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  4. Das Museum der bildenden Künste in Leipzig wirft einen Blick auf seine Ankaufspolitik

AusstellungMuseumssammlung in Leipzig: Signale der Widerborstigkeit

Das Museum der bildenden Künste zeigt, was es vor und nach der Wende gesammelt hat. Bedeutend sind heimische Künstler, die einen Beitrag zum Aufbau der DDR leisten sollten.Christian Herchenröder 15.04.2022 - 10:00 Uhr Artikel anhören

Leipzig. Es ist keine Blütenlese, sondern eine Heerschau geworden. Die Ausstellung „Bilderkosmos Leipzig“ gibt in 15 Räumen des Leipziger Museums der bildenden Künste einen Einblick in ihre Sammlung von Malerei und Plastik des 20. Jahrhunderts (bis 6. Juni).

Der Schwerpunkt liegt bei den aus der sächsischen Metropole hervorgegangenen Kunstströmungen und Künstlerinnen und Künstlern. Angestrebt ist ein Diskurs mit Besuchenden, mit Rückmeldungen, „marginalisierte Künstler*innen durch intensive Einbindung dauerhaft sichtbar zu machen“, wie ein Einladungstext verkündet.

Das ist ein Projekt, das in die Breite geht. Denn in dem chronologischen Rundgang gibt es neben Protagonisten der Leipziger Schule viele Exponate anderer männlicher und weiblicher Künstler, die nicht in dieser Stadt entstanden.

Auch an Leihgaben fehlt es nicht. Das zeigt sich schon im ersten Saal, der dem gebürtigen Leipziger Max Beckmann gewidmet ist, ein Raum, in dem Dauerleihgaben aus dem Nachlass Quappi Beckmann Maßstäbe setzen. 1993 wurde das erste Werk des Expressionisten erworben: das 1946 entstandene Porträt eines Teppichhändlers. Die Frühwerke „Die große Buhne“ und „Sumpfblumen“ kamen 2016 dazu.

Das Museum war erst nach der Wende finanziell in der Lage, seine Sammlung mit Werken in der Nazizeit verfemter Künstler auszubauen. Was die Ankaufspolitik heimischer Künstler betrifft, so hatte der Formalismus-Streit von 1949 die strikte Abgrenzung gegen den der Abstraktion verpflichteten Westen festgeschrieben. Das schlägt sich in vielen Werken der Leipziger Sammlung nieder, die einen bildmächtigen Beitrag zum Aufbau der DDR leisten sollten.

Fixpunkte der chronologisch die Jahrzehnte durchschauenden Ausstellung sind Werke von hohem Bekanntheitsgrad. Dazu gehört Wolfgang Mattheuers 1973 entstandenes Gemälde „Hinter den sieben Bergen“, das heute als Paradestück eines subversiven Freiheitswillens gilt.

Die Luftballons haltende Frauenfigur, die über einer Autobahn-Landschaft schwebt, hat die Statur der Fahne schwenkenden weiblichen Figur, die in dem Hauptwerk „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix die Republik symbolisiert.

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Die Kunstkritik der DDR interpretierte Mattheuers Hauptwerk freilich anders: Es reflektiere „eine kritische Haltung zu einem stresshaften Erfolgsstreben, zu einem unaufhörlichen Dahinjagen“. Drei Jahre vorher entstand Günter Glombitzas Gemälde „Junges Paar“, das neben einem symbolischen Blütenzweig zwei desillusionierte Menschen zeigt. Hans-Hendrik Grimmlings Gemälde „Ich in Leipzig“ (1978) ist ein Selbstporträt des Künstlers in Zwangsjacke – eine unzweideutige Position.

Das sind Ikonen der DDR-Malerei, die in einer Zeit entstanden, in der die neue Leipziger Schule 1972 in der VII. Kunstausstellung der DDR eine starke Position einnahm. Ihr Auftritt gab auch Anlass zur Kritik, die sich an der sogenannten „Erberezeption“, etwa der Rückbesinnung auf die italienische Kunstgeschichte, wie sie Werner Tübke pflegte, oder der Corinth-Nähe von Bernhard Heisig entzündete.

Fünf Jahre vorher auf dem siebten Parteitag der SED wurde von den Künstlern gefordert, „die Qualität des sozialistischen Volkskunstschaffens weiter zu erhöhen“. Diesem Postulat folgten nicht alle Leipziger Künstler.

Die Ausstellung ist reich an Werken, die Tristesse und Sentimentalität ausstrahlen. Dazu gehören die düstere „Beweinung“, ein Frühwerk der Kollwitz-Schülerin Elisabeth Vogt (1921), Doris Zieglers „Frauen in der Spinnerei“ (1978), der ausgemergelte „Proletarier“ von Kurt Masloff, das trostlose Elternbildnis von Sighard Gille.

Und da, wo scheinbar die Forderung nach einer parteilichen realistischen Kunst erfüllt zu sein scheint, gibt es immer wieder Signale einer Widerborstigkeit. Sie manifestiert sich in den nicht gerade glücklichen Gesichtern des „Jugendtreffens“ von Ulrich Hachulla, in Werner Tübkes „Sozialistischer Jugendbrigade“ von 1964 und selbst in Arno Rinks pathetischem „Lied vom Oktober II“, das in seiner collagehaften Dichte den Kontrast von Individuum und Masse thematisiert.

Starke Leihgaben kommen aus dem Besitz der Stiftung Ludwig, etwa Heidrun Hegewalds gekreuzigte Frau von 1979: „Mutterverdienstkreuz“. Es sieht so aus, als wolle diese Ausstellung ein milderes, weniger politisch belastetes Bild der Leipziger Kunst nach 1945 vermitteln.

Nur so ist verständlich, dass politische Hauptwerke der Sammlung wie Werner Tübkes zwei Triptychen „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ oder Bernhard Heisigs vierteilige „Pariser Kommune“ fehlen. Nicht weniger als 20 Werke von Heisig besitzt das Museum laut Bestandskatalog von 1995. In der Ausstellung erscheinen nur der optimistisch den Daumen hebende „Brigadier II“ und ein kleinformatiges Schriftbild, das die chilenische Konterrevolution von 1973 anklagt.

Neo Rauch ist einer der wenigen Maler Leipzigs, der nach der Wende eine beispielhafte internationale Karriere erlebte. Von den drei Großformaten, die in der Ausstellung hängen, hat das Gemälde „Unter Feuer“ (2010) ungeahnte Aktualität. Uniformierte haben eine verwüstete Stube besetzt, in der eine Figur, am Seil gefesselt, am Boden liegt.

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