Familienunternehmen Haniel steigert Umsatz und treibt Ausrichtung auf „Enkelfähigkeit“ voran

Der Haniel-Chef Thomas Schmidt will die Gruppe fit für die Zukunft machen.
Düsseldorf Die Geschichte des Familienunternehmens Haniel geht bis 1756 zurück. Thomas Schmidt ist angetreten, den Konzern zu transformieren. „Haniel hat sein Potenzial 20 Jahre lang nicht realisiert“, sagt Schmidt im Interview mit dem Handelsblatt.
Beim Spaziergang am Rhein spricht der Haniel-Chef, der seit 2019 im Amt ist, über die Zukunft des Unternehmens, von neuen Werten, denn die sind erklärungsbedürftig: In den Zahlen für 2020 erkennt man die Zukunft noch nicht so klar, wie Schmidt sie sieht.
Haniel hat im abgelaufenen Jahr mehr Umsatz gemacht, der Gewinn fällt allerdings niedriger aus. So stiegen die Erlöse um fünf Prozent von 2,95 Milliarden auf 3,1 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis sank um fünf Prozent auf 235 Millionen Euro. Der Vorsteuergewinn reduzierte sich um 20 Prozent auf 153 Millionen Euro.
Dennoch sei 2020 ein „extrem erfolgreiches Jahr“ gewesen, sagt Schmidt, gerade das operative Geschäft laufe gut. Die Gruppe habe ihren Unternehmenswert erheblich gesteigert.
Fakt ist aber auch: Die Personaldecke der Holding wurde halbiert, viele frühere Führungskräfte, die lange Jahre am Duisburger Franz-Haniel-Platz dienten, haben sich verabschiedet. Mal mehr, mal weniger freiwillig, wie unternehmensnahe Kreise berichten.
Ein Haniel-Kenner sagt, man spüre die Transformation und die neue Unternehmenskultur. Ein etwas kritischerer Betrachter hält den von Schmidt ersonnenen „Haniel Operating Way“, kurz How genannt, für weniger modern und eher hart. Das sei mehr die Kultur von General Electric, wo Schmidt einst Karriere machte, als Familienunternehmenskultur.
Was bei Haniel „Enkelfähigkeit“ bedeutet
Das Ergebnis: 50 Prozent neue Positionen gibt es in der 100-köpfigen Führungsmannschaft, zählt Schmidt zusammen. Vor allem mehr Frauen gehören dazu. Das ist eines der neuen Ziele: 50 Prozent Frauen auf allen Ebenen. Aktuell machen sie nur ein Viertel aus.
Doch es gab auch Rückschläge für Schmidt. Über einen geplatzten Deal regte er sich öffentlichkeitswirksam via LinkedIn in einem Video auf. „Der Verkäufer hat sich an die mündliche Zusage nicht gehalten. Das war ein großer Deal, er hätte einen unserer Geschäftsbereiche komplett neu definiert und die Größe vervielfacht“, ärgert er sich immer noch. Doch von seiner Vision bringt ihn der Rückschlag nicht ab.
Denn Schmidt will Haniel „enkelfähig“ machen. Das Wort ist eng mit Haniel verbunden, Schmidt will den Begriff „deutlich größer denken“ als das Unternehmen und neu aufladen.
In einem Satz sagt der Haniel-Chef: „Wir wollen den Nachweis erbringen, dass wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit zusammen gehen. Und dass es nur so geht.“ Doch die Jahreszahlen zeigen: Das wird ein weiter Weg.
Der Umbruch ist im Gange. Schmidt und das Investmentkomitee haben schon aussortiert: Die ELG, der Edelmetall-Recycler, ist bereits entkonsolidiert. Er steht zum Verkauf und unter dem Label „Aktivität wird nicht fortgeführt“. Daher wurde er auch aus dem Vergleichsumsatz 2019 nachträglich herausgerechnet, der zuvor bei deutlich mehr als vier Milliarden Euro gelegen hatte.
Der Büroartikelversand Takkt konnte nicht einsortiert werden in die neuen Zukunftsprojekte von Haniel, die sich in die drei Portfoliofelder „Planet“, „People“ und „Progress“ aufteilen. Das hinterlässt ebenfalls Fragezeichen, weil Schmidt Takkt erst in der Transformation sieht. Es passt also nicht zu den drei P, die mehr Nachhaltigkeit und Fortschritt bringen sollen.
Die Mitarbeiter von ELG und Takkt könnten das schon als hart empfinden. Aus Schmidts Sicht stellt sich die Entscheidung naturgemäß ganz anders dar. „Transparent und ehrlich“ nennt er das, es gehöre zur neuen Unternehmenskultur. Mitarbeiterumfragen in der Holding zeigten eine fast 90-prozentige Zustimmung für die Transformation, behauptet Schmidt.
Für ein Urteil sei es noch zu früh, sagt ein langjähriger Kenner des Unternehmens. Die Akquisitionen in den Jahren 2020 und 2021, insbesondere der Kauf des Matratzen-Onlinehändlers Emma und des Bauüberwachungsspezialisten Bauwatch, seien konkrete Ergebnisse der eingeleiteten Transformation. „Die Veränderung der Kultur am Franz-Haniel-Platz ist spürbar.“
60 Millionen Euro Dividende für die Haniel-Gesellschafter
Der Transformationsprozess sei damit natürlich noch nicht abgeschlossen, ergänzt der Experte. Haniel-Chef Schmidt sieht das Unternehmen naturgemäß auf einem guten Weg, trotz der Zahlen. Schließlich können sich die mehr als 720 Gesellschafter für das Jahr 2020 über 60 Millionen Euro Dividende freuen. „Das haben wir uns verdient“, sagt Schmidt selbstbewusst.
Dabei hat er sich im Grunde bereits selbst entmachtet. Denn: „Den Vorstand als Entscheidungsgremium haben wir abgeschafft.“ Das war schon im vergangenen Jahr.
Stattdessen entscheidet das Investmentkomitee gemeinsam. Darin finden sich neben ihm und dem Finanzvorstand Florian Funck die Investmentpartner für die drei Geschäftsbereiche People, Planet und Progress sowie der „How-Meister“, wie Schmidt ihn nennt, Alexander Granderath.
Doch Schmidt steht unter Druck: Haniel sei 20 Jahre nicht gewachsen. Da kämen dann keine weiteren 265 Jahre, wenn das so weitergehe. Das reiche nicht und nicht nur wegen der steigenden Zahl der Gesellschafter. Jüngere Firmen müssen her, solche mit viel Potenzial.
Tatsächlich wurden seit 2019 rund 1,4 Milliarden Euro investiert. Das Geld floss in den Hygienespezialisten CWS, Emma und Bauwatch, 30 kleine Akquisitionen und neun Fonds, die nach eigener Definition alle zum neuen „enkelfähigen“ Ansatz passten. Jede Akquisition muss auf die drei Ps einzahlen, sagt Schmidt.
Doch ganz so nachhaltig sind die Geschäftsmodelle noch nicht. Beispiel Emma: Schmidt genügt es, dass Emma zum Thema Schlaf, zum Wohlbefinden und damit zum Bereich „People“ zu zählen sei, die Nachhaltigkeit werde man angehen.
Bei allen Schlagworten und Zielen, an denen sich Schmidt gern festhält, wie mehrjährige Kenner bestätigen: Quantifizieren kann Schmidt die Nachhaltigkeitsfortschritte noch nicht. Es gibt allenfalls Indizien für den Weg.
Bei CWS werde es künftig nur noch nachhaltige Baumwolle geben. Bei einem potenziellen Unternehmen sei man nicht eingestiegen, weil es Massentierhalter als Kunden hatte. Mit der Beteiligung am Vertical-Farming-Spezialisten Infarm gehört moderne Lebensmittelerzeugung inzwischen zum Portfolio. Haniel will künftig mehr in diesem Bereich investieren, aber auch in erneuerbare Energien und recyclingfähige Verpackungen.
Nachhaltigkeit muss in die Haniel-Bilanz
Schmidt selbst hat dank des Investmentkomitees mehr Freiraum, um sich um die großen Themen zu kümmern. Nachhaltigkeit, Diversität, Performance und eben die „Enkelfähigkeit“ als Oberbegriff beschäftigen ihn. In diesem Jahr will er das Thema über Haniel hinaus voranbringen. Seine Überzeugung: „Die Idee ist größer als das Unternehmen.“
Er denkt über Kooperationen mit anderen Familienunternehmen nach, die Neuausrichtung der Haniel-Stiftung auf die Unterstützung „enkelfähiger“ Gründungen, auch über Lehrstühle zum Thema. Außerdem sind neue Formen der Bilanzierung im Gespräch. Denn Wachstum müsse im Einklang mit den Ressourcen ablaufen. „Wir müssen unsere Bilanz künftig anders aufstellen und soziale und ökologische Effekte mit bepreisen.“
Das Ziel: Ein Wachstum von neun Prozent bei der Gesamtrendite des Portfolios. Performance bleibt also wichtig, bei allen Visionen und der Mission, die Schmidt erfüllen will. Bevor er bei Haniel aufhöre, solle das Wort „enkelfähig“ verbunden mit der Vision von modernem, nachhaltig erfolgreichem Wirtschaften wie der Begriff „Kindergarten“ auf Deutsch auch im amerikanischen Wörterbuch stehen. Bis dahin ist der Weg noch weit.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.