehmen nun wieder abstoßen. Vielleicht auch, weil der Roboter zu stark an die Terminatoren erinnert, die fiesen Menschenvernichter aus den Hollywoodfilmen mit Arnold Schwarzenegger. Ein Negativimage, das Alphabet nicht gebrauchen kann. Weniger cineastisch, aber wohl realistischer: Der Konzern sieht in Atlas keine Zukunft, weil er sich auf kurze Sicht noch nicht vermarkten lässt.
Wie ein Roboter hingegen zum Produkt für die breite Masse werden kann, demonstriert gerade Softbank. Als der japanische Telekommunikationskonzern 2012 den französischen Roboterhersteller Aldebaran schluckte, gehörte auch ein Exemplar mit Kulleraugen, Mund und Tablet-Display auf der Brust zum Paket: Pepper.
Er ist quasi ein Discount-Roboter, kostet nur um die 1400 Euro. Das wahre Geld macht Softbank mit der Bereitstellung von Cloud-Services und Garantieleistungen: Die kosten 180 Euro, pro Monat. Pepper soll eine Mensch-Maschine sein, die zum sozialen Begleiter wird, zum Freund, zum Familienmitglied. Er hat keine Beine, kann dafür aber durch die Gegend rollen, gestikulieren, mit dem Corpus wackeln. Er erkennt Gesichter und Sprache, für Dialoge ist er mit dem IBM-Superrechner Watson verbunden.
Pepper ist beliebt bei den Konzernen: als Grüß-August oder Entertainer auf Messen. Aber auch als Verkaufsberater und Kinderanimateur. Er ist eine perfekte Werbeplattform, kann Menschen unterhalten, sie durch Räume führen. In seine Schaltkreise sind sogar Pseudohormone eingebaut: Der Roboter kann die Emotionen der Menschen erkennen – und darauf mit eigenen „Gefühlen“ reagieren.
Der Volksroboter verkauft sich gut, 1000 Exemplare wird Softbank laut eigenen Angaben jeden Monat los, bislang vor allem in Japan. Ähnlich erfolgreich ist der Konzern mit einem kleineren Humanoiden: Nao. Der Miniroboter, nur 58 Zentimeter groß, ist ursprünglich auch ein Franzose, von Aldebaran. Er kann laufen, mit Menschen interagieren und lässt sich einfach programmieren. Nao kostet nur noch um die 5000 Euro, Unis und Schulen nutzen ihn für die Forschung.
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