Nachhaltigkeit Kunststoffspezialist Röchling setzt auf Bio-Alternativen zum Plastik

Das Familienunternehmen will in den kommenden drei Jahren einen mittleren bis hohen einstelligen Millionenbetrag investieren., um das Thema nachhaltige Produktalternativen voranzutreiben.
Mannheim Der Kunststoffspezialist Röchling will sein Angebot an nachhaltigen Produkten deutlich ausbauen. „Wir wollen bis spätestens 2035 für jeden von uns angebotenen Kunststoff eine biologische Alternative anbieten“, sagt Vorstandschef Hanns-Peter Knaebel im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Wenn es schneller ginge, wäre es mir sehr recht.“
Biologische Alternative bedeutet für den Firmenchef dreierlei: Die Kunststoffe können aus nachwachsenden Rohstoffen, etwa Biopolymeren, hergestellt sein, oder sie sind biologisch abbaubar. Im dritten Fall können sie in einer Kreislaufwirtschaft recycelt werden.
Die Ziele von Knaebel – der promovierte Arzt übernahm Anfang 2018 die Führung bei Röchling und war davor Chef beim Medizintechnikhersteller Aesculap – sind ehrgeizig. Aktuell habe das Unternehmen erst für rund zehn Prozent der verwendeten Kunststoffe eine biologische Alternative, räumt der Manager ein.
Doch es gehe nicht zuletzt um die Zukunftssicherung der Gruppe. „Ein bisschen müssen wir den Markt auch machen, um das nachhaltige Angebot parat zu haben, wenn unsere Kunden es eines Tages einfordern“, sagt Knaebel, der 1968 in Stuttgart geboren wurde.
Das Familienunternehmen Röchling ist ein Hersteller von Spezialkunststoffen, der Kunden in den Bereichen Automobil, Industrie und Medizin mit Komponenten beliefert. Die Gruppe ging aus einer Stahldynastie hervor, konzentrierte sich aber nach 2004 auf den modernen Werkstoff. Im Jahr 2019 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von knapp 2,4 Milliarden Euro.
Röchling investiert in das Thema Nachhaltigkeit
Die Autobranche ist ein wichtiger Kunde für das Unternehmen. Mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro steuerte diese Sparte im Jahr 2019 über die Hälfte zu den Gruppenerlösen bei. Röchling ist unter anderem der Hersteller von sogenannten SCR-Tanks für die Adblue-Zugabe bei Dieselfahrzeugen.
Der hohe Umsatzanteil des Automobilsektors wird sich trotz des Umbruchs in der Autoindustrie vorerst nicht ändern. Das Familienunternehmen arbeitet mit seinen Kunststoffen unter anderem am Thema Gewichtsreduzierung, das für Elektrofahrzeuge enorm wichtig ist.
Über die Bilanz des Corona-Jahres 2020 will Röchling in einigen Wochen berichten. Nur so viel ließ sich Knaebel entlocken: „Das erste Halbjahr war teilweise dramatisch. Wenn man im April oder Mai in Nordamerika und Europa plötzlich mit einem Minus von 85 Prozent konfrontiert wird, muss man schon mal kräftig schlucken.“
In der zweiten Jahreshälfte habe sich die Situation stabilisiert, auch wenn die Rückgänge der ersten Monate nicht mehr kompensiert werden konnten. Aber die Gruppe sei ohne Hilfskredite etwa der KfW ausgekommen.
So wie Röchling wollen viele deutsche Kunststoffhersteller in den kommenden Jahren ihre Produktion umstellen: Sie gehen mittel- bis langfristig weg von Öl und Gas als Rohstoff und suchen nach erneuerbaren Alternativen. Das alte Modell, bei dem Plastik auf Müllbergen landet, soll in einigen Jahren der Vergangenheit angehören. Stattdessen sollen die Stoffe wiederverwertet werden.

Der promovierte Mediziner will das Familienunternehmen stärker auf Nachhaltigkeit trimmen.
Die Firmen investieren kräftig in diese Kreislaufwirtschaft. So nutzt der Dax-Konzern Covestro bereits Basisprodukte für Kunststoffe, die aus Altölen und -fetten gewonnen werden. Auch Biomasse könnte zur neuen Quelle werden. Die Umstellung wird Jahrzehnte brauchen, denn aktuell basieren mehr als 90 Prozent der Kunststoffe auf Öl und Gas. Doch rücken erneuerbare Rohstoffe immer stärker ins Zentrum der Firmenstrategien.
Röchling-Chef Knaebel will in den kommenden drei Jahren einen mittleren bis hohen einstelligen Millionenbetrag in die Entwicklung nachhaltiger Alternativen investieren. Damit sollen unter anderem die nötige Kompetenz im Unternehmen aufgebaut und Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Rohstofflieferanten ausgebaut werden.
Dass der nachhaltige Weg die Produkte vermutlich teurer macht, ist dem Firmenchef bewusst. „Wir werden sicher auf einem höheren Preisniveau beginnen. Da werden wir bei unseren Kunden Geduld einfordern müssen“, so Knaebel: „Aber ich bin zuversichtlich, dass das nur temporär ist und wir mit einer stärkeren Industrialisierung die Preise wieder anpassen können.“ Viele Endverbraucher seien zudem heute schon bereit, für nachhaltige Produkte mehr zu zahlen.
Röchling hat beispielsweise eine Box für den Motorluftfilter komplett aus einem Biopolymer-Kunststoff gebaut, um zu zeigen, dass es geht. Dass die Kunden irgendwann verstärkt solche Kunststoffe nachfragen werden, davon ist der Röchling-Chef fest überzeugt – „angesichts der Dynamik, die das Thema Nachhaltigkeit in der Gesellschaft in den vergangenen eineinhalb Jahren erlebt hat“. Nicht zuletzt die neuen Anbieter im Markt für Elektromobilität würden großes Interesse an Biokunststoffen zeigen.
Etablierte Autohersteller experimentieren mit Biokunststoffen
Auch die etablierten Hersteller experimentieren mit den nachhaltigen Materialien. So arbeitet Porsche zusammen mit dem Fraunhofer WKI am „Bioconcept-Car“ für den Rennstall Four Motors. Der Rennwagen ist mit Leichtbauteilen ausgestattet, die aus Pflanzenfasern – in diesem Fall Flachs – hergestellt wurden.
Doch es gibt Herausforderungen. So hat das Frankfurter Institut für Sozial-Ökologische Forschung (ISOE) vor einigen Monaten Einweggeschirr, Trinkflaschen, Verpackungen und Weinkorken aus Bioplastik untersucht. Bei drei Viertel der Produkte fanden sie schädliche Chemikalien.
Die Produktoffensive von Röchling soll in eine breit angelegte Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet werden, die auch die Mitarbeiter, Produktionsstätten und den Bereich Partnerschaften einbezieht.
„Wenn wir es ernst meinen mit dem Thema Nachhaltigkeit, dann muss uns als Unternehmen gelingen, es als integralen Bestandteil in unserem Geschäftsmodell zu verankern“, sagt Knaebel. „Ich bin davon überzeugt, dass Kunststoff das Potenzial hat, Werkstoff des 21. Jahrhunderts zu werden – aber nur, wenn wir damit verantwortungsvoll umgehen.“
Mitarbeit: Bert Fröndhoff
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