Pharmakonzern Erfolg der Corona-Impfstoffe lockt Konzerne ins mRNA-Geschäft: Sanofi verstärkt sich mit Milliardenübernahme

Mit Translate Bio will der Pharmakonzern seine Ziele im Bereich mRNA-Technologie vorantreiben.
Frankfurt Der Erfolg der Covid-19-Impfstoffe hat Biontech und Moderna zu Milliardenunternehmen gemacht und den Fokus der Pharmabranche auf das Potenzial ihrer neuartigen mRNA-Technologie gelenkt. Jetzt sichert sich der französische Pharmakonzern Sanofi mit einem milliardenschweren Zukauf den Zugriff auf einen weiteren Hoffnungsträger in diesem Markt. Die Franzosen zahlen 3,2 Milliarden Dollar für das US-Biotechunternehmen Translate Bio.
Beide Unternehmen kooperieren bereits bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Sars-CoV-2-Virus auf Basis dieser Botenstofftechnologie. Mit Translate Bio könne Sanofi seine Ziele im Bereich mRNA-Technologie und Entwicklung von Impfstoffen als Therapeutika vorantreiben, sagte Sanofi-Chef Paul Hudson.
An der Börse legte die Aktie von Sanofi nach Bekanntgabe der Übernahmepläne leicht zu. Analysten von Bernstein werteten den Deal als Zukauf in einem „sehr heißen“ therapeutischen Gebiet.
Die mRNA-Technologie hat das Potenzial, viel breiter eingesetzt zu werden als nur gegen das Coronavirus – etwa als Impfung gegen verschiedenste andere Infektionskrankheiten und auch als Therapeutikum gegen Krebs oder Autoimmunerkrankungen. In der Medizin gilt die Technologie als Revolution, seit das Mainzer Unternehmen Biontech und die US-Firma Moderna mit ihren sicheren und wirksamen Covid-19-Impfstoffen den Nachweis erbracht haben, dass die Technologie funktioniert und mittlerweile milliardenfach mit vergleichsweise geringen Nebenwirkungen eingesetzt worden ist.
In mRNA-Impfstoffen ist eine Art Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen eines Virus enthalten. Anhand dieser Information kann der Körper einen Impfschutz aufbauen. Biontech wie Moderna erforschen mRNA-Wirkstoffe bereits in diversen anderen klinischen Studien gegen unterschiedliche Erkrankungen.
Hinzu kommen bei dieser Technologie produktionstechnische Vorteile: mRNA-Impfstoffe werden zwar in einem sehr komplexen Verfahren hergestellt. Da die mRNA aber vergleichsweise einfach reproduziert werden kann, sind die Produktionsmengen schneller zu erhöhen, als bei der bisherigen Impfstoffproduktion.

Mit der Übernahme will das Unternehmen die Erforschung von mRNA-Therapien gegen Krankheiten vorantreiben.
Biontech ist an der Börse mittlerweile 80 Milliarden Dollar wert, Moderna sogar fast 140 Milliarden Dollar. Mit Blick auf solche Wertzuwächse kauft Sanofi Translate Bio zu einem Zeitpunkt, an dem der Kaufpreis noch vergleichsweise niedrig erscheint – auch wenn Sanofi einen ordentlichen Aufschlag von 30 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Montag zahlt.
Translate Bio dürfte auch für andere Pharmakonzerne ein interessantes Übernahmeobjekt gewesen sein. Da das Management des US-Unternehmen die Offerte unterstützt, erwartet Sanofi, die Übernahme im dritten Quartal abschließen zu können.
Auch andere Pharmakonzerne wollen mitmischen
Sanofi ist nicht der einzige große Pharmakonzern, der von der vielversprechenden Technologie profitieren möchte. Biontechs Entwicklungspartner Pfizer etwa hat bereits frühzeitig das Potenzial der mRNA-Impfstoffe gegen das Corona-Virus erkannt, eine Entwicklungspartnerschaft mit Biontech geschlossen und schnell mehr als zwei Milliarden Dollar in den Aufbau von Produktionsstätten der Covid-19-Impfstoffe gesteckt.
Seit der Zulassung des Biontech-Impfstoffs Ende vergangenen Jahres haben die beiden Partner bereits mehr als eine Milliarde Dosen Impfstoff ausgeliefert. Bis Jahresende wollen sie drei Milliarden produzieren.
Vergangene Woche erst hatte Pfizer-Chef Albert Bourla seine Umsatzerwartungen für den gemeinsam mit Biontech entwickelten Covid-19-Impfstoff hochgeschraubt: Allein der US-Pharmakonzern rechnet nun mit 33,5 Milliarden Dollar Umsatz statt wie bisher mit 26 Milliarden Dollar. Die bereinigte Marge vor Steuern soll einen Wert im hohen 20-Prozent-Bereich erreichen.
Auch der britische Pharmakonzern Glaxo-Smithkline hat seine Aktivitäten im mRNA-Bereich ausgebaut: in Form einer Kooperation mit der Biotechfirma Curevac. Die Tübinger hatten bei ihrem mRNA-Impfstoff gegen das Sars-CoV-2-Virus zwar im Juni enttäuschende Studiendaten mit seiner Wirksamkeit von 48 Prozent vorgelegt. GSK kooperiert aber nicht bei diesem Impfstoff mit den Tübingern – hier wäre Bayer der künftige Produktionspartner.
Die Briten entwickeln gemeinsam mit Curevac einen Covid-19-Impfstoff der zweiten Generation und arbeiten zudem an neuartigen mRNA-Impfstoffen gegen andere Infektionskrankheiten und einem neuartigen Grippeimpfstoff. GSK hatte sich im Zuge der Vereinbarung 2020 mit knapp 150 Millionen Euro an Curevac beteiligt und ist damit größter Einzelaktionär nach der Beteiligungsgesellschaft von SAP-Mitgründer Dietmar Hopp und der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Sanofi wiederum arbeitet bereits seit 2018 mit Translate Bio zusammen. Im vergangenen Jahr entschlossen sich die Partner, einen mRNA-basierten Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Aktuell läuft eine Phase-2-Studie an einer Gruppe von rund 400 Menschen. Erste Ergebnisse sind laut Sanofi vor der entscheidenden dritten Testphase im Herbst zu erwarten.
Auch wenn die beiden Unternehmen im Rennen um die Covid-19-Impfstoffe damit weit hinter den bereits zugelassenen Vakzinen zurückliegen, können sie möglicherweise noch am Geschäft mit Auffrischungsimpfungen teilhaben, die nach Einschätzung vieler Wissenschaftler notwendig werden.
Sanofi geht es bei dem Kauf von Translate Bio aber um weit mehr als den Covid-19-Impfstoff. „Unser Ziel ist es, das Potenzial von mRNA zusätzlich zu Impfstoffen in anderen strategischen Gebieten wie Immunologie, Onkologie und seltenen Erkrankungen zu erschließen“, gibt Sanofi-CEO Paul Hudson den Weg vor.
Die Franzosen setzen statt Kooperation nun auf die vollständige Übernahme, weil sie sich so erhoffen, die neue Technologie für sich besser nutzbar zu machen. Das 2016 gegründete US-Unternehmen Translate Bio erprobt neben dem Covid-19-Impftstoff bereits einen mRNA-Medikamentenkandidaten gegen die Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose in klinischen Studien. Zudem erforscht das Unternehmen auch mRNA-Impfstoffe unter anderem bei verschiedenen Erkrankungen der Atemwege sowie der Leber.
400 Millionen Euro jährlich für die Impfstoffentwicklung
Sanofi hatte bereits im Juni angekündigt, rund 400 Millionen Euro pro Jahr in die Entwicklung von Impfstoffen zu investieren, die auf der neuen Messenger-RNA-Technologie basieren. Sanofi will bis 2025 mindestens sechs solcher Impfstoffe in die klinische Entwicklung bringen und gründet deshalb ein Kompetenzcenter – speziell für mRNA-Impfstoffe. Rund 400 Mitarbeiter an den Standorten Cambridge in den USA und im französischen Lyon sollen daran arbeiten.
Im April hatte Sanofi bereits das US-Biotechunternehmen Tidal Therapeutics gekauft. Das will mit seiner mRNA-Technologie Immunzellen so programmieren, dass sie im Kampf gegen Krebs und Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden können. Tidal forscht allerdings noch in einer frühen Phase im Tierversuch. Sanofi zahlte zunächst 160 Millionen Dollar, weitere 310 Millionen können nach Erreichen bestimmter Meilensteine hinzukommen.
Der Sanofi-Konzern, der auf einen Jahresumsatz von 36 Milliarden Euro kommt, schärft mit dem Kauf von Translate Bio sein Profil als fokussiertes forschendes Pharmaunternehmen, nachdem der Konzern vor einem Jahrzehnt noch auf die Strategie der Diversifizierung gesetzt hat.
Die einst als Zentiva erworbene Sparte der Nachahmermedikamente (Generika) ist längst wieder verkauft. Das Geschäft mit frei verkäuflichen Arzneimitteln, das 2017 stark mit den Marken von Boehringer Ingelheim ausgebaut wurde, wird auf große internationale Marken fokussiert und soll abgespalten werden.
Der seit September 2019 amtierende Hudson, der früher bei Novartis Pharmachef war, hat die Strategie, die Ressourcen auf das Geschäft mit innovativen Medikamenten und Engagements in neuen Technologien zu verdichten, noch einmal geschärft, indem er den Ausstieg aus der traditionsreichen und umfangreichen Herz-Kreislauf- und Diabetesforschung vorantrieb.
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