Breitband-Herbizide Bayer-Aktie knickt ein – Schuld ist Ärger mit Unkrautvernichter Dicamba
Frankfurt Aus Furcht vor Schadensersatzklagen gegen die Bayer-Tochter Monsanto haben Anleger am Donnerstag Aktien des Dax-Konzerns in hohem Bogen aus ihren Depots geworfen. Bayer-Titel sackten zeitweise um 5,9 Prozent auf 76,03 Euro ab und erreichten den tiefsten Stand seit fünfeinhalb Jahren.
„Da sind große Sorgen da, dass noch mehr auf Bayer zukommt“, sagte ein Händler. Im Vergleich zum Vorwochenschluss büßten Bayer damit fast ein Fünftel ihres Wertes ein.
Am Nachmittag kündigte Bayer an, nun mit der Integration von Monsanto zu beginnen. Mit dem vollzogenen Verkauf von Geschäftsteilen an den deutschen Konkurrenten BASF seien die Voraussetzungen erfüllt. Bayer ist bereits seit dem 7. Juni alleiniger Eigentümer von Monsanto. Ab sofort könne Bayer auch selbst in die Verteidigung bei den Rechtsstreitigkeiten eingreifen.
Der US-Konzern wurde Ende vergangener Woche von einem Gericht in den USA zu einer Schadensersatzzahlung von 289 Millionen Dollar an einen an Krebs erkrankten Mann verurteilt, der seine Erkrankung auf das von der Firma entwickelte Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat zurückführt.
Händler verwiesen nun zudem auf einen Bericht in der „Wirtschaftswoche“, wonach Monsanto Millionenstrafen in den USA drohen wegen des Unkrautvernichters Dicamba. Bauern in Arkansas und South Dakota hätten deshalb schon vor einiger Zeit Sammelklagen am Bezirksgericht in St. Louis eingereicht.
Diese potenziellen Klagen haben einen anderen Charakter als der Glyphosat-Fall. Denn bei Dicamba geht es in erster Linie um wirtschaftliche Schäden bei Landwirten. Das Herbizid hat sich in den vergangenen Jahren zusehends als potenzielle Alternative und Ergänzung zu Glyphosat entwickelt. Denn als Folge des intensiven Einsatzes werden Unkräuter zunehmend resistent gegen Glyphosat. Das zwingt Landwirte dazu, ganz auf andere Mittel umzusteigen oder neben Glyphosat weitere Mittel einzusetzen.
Dicamba wird für Ernteausfälle verantwortlich gemacht
Dicamba ist ebenso wie Glyphosat ein so genanntes Breitband-Herbizid, das gegen eine Vielzahl von Unkräutern wirkt, und wurde bereits in den 60er-Jahren entwickelt. Als größter Hersteller dieses ebenfalls bereits patentfreien Wirkstoffs gilt bisher BASF. Allerdings investieren auch andere Hersteller, darunter Monsanto und Dow Dupont, stark in den Ausbau entsprechender Kapazitäten. Monsanto baut gerade eine rund eine Milliarde Doller teure Anlage für die Herstellung des Herbizids.
Denn vor dem Hintergrund der wachsenden Glyphosat-Resistenzen setzt Monsanto zudem auch in der Entwicklung von Saatgut inzwischen auf Varianten, die nicht nur gegen Glyphosat, sondern zusätzlich auch gegen Dicamba resistent sind. Sie werden unter der Marke „Roundup-ready Xtend“ vermarktet. Nach bisherigen Planungen setzt der US-Konzern darauf, dass bis 2025 etwa 100 Millionen Hektar weltweit mit Saaten bepflanzt werden, die sowohl gegen Glyphosat als auch Dicamba resistent sind.
Als Problem hat sich allerdings herausgestellt, dass beim Einsatz von Dicamba offenbar auch benachbarte Felder deutlich beeinträchtigt werden können, auf denen nicht-resistenten Nutzpflanzen angebaut werden und die durch die Wirkung des Herbizids daher Ernteausfälle verbuchten. Etliche US-Staaten haben daher bereits die Vorschriften für den Einsatz des Herbizids verschärft.
Die Ernteschäden hatten eine Welle von Beschwerden und Klagen gegen Monsanto ausgelöst. Monsanto wirft den Landwirten vor, der Anleitung des Herbizids nicht genau gefolgt zu sein und Dicamba unsachgemäß aufgetragen zu haben.
Das Hauptgeschäft von Monsanto besteht aus Saatgut. Vor allem genmodifizierte Mais- und Sojasorten, die gegen Glyphosat resistent sind, haben dabei den Aufstieg des amerikanischen Unternehmens begründet. Diese Sorten ermöglichen es Landwirten, ihre Felder besonders effizient zu bestellen und die Kulturen zum Beispiel ohne vorheriges Umpflügen anzusäen.
Bayer hat Monsanto formal am 7. Juni für 63 Milliarden Dollar (umgerechnet etwa 54 Milliarden Euro) inklusive miterworbener Schulden übernommen und ist damit zum weltweit führenden Agrochemieanbieter aufgestiegen.
Mögliche Rechts- und Reputationsrisiken werden von Beobachtern schon seit Längerem als eine der größten Herausforderungen für Bayer bei diesem Megadeal angesehen. Das Glyphosat-Urteil hat vor diesem Hintergrund nun Sorgen geschürt, dass sich Bayer mit Monsanto tatsächlich eine große und womöglich sehr teure Klagewelle in den USA eingekauft hat.
Immer mehr Schwachstellen bei Bayer
Laut der letzten Veröffentlichung von Monsanto waren Ende Februar 5200 Klagen im Zusammenhang mit Glyphosat in den USA anhängig. Die Zahl dürfte seither weiter gewachsen sein. Die Rückstellungen des US-Konzerns für Prozesse und Streitfälle lagen zuletzt bei lediglich 254 Millionen Dollar.
Bei Bayer hat sich zudem in den letzten Jahren eine Reihe von Schwachstellen und Problemen akkumuliert. Dazu gehören etwa die Probleme im US-Geschäft mit freiverkäuflichen Arzneien (Consumer Health) und eine womöglich zu schwache Pharma-Pipeline, die den Patentablauf beim aktuellen Bestseller Xarelto (zur Schlaganfall-Prophylaxe) im nächsten Jahrzehnt womöglich nicht abfedern kann.
Den Vertrieb des Verhütungsmittels Essure, das man 2013 zusammen mit der US-Firma Conceptus erwarb, musste Bayer jüngst komplett einstellen, nachdem die Nachfrage als Folge zahlreicher Beschwerden und Klagen stark eingebrochen war. Insgesamt sind im Zusammenhang mit dem Produkt inzwischen rund 17.000 Klagen gegen Bayer in den USA anhängig. Weitere rund 23.000 Kläger machen Schäden wegen des Gerinnungshemmers Xarelto geltend.
Mit Material von Reuters und dpa.
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