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  4. Gerhard Richters Abstraktionen in Berlins Neuer Nationalgalerie existenziell gedeutet

Ausstellung in BerlinGerhard Richters farbselige Abstraktionen

Die Neue Nationalgalerie präsentiert in einer neuen Dauerausstellung 100 Leihgaben aus der Stiftung des weltberühmten Künstlers. Das Spätwerk dominiert.Christian Herchenröder 17.04.2023 - 09:08 Uhr Artikel anhören

Blick auf das riesige vierteilige Streifenbild „Strip”, 2013/2016, in der Ausstellung „Gerhard Richter. 100 Werke für Berlin“.

Foto: David von Becker; Gerhard Richter 2023 (31032023)

Berlin. Wer über Gerhard Richter spricht, hat stets den Gedanken im Hinterkopf, dass er der teuerste deutsche Künstler der Gegenwart ist. Das hat sich nicht erst seit dem Rekordpreis von 46 Millionen Dollar herumgesprochen, die 2015 ein großes abstraktes Gemälde von 1986 bei Sotheby’s erlöste.

In der Folgezeit erzielten immer wieder einzelne Werke hohe zweistellige Millionensummen, zuletzt 36,5 Millionen Dollar im Mai 2022 bei Christie’s für eine Abstraktion von 1994, die 2001 aus der Berliner Sammlung Pietzsch noch für zwölf Millionen Dollar zugeschlagen wurde.

Schon 1995 hatte das New Yorker Museum of Modern Art Richters realistischen Stammheim-Zyklus „18. Oktober 1977“ für drei Millionen Dollar erworben und den Künstler damit zu einem Klassiker der Gegenwartskunst geadelt. Zahlreiche Retrospektiven folgten. Eine der umfangreichsten war die 2012 von der Londoner Tate Modern über die Neue Berliner Nationalgalerie in das Pariser Centre Pompidou gewanderte „Panorama“-Schau.

Das 2005 in Dresden, der Geburtsstadt des Künstlers, gegründete Gerhard Richter Archiv, erarbeitete das sechsbändige Werkverzeichnis und organisierte im Frühjahr 2022 im Dresdener Albertinum zum 90. Geburtstag Richters eine vom Künstler ausgewählte Werkschau, die den Kern seines Gesamtwerks erfasste.

Jetzt zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin rund 100 Arbeiten, die ihr im November 2021 durch einen langfristigen Leihvertrag von der Gerhard Richter Kunststiftung zur Verfügung gestellt wurden. Sie sollen später im schleppend entstehenden Neubau am Kulturforum ausgestellt werden, dessen Baukosten sich nach jüngsten Berechnungen auf 542 Millionen Euro verteuern. Mit der Fertigstellung sei nicht vor 2027 zu rechnen, hieß es jüngst.

Wer die im Graphischen Kabinett der Neuen Nationalgalerie geparkten Leihgaben der Richter-Stiftung abschreitet, muss eine Dominanz des Spätwerks erkennen. 2020 ist ein Bestandskatalog mit 127 Werken erschienen, die der Künstler zu diesem Zeitpunkt der Stiftung übereignet hatte. Aus diesem Fundus stammen überwiegend die in Berlin gezeigten Werke.

Die vierteilige – nach 1944 heimlich im Konzentrationslager geschossenen Fotos entstandene – Serie „Birkenau” gehört zu den Höhepunkten der abstrakten Werke. Unter schwarzen Rakelstreifen erscheint blutiges Rot und lichtes Grün als brutal abgewürgtes Lebenselement.

Foto: David von Becker; Gerhard Richter 2023 (31032023)

2016 und 2017 entstanden die meisten der hier so übermächtigen abstrakten Bilder. Es war die letzte Werkreihe, in der Richter Bilder in dieser Technik schuf. Danach konzentrierte er sich auf Papierarbeiten, die auf den ersten Blick wie farbgesättigte Aquarelle wirken, aber mit dicht fließenden Glasmalfarben aufgetragen wurden. Reichlich sind auch seit den Neunzigerjahren übermalte Fotografien entstanden, von denen einige immer wieder in deutschen Auktionen erscheinen.

Ein riesiges vierteiliges Streifenbild („Strip“, 2013/2016) zieht in die Schau hinein. Das wie ein Werk der Op Art wirkende, das Farbspektrum auslotende Werk ist ein wandfüllender Digitalabdruck auf Papier. Nicht minder monumental sind drei Tafeln aus der Serie der Bilder, in denen Richter 196 Farben in exakten Quadraten aneinanderreiht.

Offsetdrucke von frühen fotorealistischen Bildern Richters ersetzen in dieser Schau die längst in Sammlungen verschwundenen Gemälde aus den Sechzigerjahren. Auf den Fotorealismus der Achtzigerjahre verweisen ein kleines Bild mit Totenschädel und das „Besetzte Haus“.

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Ein Höhepunkt der abstrakten Werke ist die vierteilige – nach 1944 heimlich im Konzentrationslager geschossenen Fotos entstandene – Serie „Birkenau“. Im Format von 260 mal 200 Zentimetern spielt nicht mehr der Zufall die Hauptrolle. Unter schwarzen Rakelstreifen erscheint blutiges Rot und lichtes Grün als brutal abgewürgtes Lebenselement.

Neben diesem Exponat wirken die weiteren mehr oder minder farbseligen Abstraktionen wie austauschbare Repetitionen ein und desselben Grundgedankens, der hier vielleicht auch existenziell zu deuten wäre: Werke, die gegen den Tod gemalt und gespachtelt sind.

Bis auf Weiteres in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Katalog der Gerhard Richter Kunststiftung im Verlag Walther und Franz König: 28 Euro
Mehr: Auktionsvorschau: 25 Millionen für Gerhard Richters „4096 Farben“

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