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Erfolgsrezepte eines SchlagerstarsDas Geschäftsmodell Helene Fischer

Neun Millionen Alben, ausverkaufte Konzerte, hoch dotierte Werbeverträge: Wie Helene Fischer von ihrem Management zur Millionenmarke aufgebaut wurde. Ein Blick auf die Erfolgsgeheimnisse einer singenden Geldmaschine.Lin Freitag 15.12.2014 - 06:42 Uhr Quelle: WirtschaftsWoche OnlineArtikel anhören

Die 30-Jährige hat es geschafft: Weltweit hat Helene Fischer neun Millionen Tonträger verkauft. In den letzten beiden Jahren war sie hierzulande der am häufigsten über Google gesuchte Star.

Foto: dpa

Düsseldorf. Seit kurz nach halb acht sitzen die beiden schon auf ihren Plätzen, sie sind unter den ersten Gästen in der Halle. Etwas ganz Besonderes wollte sich das Rentnerpärchen aus Frechen bei Köln zu seinem Hochzeitstag gönnen.

Vor einem Jahr schon hatten sie sich die Karten gekauft, jetzt, an diesem Novemberabend um kurz nach 20 Uhr, ist es endlich so weit: Es darf geschunkelt werden. „Und morgen früh küss ich dich wach und wünsch mir nur diesen Tag“, trällert Helene Fischer in ihr goldenes, mit Kristallen besetztes Mikrofon. Und wie auf Kommando hakt sich das rüstige Pärchen unter, wiegt sich von links nach rechts, klatscht und singt begeistert mit. Und verschmilzt, im Takt mit allen anderen Fans, zu einer großen, schunkelnden Masse. Schmachtet sie kollektiv an, die Sängerin auf der Bühne. Ganz schön gemütlich, die Helene.

Ein paar Schlager und ein Pop-Medley später steht dieselbe Sängerin in einer langen, schwarzen Pailletten-Robe auf der Bühne. Singt über ihre innere Leere, aus der sie aufgeweckt werden will. Mit der gleichen Inbrunst, mit der sie zuvor ihren Liebsten beschwor, sich mehr Zeit für sie zu nehmen, dröhnt sie nun ihre Version der düsteren Metal-Nummer „Bring me to life“ der Gothik-Band Evanescense ins Mikro. Ganz schön verrucht, die Helene.„Als ich Helene Fischer zum ersten Mal im Fernsehen sah, konnte ich nicht mehr wegschalten“, sagt Bauingenieur Thomas aus Reihe sechs. „Dieser Gesang, diese Ausstrahlung, diese Vielseitigkeit.“

40 Minuten Pause und einen weiteren Outfitwechsel später liegt Helene Fischer rücklings auf der Bühne und rekelt sich. „I“ singt sie, ihre Hüfte hebt sich. „Love“ singt sie, ihre Hüfte senkt sich. „Rock’n’Roll“ – ihre Hüfte hebt sich wieder. Sie trägt schwarze Lederhosen, derbe Bikerboots und ein mit Flammen verziertes Oberteil. Die drei jungen Niederländer aus Reihe vier springen auf, applaudieren ekstatisch im Takt von Fischers Interpretation des Rock-Klassikers. Immer wieder nicken sie sich anerkennend zu.

Die Karriere von Helene Fischer
Herkunft
Umzug in die Bundesrepublik
Ausbildung
Anfänge
Durchbruch
Preise
Chartspitze
Reality-TV
Moderatorin
Atemlos durch die Nacht
Das Jahr 2014

Egal, ob Schüler oder Rentner, Mann oder Frau, Schunkelfreund oder Rockfan: Alle lieben Helene Fischer. 14.000 Menschen strömen an diesem trüben Novemberabend in die Kölner Lanxess Arena, um ihre Helene zu erleben – beim Singen und Tanzen, Räkeln und Schmachten. Die Karten waren nach kurzer Zeit ausverkauft, trotz stattlicher Preise von durchschnittlich 60 Euro pro Stück. Mehr muss man auch für Konzerte von Deep Purple oder Bryan Ferry nicht berappen. Die 30-Jährige hat es geschafft – vom Schlagermäuschen zum Superstar.

Weltweit hat Helene Fischer neun Millionen Tonträger verkauft. In den letzten beiden Jahren war sie hierzulande der am häufigsten über Google gesuchte Star. Ihre Fans können sich ein Fischer-Parfüm auf die Haut sprühen oder in ihrem eigenen Magazin blättern.

Fischer moderiert eine Show, die ihren Namen trägt, spielte eine Reiseleiterin auf dem Traumschiff und ergatterte eine Rolle im TV-Heiligtum „Tatort“. „Durch Helene Fischer ist der Schlager wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt Musikwissenschaftler Martin Lücke, der ein Buch über den Schlager geschrieben hat. „Die Sängerin ist extrem sympathisch, sexy und modern – ein Fräulein Fehlerfrei.“

Helene Fischer wird 30

Von Sibirien auf den Schlagerthron

Als „Ich mag keinen Schlager, aber Helene Fischer ist schon ziemlich geil“-Trend bezeichnete die „Welt“ den Hype um Fischer. Bisheriger Höhepunkt: die Siegesfeier der Fußballnationalmannschaft am Brandenburger Tor. Statt Xavier Naidoo oder Herbert Grönemeyer sang Helene Fischer vor 400.000 Fußballfans vor Ort und weiteren acht Millionen vor den TV-Geräten ihren Hit „Atemlos durch die Nacht“ – auf ausdrücklichen Wunsch von Bastian Schweinsteiger und Co.

Laut Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov geben 55 Prozent der Bundesbürger an, gerne Schlager zu hören. Noch vor drei Jahren wäre das undenkbar gewesen. Daran hat Helene Fischer einen beträchtlichen Anteil: Mit ihrem Mix aus Schlager und Pop, Schmalz und Disko, Sexyness und Biederkeit nahm sie dem angestaubten Genre den Mief.

Auch in den Charts sind Schlager auf dem Vormarsch. Zwar sind Titel aus der Pop- und Rockmusik immer noch am häufigsten vertreten. Aber gemessen an den Umsätzen aus CD-Verkauf und Downloads, erreicht Schlager inzwischen einen Marktanteil von fast sechs Prozent – so viel wie seit zehn Jahren nicht mehr. Zusammen mit Deutsch-Pop, zu dem Fischers Musik mittlerweile auch häufig gezählt wird, steigt der Anteil sogar auf mehr als elf Prozent. Auch live ist das Geschäft mit dem Schunkeln lukrativer denn je: Allein Helene Fischer wird in diesem Jahr mit ihrer Farbenspiel-Tournee mehr als 17 Millionen Euro umsetzen. Das macht den Liebling der Nation auch zur Top-Verdienerin.

Warum aber wurde ausgerechnet aus der 1984 geborenen Jelena Petrowna Fischer, die an der Frankfurter Stage & Musical School eine dreijährige Ausbildung zur Musicaldarstellerin absolvierte, ein Star? Ist dieser Erfolg planbar? Entscheiden Talent und harte Arbeit oder doch der schiere Zufall darüber, wer im Musikgeschäft groß rauskommt und wer auf der Strecke bleibt? Was hat die mittlerweile 30-Jährige selbst zu ihrer Karriere beigetragen? Und wer zieht die Fäden im Hintergrund?

Fragen, die diese Redaktion gern mit Fischer, ihrem Produzenten und vor allem ihrem Manager, Uwe Kanthak, diskutiert hätte. Doch die hüllen sich in Schweigen. Anrufe und Mails bleiben über Monate unbeantwortet, mehr als ein kurzes Hintergrundgespräch mit Kanthak ist nicht drin. Sein Schützling, sagt er, spreche weder über Zahlen noch über ihren Erfolg.

Nach monatelanger Wühlarbeit aber wird so oder so deutlich: Bei Fischers Karriere wurde kaum etwas dem Zufall überlassen. Wie bei der Einführung eines neuen Produkts wurde die Marke Fischer Schritt für Schritt aufgebaut. „Helene Fischer war ein Rohdiamant“, sagt Vermarktungsprofi Florian Krumrey. „Und er wurde perfekt geschliffen.“

Dass Geschmack eigentlich gar keine Geschmackssache ist, hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu schon 1979 herausgefunden. Er stellte in „Die feinen Unterschiede“ den Zusammenhang von Geschmack und sozialer Herkunft her. Aber sagen die Bands in unserer Playlist auch etwas über unsere Intelligenz aus? Das hat sich der amerikanische Softwareprogrammierer Virgil Griffith gefragt. Auf seiner Internetseite „musicthatmakesyoudumb“ wertet er aus, welche Songs auf den Facebook-Seiten amerikanischer Colleges am meisten Zuspruch bekommen und welche Ergebnisse die Studenten der Colleges bei ihrer Aufnahmeprüfung erreicht haben. Damit will Griffith das Wissen und den Bildungsstand der Studenten bemessen.

Foto: dpa - picture-alliance

Wir haben die Ergebnisse mit einem leichten Augenzwinkern zusammengefasst. Denn auch Griffith ist klar: Aus den Facebook-Favoriten-Songs der Colleges und dem Wissensstand der Studenten kann er keine sicheren Zusammenhänge ableiten, geschweige denn Kausalitäten. Ein Überblick darüber, was die Bildungselite hört, und was die Hänger.

Foto: Handelsblatt

Platz 133 – Lil Wayne

Er hat allen Grund, trübe drein zu blicken: Die Songs des US-Künstlers Lil Wayne hören – folgt man Griffith Ranking – nur Studenten mit geringem Wissensstand. Er landet auf dem letzten Platz in dem Ranking, da an den Colleges mit vielen Lil Wayne-Fans die Studenten bei dem standardisierten Aufnahmetests im Schnitt nur auf 889 von 1600 möglichen Punkten kommen.

Foto: dpa - picture-alliance

Platz 129 – Beyoncé

Sie erreicht mit ihrer Energie und Stimmgewalt offenbar auch eher keine Intelligenzbestien: Die Studenten, die US-Künstlerin Beyoncé Knowles-Carter anhimmeln, erreichen bei den Aufnahmetests im Schnitt nur 932 Punkte. Der so genannte SAT-Test umfasst fast vier Stunden, in denen die angehenden Studenten Mathematikaufgaben lösen, Textverständnis zeigen und einen kritischen Essay schreiben müssen.

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Platz 119 - Justin Timberlake

Auch er schneidet nicht besonders gut ab: Während Justin Timberlake sich häufig als gerissener Geschäftsmann und Musiker mit Stil beweist, hören seine Musik offenbar nicht die leistungsfähigsten jungen Amerikaner. Unter den 1352 Colleges, die Griffith in seine Auswertung einbezogen hat, hören vor allem dort Studenten seine Musik, die nur 989 SAT-Punkte im Durchschnitt erreichen. Das wird Timberlake nicht weiter stören, schließlich ist er mit mehr als 50 Millionen verkauften Platten äußerst erfolgreich und wurde vom Forbes-Magazin damit geadelt, dass sie aus seinem Vorgehen sieben Empfehlungen für Erfolg ableiten.

Foto: Reuters

Platz 112 – Nickelback

Chad Kroeger setzt mit seiner Band Nickelback auf krachenden Rocksound. Während an den Hochschulen mit den gebildetsten Studenten – dazu zählen laut der SAT-Rankings das California Institute of Technology, das Franklin Olin College in Needham, Yale, Haward und die Princeton University – auch viele Studenten Rock hören, kann die Musik von Nickelback da nicht mitspielen. Stattdessen hören vor allem an Colleges mit geringem Aufnahmeniveau viele Studierende Songs wie „Somehow“ und „How you Remind me“.

Foto: Reuters

Platz 88 – The Doors

Er war der kreative und intellektuelle Kopf der Band The Doors, die in den 60er Jahren mit ihren oft mystischen Songtexten und eingängigen Rocksound die Massen begeisterte: Jim Morrison. An der University of California dürfte die Musik der US-Band auch deshalb so viele Fans haben, weil Morrison dort vor dem Start der Band Filmwissenschaften studierte. Alles in allem spricht die Musik der Doors jedoch vor allem junge Menschen an Universitäten an, die eher mittelmäßige Aufnahmeergebnisse haben. Die Anwärter erreichen im Schnitt 1033 SAT-Punkte.

Foto: Handelsblatt

Platz 73 – Queen

Dass ihre Songs voller Wortwitz, Gesellschaftskritik und musikalischer Raffinesse stecken, ist wohl unter Musikkritikern unstrittig: Queen und insbesondere Freddie Mercury inspirierten ganze Generationen, ihre Rechte einzufordern und Bedürfnisse offen zu formulieren. Dennoch landet Queen in Griffith Analyse nur im Mittelfeld. Die Studierenden, die laut der Bandvorlieben auf Facebook auf „Bohemian Rapsody“ und „We will Rock you“ stehen, legten mit durchschnittlich 1055 Punkten bei SAT keine so genialen Leistungen hin wie Mercury.

Foto: Handelsblatt

Platz 66 – Johnny Cash

„Walking the Line“ – das Prinzip gilt auch für die amerikanische Uni-Anwärter mit Johnny Cash-Faible. Sie schneiden mit 1064 SAT-Punkten weder extrem gut, noch miserabel ab, sondern bewegen sich im Mittelfeld.

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Platz 47 – ACDC

Sie scheinen auf der Bühne nicht gerade auf Stil oder besonderen intellektuellen Anspruch zu setzen: Die britische Altrocker ACDC, hier bei einem Gig 2003 in München, wollen einfach nur Spaß haben. Dennoch sprechen sie laut dem Ranking eher Studierende mit höherem Wissensstand und besseren Lernergebnissen an: Sie schnitten mit durchschnittlich 1091 Punkten beim SAT-Test ab.

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Platz 34 – Oasis

Smarte Typen, smarter Rock, smarte Fans? Oasis, die 1991 in Manchester geformte Kombo rund um die Leadsänger Noel und Liam Gallagher, sprechen viele Studierende an, die in den SAT-Tests mit 1104 Punkten an ihren jeweiligen Universitäten gut abgeschnitten haben.

Foto: Handelsblatt

Platz 33 – Bob Marley

Reggaeton und Jamaicafeeling als Begleiter beim Lernen und Abspeichern von Wissen? Dass Bob Marley, der unangefochtene King des Reggae, von vielen leistungsstarken Studenten mit SAT-Schnitt von 1105 gehört wird, überrascht nicht, ruft man sich noch einmal seine hochpolitischen Botschaften in Erinnerung. Mit „Blackman Redemption“ rief er etwa dazu auf, die „Real Situation“ wahrzunehmen: Dass Schwarze noch immer nicht überall gleichberechtigt sind und unter Nachteilen zu leiden haben.

Foto: Handelsblatt

Platz 16 – The Beatles

Bei ihnen ging es weniger um politische Botschaften, denn um eine musikalischen Befreiungsschlag vom Staub der prüden 50er Jahre: The Beatles landen in Griffiths Ranking auf einem der vordersten Ränge. An den Hochschulen, wo ihre Musik gern gehört wird, stiegen die Studierenden im Schnitt mit 1144 Punkten bei der Aufnahmeprüfung ein. Was die Herzensstürmer zusätzlich adelt: An vier der Top Fünf der Hochschulen mit den höchsten SAT-Durchschnitten hörten die Studierenden besonders gern The Beatles.

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Platz 8 – Bob Dylan

Er dürfte die Studierenden mit seinen gesellschaftskritischen Texten catchen, auch wenn diese schon etwas älter sind: Bob Dylans zeitlose Musik zieht besonders viele junge Leute mit hohem Wissenstand an, wo er unter den Lieblingskünstlern rangierte, schnitten die Studierenden im Schnitt mit 1197 Punkten bei den Aufnahmetests ab.

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Platz 7 - U2

Bei ihnen dürfte es nicht bloß die Musik sein, die junge Leute bewegt. Stattdessen gelten die irischen Jungs von U2 um Bono als Gesamtkunstwerk, inklusive ihres unbefangenen Styles und ihres gesellschaftlichen Engagements, etwa bei Live Aid 1985. Studierende, die besonders gern U2 hören, schnitten bei den Aufnahmetests mit durchschnittlich 1211 Punkten ab.

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Platz 5 – Radiohead

Thom Yorke gründete seine erste Band aus der Not heraus: Wegen eines Augenleidens fand er keine Freunde. Später waren die musikalischen Projekte und die Arbeit des Briten alles andere als ein Notkonstrukt. Mit Radiohead formte er eine der proaktivsten Rockbands der 90er Jahre. Viele junge Menschen auf der ganzen Welt verehren Radiohead und ihre Songs wie etwa „Creep“, in denen auch später noch etwas von der verletzten Melancholie aus Yorkes Kinderzeit mitschwang. In den USA hören möglicherweise besonders gebildete Hochschulanwärter die Musik der Engländer, die Universitäten mit vielen Radiohead-Fans hatten Aufnahmetests mit im Schnitt 1220 SAT-Punkten.

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Platz 1 – Beethoven

Er ist die unangefochtene Nummer eins: Ludwig van Beethoven, der wohl einflussreichste Komponist und Pianist im Umbruch zwischen Klassik und Romantik, begeistert auch noch junge Leute. Und zwar – wie das Klischee es will – diejenigen mit dem höchsten Bildungs- und Wissensstand. Studierende, die laut ihrer Facebookangaben auf den Uniseiten gern Beethoven hören, erreichten beim SAT-Test durchschnittlich 1371 Punkte und kamen somit sehr nah an das Maximum von 1600 Punkten heran.

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Heute ist Fischer bei Universal unter Vertrag.

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Alles beginnt 2005 mit dem TV-Flagschiff der Branche, den Festen der Volksmusik, für die ARD seit mehr als 20 Jahren ein Quotenknüller. Die Show füllt regelmäßig die größten Hallen Deutschlands, hinter dem scheinbar so biederen Format steckt ein millionenschweres Unternehmen. Von Vicky Leandros über Mireille Mathieu bis zu Wolfgang Petry: Jeder, der in der Branche Rang und Namen hat, war schon einmal zu Gast.

Die Zuschauer staunen also nicht schlecht, als Hand in Hand mit dem unwesentlich älteren, aber im Volksmusikgeschäft schon erfahrenen Gastgeber Florian Silbereisen eine unbekannte Sängerin die mit Rosen geschmückte Treppe hinabschreitet. Links und rechts stehen Tänzer des Deutschen Fernsehballetts Spalier, drehen sich zu den volkstümlichen Klängen immer und immer wieder um die eigene Achse. „Denn meine Leidenschaft brennt heißer noch als Gulaschsaft“, trällert die Sängerin, gekleidet in apricotfarbener Abendrobe.

Wer den leicht bizarren Auftritt heute Revue passieren lässt, erkennt Moderator Silbereisen mit seinen blond gesträhntem Haar sofort. Sie allerdings, damals noch ein wenig fülliger im Gesicht und deutlich dunkler auf dem Kopf, identifiziert man erst auf den dritten Blick. Doch nicht nur das Aussehen hat mit der heutigen Helene Fischer nicht allzu viel gemein, auch ihr Name ist damals ein anderer: Silbereisen stellt die 20-Jährige als „Helen Fisher“ vor.

Eingefädelt hatte den TV-Auftritt Uwe Kanthak. Der Musikmanager, der schon Branchengrößen wie Rex Gildo und Nino de Angelo betreute, war zu dieser Zeit auf der Suche nach frischem Blut. Kanthak wollte einen jungen Künstler, der das Zeug hat, den Schlager zu modernisieren und neue Zielgruppen zu erschließen. In den frühen 2000er-Jahren wäre ihm das schon einmal fast gelungen: Sängerin Michelle galt mit ihrem Hit „Wer Liebe lebt“ als Hoffnung des modernen Schlagers. Doch für den großen Durchbruch reichte es nicht.

Seine zweite Chance wittert Kanthak, als ein Demoband mit dem Celine-Dion-Hit „The Power of Love“ auf seinem Schreibtisch landet. Darauf zu hören: Eine junge Sängerin aus dem 6000-Seelen-Ort Wöllstein in Rheinland-Pfalz. Sie klingt vielversprechend, Kanthak lädt sie auf ein erstes Treffen ins Frankfurter Sheraton Hotel ein. Und empfiehlt Fischer: Vergiss Pop – mach Schlager.

Fischers Enttäuschung ist groß, auf der Rückfahrt weint sie pausenlos, wie sie Jahre später in einer TV-Doku gesteht. „Musikantenstadl“ statt Popstar – ein Albtraum. Weil sie aber auch die große Chance hinter Kanthaks Angebot erkennt, lässt sie sich doch auf das Experiment ein. „Mit dem Schlager hat sie als junge Sängerin eine Nische gefunden, die vorher in dieser Professionalität noch nicht besetzt war“, sagt Berater Krumrey.

Revitalisierung eines Marktsegments nennen Marketingexperten so etwas. „Die Sängerin ist der iPod der Schlagerbranche“, sagt Karsten Kilian, Markenstratege und Hochschuldozent. „So wie Apple damals mit dem Digitalgerät einen coolen Nachfolger für den Walkman erfand, hat Fischer das Schlagergenre revolutioniert.“

So wie Konsumgüterhersteller mit dem besten Platz im Supermarktregal um die Aufmerksamkeit des Konsumenten kämpfen, braucht auch ein Talent im Musik-Business ein Alleinstellungsmerkmal, um sich in der schier unüberschaubaren Masse trällernder und tanzender Konkurrenten durchzusetzen. Eine Nische, die noch nicht besetzt ist, aber großes ökonomisches Potenzial hat. Die zum Künstler passt und authentisch beim Publikum ankommt.

Aus heutiger Sicht passen Schlager und Helene Fischer perfekt zusammen. Doch damals gingen Sängerin wie Manager ein hohes Risiko ein: Vor mehr als zehn Jahren steckte der Schlager in einer tiefen Krise. Es fehlte an neuen Interpreten, niemand unter 60 Jahren schien freiwillig diese Musik zu hören – vorläufiger Höhepunkt eines Niedergangs, der mit der 68er-Bewegung begonnen hatte: Schlagerfans werden damals in den Medien als „Konsumidioten“ beschimpft, für Philosoph und Musiktheoretiker Theodor Adorno sind Schlager „kommerzielles Werkzeug der Massenverdummung“.

Dabei war der deutsche Schlager immer auch Gradmesser für die Befindlichkeiten der Bevölkerung. Immer wenn sich die Deutschen politisch und gesellschaftlich unsicher fühlen, schunkeln sie im Takt. „Schlager“, sagt auch Philosoph Byung-Chul Han, „üben eine therapeutische Funktion aus“.

Auch in diesem Sinne taucht Helene Fischer zum perfekten Zeitpunkt auf der Bühne auf: 2005, im Jahr ihres ersten TV-Auftritts, stirbt Papst Johannes Paul, die Auswirkungen des Tsunamis in Südostasien halten die Welt in Atem, Wirbelsturm Katrina zerstört in den USA eine Fläche von der Größe Großbritanniens. Und in Deutschland will Uwe Kanthak den Schlager retten. „Fischers Duett mit Florian Silbereisen beim ,Hochzeitsfest der Volksmusik‘ war absolut entscheidend für ihre Karriere“, sagt Martin Lücke, Professor für Musikmanagement. „Das hat ihr die nötige Medienpräsenz verschafft.“

Und die wird in der Schlagerbranche seit Jahrzehnten über den gleichen Kanal generiert: „Die Feste der Volksmusik-Shows haben inzwischen mehr langlebige Stars hervorgebracht als die wöchentlich ausgestrahlten Castingshows“, sagt Michael Jürgens, Erfinder des TV-Formats und Manager von Fischers Lebensgefährten Florian Silbereisen.

Warum ausgerechnet die damals völlig unbekannte Fischer einen Auftritt beim Hochzeitsfest bekommt? Manager Kanthak soll aus dem Umfeld des ARD-Senders MDR erfahren haben, dass für die Sendung noch eine junge Sängerin gesucht werde. TV-Mann Jürgens vertraut Kanthaks Vorschlag – und wird belohnt: Die Sängerin kommt so gut beim Publikum an, dass sie direkt für die nächste Tournee verpflichtet wird. Vom Herbst 2005 bis Frühjahr 2006 tingelt Fischer mit dem Volksmusikfest durch die Republik. Die Show gastiert in 53 Orten, jeder Auftritt ist bis zum letzten Platz ausgebucht.

Fischer nutzt ihre erste Bekanntheit, um zwischen den Volksmusik-Auftritten bei Supermarkt-Eröffnungen, in Einkaufszentren und auf Volksfesten zu singen. „Klassischer Direktvertrieb“, nennt Marken-Experte Karsten Kilian von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt das. So wie sich auch Phil Knight anfangs nicht zu schade war, seine neuen Sportschuhe direkt aus dem Kofferraum zu verkaufen. Und aus seinem Ein-Mann-Vertrieb den Milliardenkonzern Nike entwickelte.

Während Fischer über Land tingelt, fädelt Manager Kanthak den nächsten Coup ein, um aus der talentierten Sängerin einen dauerhaften Verkaufsschlager zu formen: einen Plattenvertrag mit EMI, damals eines der größten Labels der Welt. Das wurde inzwischen von Universal geschluckt – heute ist Fischer dort unter Vertrag.

„Kanthak ist in der Branche extrem gut vernetzt“, sagt Schlagerpromoter Sepp Adlmann. Das zeigt sich auch bei der Auswahl des Teams, das der Manager für die Produktion des ersten Albums an Bord holt: Produzent wird Jean Frankfurter, der schon mit Schlagestars wie Patrick Lindner und Michelle arbeitete.

Die passenden Texte liefern Kanthaks Ex-Ehefrau Kristina Bach und Schlager-Urgestein Irma Holder, die schon die richtigen Worte für Udo Jürgens fand. „Wenn ein großes Talent zur richtigen Zeit auf das richtige Team und den richtigen Markt stößt, ist der Erfolg programmierbar“, sagt Markenprofi Krumrey.

Schon Fischers erstes Album spülte Geld in die Kassen – auch ihre eigenen: Laut Branchenexperten bekommt die Sängerin etwa einen Euro pro verkauften Tonträger, bei den Downloads fließen um die 20 Prozent auf ihr Konto. Insgesamt hat Fischer bis heute mehr als neun Millionen Platten verkauft.

Stolze Summen – doch im Zeitalter von Internet und Streamingdiensten wird Reibach vor allem mit dem Live-Geschäft gemacht. Schätzungen zufolge bekommt Fischer pro verkaufte Eintrittskarte zwischen 15 und 20 Euro. Auf ihrer Tournee zum aktuellen Album Farbenspiel wird die Sängerin bis Juli 2015 knapp 50 Konzerte absolviert haben.

Bis zu einer Million Zuschauer werden dann in die größten Hallen und Stadien Deutschlands geströmt sein, die Tournee dürfte um die 60 Millionen Euro einbringen. Hinzu kommt: „Für ein Privat-Konzert nimmt Fischer um die 250.000 Euro, für einen TV-Auftritt wird ein Honorar von rund 25.000 Euro fällig“, sagt Michael Laschet, der Prominente für TV, Veranstaltungen und Werbung vermittelt.

Nicht zu vergessen: der Verkauf von Fanartikeln. Seit 2009 ist Helene Fischer als Marke beim Marken- und Patentamt eingetragen. Für vergleichsweise läppische 1000 Euro plus Anwaltskosten sind die Rechte an der Wortmarke Helene Fischer für zehn Jahre in Deutschland geschützt.

So gibt es von der Plastiktüte für einen Euro bis zur Edelstahllampe für 79,99 Euro fast alles mit Helene-Fischer-Branding zu kaufen. Seit 2011 publiziert Fischer auch ein eigenes, großformatiges Hochglanz-Magazin namens „Paradies“. Der Inhalt: Helene Fischer auf Bootstour, Helene Fischer bei der Sushi-Zubereitung, Helene Fischer beim Friseur. Mittlerweile gibt es vier Ausgaben, Preis pro Stück: zwischen fünf und zehn Euro.

Inzwischen ist auch die Werbeindustrie auf die Blondine aufmerksam geworden. Den Anfang machte 2013 der mittelständische Kräuterbutterhersteller Meggle. „Eine zentrale Rolle bei der Auswahl unserer Testimonials spielt die Glaubwürdigkeit“, sagt Meggle-Marketingmanager Thilo Pomykala.

Erstaunlicherweise scheinen die Zuschauer der gertenschlanken Fischer die Liebe zur Butter abzunehmen – laut einer von Meggle beauftragten Studie erhöhte sich nur drei Monate nach Premiere des Fischer-Spots die Bekanntheit des Unternehmens um einen zweistelligen Prozentsatz. Kein Wunder: Markenexperte Krumrey schätzt, dass neun von zehn Deutschen Helene Fischer kennen. Das wirkt sich auf die Gage aus: Werbeprofi Laschet taxiert Fischers Einkünfte pro Deal und Vertragsjahr auf eine Million Euro.

Marktabschöpfung heißt das im klassischen Marketing. Neben Kräuterbutter wirbt Fischer für Haarfärbemittel von Garnier, den Autohersteller VW und neuerdings auch für Tchibo. „Die Sängerin ist gerade so omnipräsent, das kann auch schnell kippen“, sagt Experte Krumrey. In den sozialen Netzwerken ist das schon der Fall. „Helene Fischer macht jetzt Werbung für alles. Bald kaufe ich nichts mehr“, schreibt etwa @Agent_Dexter auf Twitter.

Ob Uwe Kanthak Kritik wie diese ernst nimmt, ist nicht bekannt. Klar ist: Er verdient am Erfolg seines Schützlings Fischer gehörig mit: Branchenexperten wie Martin Lücke oder Ole Seelenmeyer vom Musikerverband für Rock- und Popmusik, schätzen, dass zwischen 10 und 30 Prozent aller Einnahmen auf Kanthaks Konto fließen.

Dass sich mit Schlager gutes Geld verdienen lässt, sieht man auch Kanthaks Ex-Frau Kristina Bach an. Die Schlagersängerin, Produzentin und Texterin sitzt an einem Fensterplatz im Restaurant des Sheraton Hotels München. Die 52-Jährige fällt auf zwischen den Anzugträgern, die für ein schnelles Mittagessen ins Hotel gekommen sind.

Schlank, groß gewachsen, die platinblonden Haare zum Zopf geflochten, dazu Jeans, spitze Stiefeletten und eine weiße Spitzenbluse, durch die man nichts Genaues sehen, aber einiges erahnen kann. An ihrem Handgelenk funkelt eine Rolex, ihre cognacfarbene Handtasche von Hermès kostet ab 10.000 Euro aufwärts.

Dass sich Bach das leisten kann, liegt auch an Helene Fischer: Sie ist die Komponistin und Texterin von „Atemlos“, Fischers aktuellem Megahit. Den hat sie immer bei sich – als sogenanntes Bimmel-Demo, eine Rohversion, die sie einst Fischer vorspielte, um ihr einen ersten Eindruck zu vermitteln.

„Ich wusste schon beim Schreiben, dass der Titel ein Hit werden könnte“, sagt Bach. „Atemlos“ verhalf Fischer auch unter den Nichtschlagerfans zum großen Durchbruch. Monatelang hält sich das Lied in den Charts, wird zum Wies’n-Hit 2014 gekürt und hat beste Chancen auch zur erfolgreichsten Single des Jahres zu werden.

Was wohl auch daran liegt, dass „Atemlos“ mit einem klassischen Schlager nicht mehr viel gemein hat. Kristina Bach bezeichnet den Stil als „deutschsprachigen Euro-Pop“. Mit diesen musikalischen Mischformen – Fischer kombiniert Schlager mit Pop, Kollege Andreas Gabalier Volksmusik mit Rock – erreichen einstige Nischenstars heute eine breite Masse. ,Atemlos‘ ist mehr als ein Song, es ist ein Konzept“, sagt Bach. „Helene wollte moderner und frecher werden und ein jüngeres Publikum ansprechen.“

Die Anfänge dieses Modernisierungsprozesses reichen schon zurück ins Jahr 2010. Damals veröffentlicht Fischer das Album The English Ones, auf dem sie Balladen auf Englisch singt. Es folgen Duette mit dem US-amerikanischen Schmusebarden Michael Bolton und der Sängerin Robin Beck.

Die Wandlung vollzieht sich auch außerhalb der Bühne: Ob in der Sendung von Stefan Raab oder neben Hubertus Meyer-Burckhardt und Barbara Schöneberger in der NDR-Talk-Show – Fischer quatscht sich durch die Republik. Eben streng nach Regieplan: Hat sich ein Künstler in der Schlagerbranche einen Namen gemacht, muss er außerhalb der einschlägigen Musiksendungen präsenter werden.

„Ob Songs, Videos oder Styling: In engster Absprache mit Helene haben wir sie innerhalb von zwei Jahren zu dem gemacht, was sie heute ist: die deutsche Pop-Queen“, sagt Frank Briegmann, Europa-Chef von Universal.

Was in Deutschland absolutes Neuland ist, hat in den USA seit Jahrzehnten Tradition. Ob Sängerinnen wie Shania Twain, Jewel oder zuletzt Taylor Swift: Sie alle haben den Schritt geschafft vom erfolgreichen, aber belächelten Country-Sternchen zum grenzenlos umjubelten Popstar.

In der Kölner Lanxess Arena steht nach gut drei Stunden Konzert der Schlussakkord kurz bevor – Zeit für Fischer, sich eine Verschnaufpause zu gönnen und ihr Team vorzustellen: etwa ihren musikalischen Leiter Christoph Papendieck, der Fischers Sound einen modernen Anstrich verpasste und schon für internationale Superstars wie Tom Jones und Jean-Michel Jarre gearbeitet hat.

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Genau wie ihr Choreograf Marvin A. Smith, den schon Michael Jackson, Jennifer Lopez und Britney Spears buchten, um auf der Bühne eine gute Figur zu machen. Der schon mit Fischer für die Konzerttour zum „Für einen Tag“-Album 2012 eigens nach Los Angeles reiste, um Tänzer für ihre Show zu casten, weil der deutsche Markt die gewünschte Qualität nicht hergab. Und mit Papendieck wesentlich dazu beitrug, Fischers Konzerte mit spektakulären Effekten, Tänzern und Akrobatik-Einlagen aufzumotzen, sie so vom Volksmusik-Stadl-Muff befreiten und auf Las Vegas trimmten. „Die Konzerte setzen einen neuen Standard in der Branche“, sagt Promoter Adlmann. „So professionell macht das kein anderer deutscher Künstler.“

Und wohl auch nicht so opulent: Um kurz nach 23 Uhr rollt ein riesiger goldener Vogel aus Metall auf die Bühne. Helene Fischer, mittlerweile in Glitzer-Hot-Pants und bauchfreiem Top, sichert sich mit einem Gurt und schwingt sich auf den Rücken des Fantasie-Vogels.

Langsam setzt sich das künstliche Tier in Bewegung, es erklingen die ersten Töne des vorletzten Songs an diesem Abend: Fischer und Vogel bewegen sich immer weiter Richtung Bühnenrand. Der goldene Vogel steigt in der 76 Meter hohen Arena nach oben, spreizt seine meterlangen Flügel und dreht geschmeidig eine Runde durch die Halle.

„Once more you open that door“, schmettert Helene Fischer dazu. Und ist auf einmal da angekommen, wo sie vor fast zehn Jahren hinwollte: 14.000 Menschen hören ihr verzückt dabei zu, wie sie den Titelsong aus dem Kino-Blockbuster „Titanic“ singt – „My Heart will go on“ von Celine Dion.

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