Messebericht: Blicke über den Tellerrand
Köln. „Alle wollen nach oben“, seufzt ein Aussteller der Art Cologne. Im Obergeschoss der Messehalle ist die zeitgenössische Kunst zu Hause. Der erste Weg führt die meisten Vernissagegäste und andere Besucher bevorzugt die Rolltreppe hinauf. Denn hier erschließt sich ihnen das aktuelle Angebot der ältesten noch laufenden Messe für zeitgenössische Kunst. Das Spektrum reicht von der musealen 190-teiligen Arbeit „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ von Hanne Darboven aus dem Jahr 1990 an einem Gemeinschaftsstand der weltweit agierenden Galerien Michael Werner und Sprüth Magers, über Großformate von Georg Baselitz bei Thaddaeus Ropac für 2,2 Millionen oder Neo Rauch bei Eigen+Art im jeweils sechs- und siebenstelligen Preisbereich und kleineren Gemälden von Katharina Grosse bei der Galerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder aus Wien für 260.000 Euro bis hin zu ganz jungen Positionen für unter 1000 Euro.
950 Euro kosten die knapp DIN A4-großen Aquarelle von Tim Sandow am Gemeinschaftsstand von Droste aus Düsseldorf und Gebrüder Lehmann aus Dresden. Die beiden Galerien teilen sich die Düsseldorfer Künstlerin Tatjana Doll. Die hatte gerade eine Residency im CAC Andratx auf Mallorca und hat dort hundert Aquarelle geschaffen, die alle am Stand für jeweils 2850 Euro zu haben sind, inklusive Rahmen und Mehrwertsteuer. Daraus entwickelte sich die Idee, einen Stand nur mit Arbeiten auf Papier zu gestalten. Bei den im Vergleich zu Leinwandarbeiten günstigeren Preisen fällt die Kaufentscheidung nicht so schwer. Außerdem ist das Projekt eine schöne Einstimmung auf die Art Cologne Palma Mallorca im nächsten Frühjahr.
Doch leidet gerade dieses Segment der jüngeren und preiswerteren Kunst an der immer noch anhaltenden Marktflaute, die nicht zuletzt strukturelle Ursachen hat. Der Kölner Salon Verlag feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen und nimmt gleichzeitig zum letzten Mal an der Art Cologne teil. Gerhard Theewen, der Verleger von Künstlerbüchern und Editionen, begründet seinen Rückzug damit, dass sich die Kurven von Umsatz und Teilnahmekosten seit geraumer Zeit in unterschiedliche Richtungen bewegen. Die Preise für seine Editionen in kleinen Auflagen, zum Teil mit Unikatcharakter, beginnen bei 50 Euro. Seine Hallennachbarn sind vor allem Vertreter des klassischen Kunsthandels, die früher vor allem Klassische Moderne im Angebot hatten.
Der Kunsthandel Thole Rotermund aus Hamburg ist das beste Beispiel dafür, warum man die Verteilung über die beiden Stockwerke der Messe vielleicht neu denken sollte. Denn mittlerweile ist Rotermund nach seiner Beobachtung der einzige, der bis auf eine Ausnahme konsequent Klassische Moderne am Stand zeigt. Ansonsten bevorzugen auch im Untergeschoss die meisten Galerien einen Mix aus Nachkriegskunst und Zeitgenössischem. Zum Beispiel die Galerie Samuelis Baumgarte aus Bielefeld, die ihr 50-jähriges Bestehen mit einem beeindruckenden wandfüllenden Reliefbild von Anselm Kiefer feiert. „Herbst. Für Rainer Maria Rilke“ misst 3,30 auf 5,70 Meter und soll 2,45 Millionen Euro kosten. Im Hintergrund des Standes ist eine Wand mit kleinformatigen Arbeiten der Zwischenkriegszeit bestückt.
Doch seit sich die Art Cologne nur noch über zwei Geschosse erstreckt, sind die Editionen und Verlage sowie die Institutionen Rolltreppe abwärts bei der älteren Kunst untergebracht und dort nicht ideal. So sind Speaking Garments aus Köln ebenfalls hier unten zu finden. Die Editionsmode ab 250 Euro von Lena Miccio wäre jedoch bestens geeignet, auch bisher eher kunstferne jüngere Menschen anzusprechen. Die wiederum werden sich eher selten hierher verirren, sondern den zeitgenössischen Bereich oben aufsuchen. Die von und mit Künstlern wie Walter Dahn oder Gert und Uwe Tobias gestalteten T-Shirts, Hoodies und Mäntel korrespondieren hervorragend mit dem Projekt „Prompt Baby“ oben im Bereich der „New Positions“. Die von Nagel Draxler vertretene Künstlerin Sarah Friend hat in vorherigen Aktionen von Sammlern sogenannte Prompts erstellen lassen, mit denen eine KI erotische Bilder von ihr selbst generiert hat, die anschließend als NFTs gemintet wurden. Nicht in NFTs umgewandelte Bilder wiederum sind in einer Editionsbox erhältlich, vergleichbar Sammelbildchen, die den älteren vielleicht noch von den Panini-Alben bekannt sind. Im heutigen Bereich der Collectibles haben solche Bilder einen riesigen Markt, etwa im Sportbereich oder bei Mangas. Friend hat eine 300er-Edition von neun Motiven aufgelegt, die den Regeln dieses Marktes folgt. Die kleinen Wundertüten kosten je 125 Euro. Zusätzlichen Anreiz zum Kauf mehrerer Exemplare bieten die besonders raren Special-Edition-Bilder mit Glitzer – eben ganz so wie bei der Hype-Ware Labubu. Von solchen Blicken über den Tellerrand der eigenen Branche mit ihren traditionellen Sparten kann die Kunst nur profitieren.
Das junge Köln trifft sich allerdings bei Neu Cöln. Die sehr kurzfristig auf die Beine gestellte Veranstaltung versammelt junge und etablierte Galerien, die zum großen Teil ebenfalls auf der Art Cologne ausstellen. Im Stadtzentrum direkt neben dem Kunstverein präsentieren 34 Galerien Projekte und Arbeiten in 45 Solopräsentationen. Mitinitiator ist der Musiker Jens-Uwe Berger, der zusammen mit seinem Künstlerfreund Albert Oehlen eine ratternde Installation zeigt. Im Keller hängen Werke von Sigmar Polke, die der Sammler Rainer Speck zur Verfügung gestellt hat.
Die Wiener Galerie Christine König ist gleich mit zwei großformatigen Arbeiten dabei, einer Projektion von Alwin Lay auf die Schaufensterscheibe und einer Neon-Skulptur von Joseph Kosuth. Ob letztere zum Preis von 180.000 Euro hier einen Käufer findet, ist weder der Galerie, noch den Veranstaltern ein zentrales Anliegen. „Es geht uns darum, Kunst zu zeigen und in der Stadt sichtbar zu machen“, erklärt Berger. Die Teilnahme kostet für Galerien 1250 Euro pro Position, Off-Spaces zahlen gar nur 250 Euro.
Aufmerksamkeit erfährt die Kunst dafür im Übermaß. Zur Eröffnung am Mittwochabend zog sich die Warteschlange vor dem proppevollen Gebäude bis zur übernächsten Straßenecke. Und das überwiegend junge Publikum wartete geduldig. Das Interesse an Kunst ist also auch bei jüngeren Generationen vorhanden. Die gilt es, auf die Messe und in die Galerien zu holen. Köln scheint da gerade einen guten Weg zu finden.
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