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Start-up-Szene in Israel Die digitalen Revolutionshelfer

Große deutsche Konzerne haben die Vorteile der vitalen Technologie- und Start-up-Szene Israels schon lange für sich entdeckt. Zögerlich wagt sich auch der deutsche Mittelstand in das kleine Land am Mittelmeer.
14.11.2017 - 18:07 Uhr Kommentieren
Die Start-up-Szene in Israel mag es unkonventionell. Quelle: Serge Attal / VISUM
Arbeiten in einem Café in Tel Aviv

Die Start-up-Szene in Israel mag es unkonventionell.

(Foto: Serge Attal / VISUM)

Tel Aviv, Düsseldorf, Oerlinghausen Die beiden Welten könnten unterschiedlicher kaum sein. In Israel herrscht ein legerer Umgang, die Kleidung ist selbst bei geschäftlichen Terminen salopp, und im Gespräch wird schnell das Du angeboten. Beobachter sehen als Grund für den lockeren Geschäftston den Militärdienst, der für Israelis vorgeschrieben ist: Wer einmal Drill und Uniform erlebt hat, der scheint es im Berufsleben lockerer angehen lassen zu wollen.

Ganz anders dagegen sind die Sitten im westfälischen Oerlinghausen. Paul von Schubert, Chef der Gundlach Holding, ist ein Familienunternehmer wie aus dem Wirtschaftswunder-Geschichtsbuch: Krawatte, Anzug, Siegelring. Seine Mitarbeiter in Oerlinghausen, wo die Gundlach Verpackung GmbH sitzt, kennt er alle mit Namen und grüßt jeden, den er in den Hallen mit den gewaltigen Druckmaschinen antrifft, mit Handschlag. Siezen ist für die meisten Angestellten eine Selbstverständlichkeit.

Doch trotz der gegensätzlichen Gepflogenheiten besteht zwischen dem traditionellen Familienunternehmen und dem informellen Tel Aviv eine Verbindung – und die ist für beide Seiten wichtig.

Israel hat sich in den vergangenen Jahren zur Hochtechnologie- und Start-up-Nation entwickelt. Kein anderes Land besitzt – pro Kopf gerechnet – derart viele Start-ups wie der kleine Staat am Mittelmeer. Mit 5.000 bis 7.000 Jungunternehmen verfügt Israel über die weltweit höchste Dichte an Neugründungen. Und die Ideen fruchten: Im High-Tech-Bereich lag das Gesamtvolumen der Börsengänge und Firmenverkäufe im Jahr 2015 bei über neun Milliarden US-Dollar – ein 16-prozentiger Anstieg gegenüber dem Vorjahr.

Das Potenzial haben mittlerweile auch die Großen erkannt: Mehr als 320 globale Großunternehmen betreiben Forschungs- und Entwicklungszentren vor Ort. Darunter sind auch deutsche Konzerne wie die Deutsche Telekom, Bosch oder Daimler. Ein Schlaglicht auf das gewaltige Innovationspotenzial des Landes warf der Kauf von Mobileye, ein führendes Start-up für Fahrerassistenzsysteme, durch den Tech-Konzern Intel für rund 15 Milliarden Dollar in diesem Jahr.

Eine in dieser Woche erscheinende Bertelsmann-Studie, die dem Handelsblatt exklusiv vorab vorliegt, zeigt das Potenzial – gerade für den deutschen Mittelstand: „Der hält sich mit seinem Engagement in Israel häufig noch zurück – dabei eröffnen sich hier viele Möglichkeiten, um dem durch die Digitalisierung anhaltenden Innovationsdruck zu begegnen“, sagt Markus Gick, Studienverantwortlicher bei der Bertelsmann Stiftung.

Es hapert am Know-how

Denn zwar wird in Deutschland vom Niederrhein bis ins Allgäu von der Industrie 4.0 gesprochen – mit der Umsetzung tut sich der deutsche Mittelstand dann aber häufig noch schwer. Laut einer Studie der Förderbank KfW gehört gerade einmal ein Fünftel der deutschen Mittelständler in Sachen Industrie 4.0 zu den digitalen Pionieren. Oft fehlt es am nötigen Know-how und den Experten im Haus, die die Digitalisierung vorantreiben.

Israel-Experte Stephan Vopel von der Bertelsmann Stiftung weist daraufhin: „Mittelständler sollten ihre Innovationskapazität nicht auf interne Quellen beschränken, da der weltweite Wettbewerb immer härter wird.“ Die Studie wolle dabei helfen, das Innovationspotenzial des israelischen Start-up-Ökosystems zu verstehen und einen Zugang zu finden. „Wer innovativ bleiben möchte, der sollte sich in Israel umsehen – das Silicon Wadi ist eine attraktive Alternative zum Silicon Valley“, sagt Vopel. Einige deutsche Mittelständler haben das bereits erkannt.

In der israelischen Metropole am Meer wächst eine starke Start-up-Szene heran. Quelle: Gavin Hellier/robertharding/laif
Boomtown Tel Aviv

In der israelischen Metropole am Meer wächst eine starke Start-up-Szene heran.

(Foto: Gavin Hellier/robertharding/laif)

Wenn immer Verpackungen zum Beispiel von Teekanne oder Pringles irgendwo auf der Welt geöffnet werden, dann hat Familienunternehmer von Schubert etwas damit zu tun. Egal ob in Deutsch, Englisch oder Spanisch – die Verpackungen und Banderolen stammen aus der Druckerei von Gundlach in Oerlinghausen. Das 1847 gegründete Familienunternehmen druckt für Tabakfirmen, Tee- oder Lebensmittelhersteller: „Innerhalb der Gundlach Packaging Group mit den Standorten in Oerlinghausen, Mahlberg und Dubai produzieren wir jährlich rund 260.000 Kilometer Verpackung und Etiketten“, sagt von Schubert.

Die Digitalisierung macht aber auch vor der Gundlach-Gruppe nicht halt: „Wir unterscheiden in unseren Geschäftsfeldern zwischen digitalen Geschäftsmodellen und digitalen Prozessen. Verpackungen als Geschäftsfeld wird es immer geben, aber die Prozesse verändern sich durch die Digitalisierung dramatisch und schaffen völlig neue Anwendungen“, erzählt von Schubert. Zum Beispiel der Wunsch nach Individualisierung – wie etwa die Veredelung von Sondereditionen. Das sei teuer und zum Preis von einer Massenproduktion normalerweise nicht darstellbar, meint er. Dafür mussten Prozesse digitalisiert und eine neue Technologie entwickelt werden.

2016 traf von Schubert auf der Druckmesse Drupa in Düsseldorf den Gründer des israelischen Maschinenherstellers Scodix. Das Unternehmen aus Tel Aviv hatte ein Digitaldruckverfahren entwickelt, das Druckerzeugnisse individuell veredeln kann: „Ohne dabei über die wichtige Schwelle eines Massenproduktionspreises zu gehen“, erklärt von Schubert. Die Scodix-Gründer waren auf Gundlach aufmerksam geworden auf der Suche nach einem Partner, der die nötige Erfahrung hatte, eine Maschine zur Marktreife mitzuentwickeln. Nach mehreren Gesprächen schlossen sie sich zusammen – Anfang Oktober kam die Maschine als erstes europäisches Aggregat nach Oerlinghausen: „Der Weg dahin war nicht immer einfach – da trifft solide ostwestfälische Ingenieurarbeit auf getriebene israelische Exzellenz“, sagt Unternehmenschefs von Schubert. Da bräuchte es Verständnis und Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten.

Der Mentalitätsunterschied in deutschen und in israelischen Unternehmen ist groß. Das weiß auch Grisha Alroi-Arloser, Geschäftsführer der deutsch-israelischen Auslandshandelskammer in Tel Aviv. „Israelis haben lernen müssen, dass man sich nicht erst in Bewegung setzen kann, wenn alle Informationen vorliegen. Oft reichen auch fünfzig Prozent, der Rest kommt dann im Lauf“, meint er. Das führt seiner Ansicht nach meist „auf dem kürzesten Weg zur zweitbesten Lösung“. Er beschreibt einen Hang der Deutschen zur Perfektion: „ Auf dem Weg dahin ist die Lösung bereits überholt.“

Bertelsmann-Stiftung-Manager Gick sieht eher die Vorteile der beiden ungleichen Partner: „Israelischer Gründergeist und deutsches langfristiges Denken ergänzen sich in besonderer Weise, um erfolgreich innovative Produkte zu entwickeln.“
Dass sich deutsche und israelische Unternehmen so oft zusammentun, liegt auch an der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage. „Im Grunde haben wir in Israel keine Anwendungsmöglichkeit für unsere digitalen Industrielösungen – die Unternehmen sitzen in Deutschland“, meint Alroi-Arloser. Beide Seiten würden am Ende profitieren.

Deutsche Unternehmer reisen nach Israel und knüpfen dort geschäftliche Kontakte. Quelle: Dagmar Schwelle/laif
City von Tel Aviv

Deutsche Unternehmer reisen nach Israel und knüpfen dort geschäftliche Kontakte.

(Foto: Dagmar Schwelle/laif)

Auf dieses Modell setzt auch der Maschinenbauer Harro Höfliger aus Allmersbach bei Stuttgart. Das Unternehmen produziert Verpackungsmaschinen und Produktionsanlagen, zu den Kunden gehören Unternehmen aus der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie. Höfliger ist ein Hidden Champion, einer, der es sich nicht leisten kann, irgendetwas bei der Digitalisierung zu verschlafen: „Da müssen wir immer am Ball bleiben und schauen, welche neuen Verfahren und Produkte für uns interessant sind“, sagt Höfliger-Vertriebschef Frank Erbach.

Inspiration und Innovation kommen da auch aus Israel: „Start-ups aus dem Pharma- und Gesundheitsbereich von dort kommen mit einer Idee zu uns, und wir helfen ihnen mit unserem Know-how, diese zur Marktreife zu entwickeln“, sagt Erbach. Ein eigenes Team hilft den israelischen Jungunternehmern bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Ideen: „Die Gründer können sich keine fertig entwickelte Maschine kaufen – oft brauchen sie eine spezielle Produktionslösung.“

Davon profitiert Höfliger auf verschiedene Art und Weise: Zum einen kommt so die Innovation ins Haus, zum anderen bleiben die Start-ups bei ihrer späteren Marktreife dem Unternehmen meist treu: „Wenn wir eine hochkomplexe Maschine für das jeweilige Produkt entworfen haben, geht kaum einer zur Konkurrenz“, erzählt Erbach. In Ausnahmefällen investiert Höfliger sogar selbst. „Wir helfen dann bei der Finanzierung und übernehmen einen gewissen Prozentsatz am Unternehmen“, sagt Erbach. Das Engagement aus Allmersbach spricht sich herum – seit 2007 gab es Partnerschaften mit etwa 40 israelischen Start-ups.

Kein lukrativer Markt

Noch scheuen sich viele Mittelständler vor einem Einstieg in die Szene. Die Gründe dafür sind vielfältig, weiß Gick von der Bertelsmann Stiftung: „Das kann an einem befürchteten Sicherheitsrisiko liegen oder aber daran, dass man ungern Forschungsaktivitäten außer Haus gibt.“ Ein großes Problem ist auch der Markt: „Israel ist mit seinen knapp acht Millionen Einwohnern kein besonders lukrativer Markt“, sagt Gick. Dabei sollten Unternehmer nicht nur die Absatzchancen sehen, sondern die Marktperspektive durch eine Forschungsperspektive ergänzen, meint der Studienverantwortliche: „In einer globalisierten Welt zählt der Innovationsvorsprung – mehr als der einzelne Absatzmarkt.“

Die Möglichkeiten, in Israel Fuß zu fassen, sind dabei zahlreich: von Bündnissen und strategischen Partnerschaften über Investitionen bis hin zur Schaffung einer lokalen Forschungs- und Entwicklungseinheit. Den Anfang kann dabei oft eine Delegationsreise machen – die zum Beispiel von deutschen Institutionen angeboten werden.

So kam auch Horst Gabriel aus Solingen das erste Mal im Oktober dieses Jahres nach Israel. Gabriel ist Geschäftsführer der von seinem Großvater gegründeten Ernst Ludwig Emde GmbH, die Metallstecker für Schalter und Steckdosen in der Automobil- und Elektroindustrie fertigt.

Gabriel nahm an einer von der Stadt Solingen organisierten Reise für Unternehmer teil – und wurde direkt fündig: In Jerusalem traf der Unternehmer ein Start-up, das es geschafft hat, aus vielen speziellen Teilen für eine Stanzmaschine eine Einheit zu fertigen: „In der Größe einer Zigarrenpackung – das ist schon ziemlich genial“, meint Gabriel anerkennend. Er hat den Erfinder aus Jerusalem nach Solingen eingeladen, die Gespräche laufen.

Auch sonst war Gabriel von der israelischen Gründungsszene beeindruckt: „Das ist hier keine Forschung im luftleeren Raum, sondern es finden sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in Deutschland.“ Auch ein Start-up aus Tel Aviv, das spezielle Farben für den 3D-Druck erfunden hat, will sich Gabriel noch einmal genauer anschauen.

Von der informellen Art der Israelis hatte Gabriel schon vor seiner Reise gehört – Anzug und Krawatte ließ er im Kleiderschrank in Solingen. Vor einem Treffen der Delegation mit dem israelischen Wirtschaftsminister fiel ihm das dann schmerzlich ein – und musste sich eine Krawatte leihen. „Das war aber eigentlich gar nicht nötig – der Minister hatte nämlich keine an“, sagt Gabriel schmunzelnd.

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