Ausstellung in New York: Bisher unbekannte Gemälde von Spinnen-Künstlerin Louise Bourgeois ausgestellt
New York. Erstaunlicherweise gibt es im Oeuvre der sehr fleißigen und für ihre Riesenspinnen berühmten Louise Bourgeois immer noch etwas Unbekanntes. Das beweist aktuell das Metropolitan Museum of Art in New York: Bourgeois hat auch gemalt. Und zwar nur für einen kurzen Zeitraum. Er reichte von der Ankunft der gebürtigen Französin in New York im Jahr 1938 bis in die späten 1940er-Jahre, als sie sich dreidimensionalen Werken zuwandte.
„Wir sehen hier einen seltenen Moment, den wir nicht sehr oft erleben. Wir können eine Werkgruppe präsentieren, die dem allgemeinen Publikum nicht bekannt sein dürfte, aber fundamental wichtig für ihr skulpturales Werk war“, führte Direktor Max Hollein vor Journalisten aus.
Bourgeois (1911-2010) war bereits weit in ihren Achtzigern, da gelang ihr der kommerziell erfolgreichste Wurf. Seit Mitte der 1990er-Jahre machen es sich ihre gigantischen Spinnenskulpturen, die auf dürren Metallbeinen bis zu neun Metern hochragen können, vor Museen und auf öffentlichen Plätzen der Welt bequem.
Bourgeois“ enger Freund Robert Storr, ehemaliger Kurator am Museum of Modern Art und Professor an der Yale School of Art, verglich die Popularität dieser einschüchternden Werke einmal mit allen anderen gruseligen Horror-Dingen: Sie sprechen unsere tiefsten Ängste an und erlauben gleichzeitig, uns von ihnen freizumachen.
Für Bourgeois hatten Spinnen, die sie in vielen Größen und Materialien schuf und manchmal „Maman“ betitelte, eine durchaus positive Bedeutung. Sie waren eine Hommage an ihre Mutter, die im Familienunternehmen als Restauratorin von Tapisserien arbeitete.
Die Spinnen sorgen bei seltenen Marktauftritten stets für Auktionszuschläge in zweistelliger Millionenhöhe. Seit Mai 2019 steht der Rekord bei 32 Millionen Dollar, den setzte bei Christie‘s eine über drei Meter hohe „Spider“. Für die Hongkong-Auktion in dieser Woche hat Sotheby’s die Wandskulptur „Spider IV“ aus einer 1997 gegossenen Sechser-Auflage auf 15 bis 19 Millionen Dollar geschätzt.
Große internationale Retrospektiven haben sie noch zu Lebzeiten als eine der wichtigsten und einflussreichsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts gefeiert. Doch ihr Werk wurde erst seit Ende der 1960er-Jahre entdeckt.
Zwar sind hin und wieder einzelne Gemälde gezeigt worden. Kennern ist der vierteilige „Femme Maison”-Zyklus ein Begriff. Darin kritisiert Bourgeois das sie einschränkende Frauenbild. Aber hier wird zum ersten Mal der gesamte, etwa hundert Gemälde umfassende Werkkomplex unter die Lupe genommen. Unter den im Met versammelten 45 überzeugenden Werken kommen allein 25 aus der Easton Foundation, die immer noch die meisten ihrer Bilder besitzt.
Bourgeois hatte die Stiftung Anfang der 1980er-Jahre gegründet und nach ihrem Landsitz im Örtchen Easton im südlichen Connecticut benannt. Heute kümmert sie sich in zwei Reihenhäusern auf der 20. Straße in Chelsea, wo Bourgeois über fünfzig Jahre lang lebte und arbeitete, unter der Leitung ihres ehemaligen Assistenten Jerry Gorovoy um die Aufarbeitung des Werkes.
Im Vergleich zu den Skulpturen haben die Gemälde auf einem bescheidenen Preisniveau verharrt. Laut Preisdatenbank Artnet kamen seit 1987 überhaupt nur vier Bilder auf den Auktionsmarkt. „New Orleans“ (1946) erzielte im Mai 2014 bei Christie‘s den bisher höchsten Preis von 701.000 Dollar und kletterte dabei weit über die erwarteten 350.000 Dollar hinaus.
Das schmale Hochrechteck „No Swearing Allowed“ (1949) wechselte bei Sotheby’s im November 2005 noch zu 192.000 Dollar die Hände. Als Teil der Sammlung des neapolitanischen Unternehmers Gianfranco D’Amato ist es nun in New York zu bewundern.
Die Schau ist grob chronologisch aufgebaut, beginnt mit einer Reihe von düsteren Landschaften, die von den Wäldern rund um Easton inspiriert wurden. Wie Kuratorin Clare Davies erklärt, sind Bourgeois“ Gemälde stets in irgendeiner Form Selbstporträts, auch Bäume und Häuser sind ihre Alter Egos.
Deutlich wird, wie sehr die an Pariser Instituten geschulte Künstlerin, die bei ihrer Ankunft in New York 27 Jahre alt und frisch mit dem bereits bekannten amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater verheiratet war, zu dieser Zeit noch experimentierte.
Selbstbewusst stemmte sie sich aber gegen den aktuell herrschenden „Abstrakten Expressionismus“, der New York ins Zentrum der Kunstwelt katapultierte. Ihre meist gegenständlichen Bilder locken den Betrachter mit sehr nuanciertem Farbauftrag ganz nahe an sich heran. Manchmal blieb auch die blanke Leinwand stehen.
Jedes Bild eine Hommage an New York
Bourgeois war Außenseiterin, keinem Stil verpflichtet, belegt aber ihre Vertrautheit mit der Kunstgeschichte, vor allem dem Symbolismus, und aktuellen Entwicklungen. Frei vor monochromem Hintergrund schwebende Formen erinnern an den Surrealismus. 1946 trat Louise dem experimentellen New Yorker Grafikstudio „Atelier 17“ bei, einer wichtigen Anlaufstelle für europäische Emigranten, und schloss Freundschaften mit Jean Miró, Le Corbusier oder Yves Tanguy.
„Obwohl ich Französin bin, hätte keines dieser Bilder in Frankreich entstehen können. Jedes einzelne ist amerikanisch, aus New York. Ich liebe diese Stadt, ihre scharfen Konturen, ihren Himmel, ihre Gebäude, und ihren systematischen, grausamen, romantischen Charakter“, wird sie in einem Wandtext zitiert.
Bereits im Frühwerk entwickelt sie ihr visuelles, von persönlicher Symbolik geprägtes Bildvokabular, auf das sie während ihrer langen Karriere immer wieder zurückgreift. Schon hier zeigen sich Dolche, Architektur, schwebende Formen und einengende Strukturen wie Käfige. Auch die Wahl ihrer gedeckten Farben ist symbolgeladen: das häufig im Hintergrund verwendete Ziegelrot kann Wut, Zorn oder auch Ekstase signalisieren.


Im letzten Sommer ermöglichte die Ausstellung „Freud’s Daughter“ im New Yorker Jewish Museum anhand von Bourgeois“ Aufzeichnungen aus jahrzehntelanger Psychoanalyse manchmal erschreckende Einblicke in die sie peinigenden Kindheitserinnerungen. „Kunst war für Louise ein System der Selbst-Erkenntnis, diente dem Lösen von Spannungen und Ängsten und dem Austreiben früher Traumata“, erklärt Philip Larratt-Smith, Kurator der Easton Foundation.
Die Ausstellung „Louise Bourgeois: Paintings“ läuft im Metropolitan Museum of Art New York bis 7. August 2022. Von 7. September 2022 bis 1. Januar 2023 im New Orleans Museum of Art.
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