Ausstellung: Gerhard Richters Stilbruch folgt einem Prinzip

Düsseldorf. Vor gut einem Jahr wurde in New York Gerhard Richters „Abstraktes Bild (636)“ von Phillips für 34,8 Millionen Dollar versteigert und steht damit auf Platz vier der höchsten Auktionsergebnisse des in Köln lebenden Malers. Den Spitzenpreis hält immer noch „Abstraktes Bild (599)“, das bereits 2015 bei Sotheby’s in London für umgerechnet 46,3 Millionen Dollar verkauft wurde.
Aufgrund seiner nicht nachlassenden Attraktion für den Kunstmarkt ist Gerhard Richter in diesen Tagen erneut als weltweit wichtigster Künstler des seit 54 Jahren publizierten Rankings „Kunstkompass“ gekürt worden: ein Platz, den der Wahl-Kölner ohne Unterbrechung seit nunmehr 21 Jahren behauptet.
Der Markt liebt die stark farbigen Abstraktionen Richters besonders; sie prägen die öffentliche Wahrnehmung des Malers, dessen Oeuvre in Wahrheit irritierend vielfältig, ja widersprüchlich und im Wesentlichen von einem Spannungsverhältnis von figurativer und abstrakter Formensprache geprägt ist.
Dass Richter auch zwischen diesen beiden Polen ein weites Feld von Möglichkeiten erforschte und bearbeitete, zeigt nun eindrucksvoll die große Herbstausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast. Sie zeigt unter dem einladenden Titel „Verborgene Schätze“ Arbeiten aus rheinischen Sammlungen, die bislang selten oder nie in der Öffentlichkeit zu sehen waren.
Rund 120 Werke aus allen Werkphasen seit den mittleren 1960er-Jahren bis 2018 werden in der kompakten Schau in überwiegend chronologisch konzipierten Blöcken präsentiert. Es sind einige Überraschungen dabei wie etwa der einzige Film, den Richter 1966 gedreht hat. Er zeigt den Kunstfan Volker Bradke in Performance-Aktion, gefilmt in extremer Unschärfe. Die Arbeit, die eher als Anekdote zu verstehen ist, stammt aus Richters Privatbesitz.

Andere Arbeiten wie etwa die frühen erotischen Fotobilder oder aus gleicher Zeit die fremd wirkenden Trompe-lʼŒil-Exerzitien, die gerissene Papierbögen evozieren, die skulpturale Arbeit „1 Röhre“ oder die feine Grafit-Zeichnung „Mann, aus dem Fenster springend“ zeigen weniger bekannte Seiten seines Schaffens und ergänzen es um interessante Nuancen. Vor allem aber unterstreichen sie die ruhelosen Denkbewegungen des Malers, dessen Freiheitsdrang gepaart ist mit einer ausgeprägten Kunstskepsis. Bereits 1970 umschrieb er sein künstlerisches Credo: „Ich möchte die Methode wechseln, sooft es angebracht ist.“
Auf die Phase der frühen Fotobilder mit ihren verwischten Konturen, die als Stilmittel in seinem Werk immer wieder auftauchen, folgen in der Ausstellung getreu der Entwicklung Richters erste Landschaftsbilder. Sie gipfeln in den ikonischen Wolkenbildern, die sich hier in einem der größten Säle majestätisch ausbreiten und ihre magische Wirkung entfalten.
Weniger verankert im kollektiven Kunstgedächtnis ist Richters Phase der „Grauen Bilder“, die parallel mit den ersten Farbtafelbildern entstanden sind und früh das Interesse der aufgeschlossenen rheinischen Kunstsammler weckten.
Das teure Spätwerk nur aus großen Sammlungen
Die graue Farbe, mit der Richter die Leinwände gleichsam zu versiegeln schien, „belehrte“ ihn schließlich, in den absichtslos aufgetragenen Farbflächen signifikante Qualitätsunterschiede zu entdecken. Tatsächlich beeindruckt die haptische Präsenz dieser hier in dichter Reihe präsentierten „Grauen Bilder“, während eine in Petersburger Hängung gezeigte Auswahl kleinerer Werke verwirrend vielfältig und – natürlich bewusst – beliebig wirkt.
In den 1980er-Jahren schließlich beginnt Richter mit den freien Abstraktionen, für die er keine Fotomotive mehr braucht, sondern die Malerei selbst in den Mittelpunkt stellt: die Farbe, die Leinwand, die Auftragungs- und Freilegungs-Techniken mit Spachtel und Rakel. Wieder geht es um absichtsloses, nur dem Prozess folgendes künstlerisches Schaffen. Die Werktitel wie „Pfad“ oder „Vögel“ führen in die Irre, denn Richter vergibt sie erst, wenn die Arbeit beendet ist. Sie sind lediglich freie Assoziationen.
Aus den 1990er-Jahren, als der Blue-Chip-Markt den Maler Richter entdeckt, ist die Auswahl im Kunstpalast konsequenterweise eher schmal abgedeckt. Kein Wunder, die rheinischen Sammler, die fast alle anonym bleiben, sind keine Superreichen.
So wundert es wenig, wenn zur Spätphase von Richters Werk, die spätexpressionistisch abstrakten Werke, mit denen Richter 2017 seine Malerei für abgeschlossen erklärt hat, Bilder aus großen Sammlungen wie der Haniel- oder der Olbricht Collection beigesteuert wurden.


Der letzte Raum steht unter dem Titel „Persönliche Bilder“ und versucht, die von Richter selbst immer wieder reklamierte Distanz zwischen seiner Person und seinem Werk zu unterlaufen. Etwa mit „Moritz“ von 2000, dem Porträt seines Sohnes im Säuglingsalter mit Schlabberlatz und den Betrachter – also den Vater – durchbohrendem Blick.
„Gerhard Richter. Verborgene Schätze“, Kunstpalast Düsseldorf, bis 2. Februar 2025. Der Katalog erscheint bei Hatje Cantz, an der Museumskasse kostet er 49 Euro, im Buchhandel 54 Euro.






