Biografie von Meinhard von Gerkan: Im Buch des Architekten

Das quadratische Gebäude in der Hauptstadt Vietnams verbindet ein zentrales, kreisförmiges Atrium mit drei oberen Ausstellungsebenen.
Düsseldorf. Architekten sind anders. Anders als Banker, Manager oder Politiker. Sie sind nicht nur Profis, sondern auch Künstler, verbinden in ihrer Arbeit Funktion mit Ästhetik, Anforderungen mit Stil und meistern technische Herausforderungen mit kühnen Lösungen. Und sie sind sauer, wenn ihre schwungvollen Entwürfe von kostengetriebenen Bauherren verändert werden. Oder wenn Großprojekte so vollständig entgleisen, dass nur noch die Anwälte miteinander sprechen. Für Meinhard von Gerkan, den bekanntesten deutschen Architekten, heißt das Reizwort BER – der Berliner Großflughafen, der vielleicht nicht einmal 2021 fertig sein wird.
Mit der Schilderung eines Treffens mit dem „äußerst verärgerten“ Architekten kurz nach dem Eklat im Mai 2012, als die Flughafengesellschaft der Planungsgemeinschaft fristlos kündigte, beginnt Jürgen Tietz seine ausführliche, sorgfältige und vor allem autorisierte Biografie des Architekten. Der Biograf hört sich den Ärger Gerkans an über den Imageverlust für das international arbeitende Hamburger Büro gmp – Gerkan, Marg und Partner.
Berliner Hauptbahnhof: Ein fader Beigeschmack
Auch mit der mutwilligen Veränderung eines Entwurfs hatte Gerkan Ärger gehabt – wieder in Berlin. 2006 wurde sein Berliner Hauptbahnhof eröffnet, mit einem faden Beigeschmack, wie sein Biograf schreibt. Denn die Bahn hatte „eigenmächtig eine Verkürzung der gläsernen Bahnsteighallen veranlasst“. Der Architekt klagte und siegte am Ende vor Gericht. Mit Dürr hatte er gekonnt, mit Mehdorn gar nicht.
Seinen Ärger über den Berliner Flughafen hat sich Gerkan 2013 selbst in einem Büchlein mit dem Titel „Black Box BER – Wie Deutschland seine Zukunft verbaut“ von der Seele geschrieben. Zitat: „Die Architekten befanden sich gegenüber dem Bauherrn in einer Situation wie gegenüber einer Black Box: Vorgänge im Inneren des Systems blieben ihnen verborgen und hatten sie auch nicht zu interessieren.“
Lebensgeschichte und Bilderbuch
Doch Biograf Tietz verbeißt sich nicht zu sehr in Flughafen und Bahnhof. Er erfüllt zwar die Chronistenpflicht und fügt ein schönes Kapitel mit der Überschrift „Hauptstadtrausch – Architektur als kulturelles Leitmedium“ ein, doch ihm geht es in seinem Buch um den Menschen, um den Baukünstler Gerkan.
Beinahe 1000 Seiten in zwei Bänden widmet er ihm, ein Drittel für die sehr gut zu lesende Lebensgeschichte des Architekten – die nur gelegentlich im Stil ein wenig unterwürfig ist – und zwei Drittel für eine „Biografie in Bauten“, ein ästhetisch wunderschön gemachtes Bilderbuch, das das ganze Spektrum des Architekten zeigt: vom Flughafen Tegel über die Neue Messe Leipzig bis zur Deutschen Schule in Peking und zum Chinesischen Nationalmuseum am Tiananmenplatz. Gerkan hat auch Privathäuser gebaut. Er selbst wohnt an der Elbchaussee, wo ein paar Häuser weiter auch die gmp-Zentrale ist, in einem aufsehenerregenden, selbst entworfenen Haus, dessen Fassade mit Brettern aus sibirischer Lärche verkleidet ist.
Von der Kindheit in Riga über das Aufwachsen bei Pflegefamilien erst in Niedersachsen, dann in Hamburg zeichnet Tietz den Weg des 80-Jährigen nach. Die Biografie ist gleichzeitig Zeitgeschichte und Geschichte des bundesdeutschen Geschmacks.

Empfangs- und Informationsgebäude für das Tourist Resort am 1000 Island Lake (Qiandao Lake) bei Hangzhou in China.
Beim Studium in Berlin in den 1950er-Jahren lernt Gerkan Volkwin Marg kennen, der aus Königsberg kommt und in Danzig aufgewachsen ist. 1965 gründen sie ein eigenes Architekturbüro in Hamburg. Heute hat „gmp“, „Gerkan, Marg und Partner“, mehr als 300 Mitarbeiter und arbeitet weltweit. Als Studenten in Berlin ziehen sie mit Otto Schily um die Häuser und essen Steak Minute in der Paris Bar in der Kantstraße.
Um Geld zu verdienen, importiert Gerkan aus Kopenhagen Luxo-Lampen, die klassischen Schreibtischlampen mit den Scherenarmen, und transportiert sie erst persönlich mit seiner Ente, später dann per Schiffsfracht.
Ihren Geschmack schulen die beiden Architekten an der Moderne des Bauhauses und in Braunschweig, wo Gerkan sein Studium 1964 beendet und später selbst als Professor am Institut für Baugestaltung lehrt. Der Einfluss ist in den Entwürfen zu sehen: Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, in Deutschland Egon Eiermann.
„Gerkan zeichnet, atmet und lebt Architektur“




Detailliert zeichnet Tietz den Erfolgsweg Gerkans nach. Er schreibt über jedes Werk, jeden Entwurf, jede Vision und jedes Problem. Besonders spannend sind die Seiten über das ungewöhnlichste Projekt: eine komplett neue Stadt in China. 2002 gewann gmp einen Wettbewerb des Stadtplanungsamtes von Schanghai zur Planung einer neuen Industrie-, Wohn- und Hafenstadt. Gerkan entwarf Lingang, das noch im Bau ist und 2020 fertig sein soll: eine Stadt für 800.000 Menschen, auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern. Auf Luftbildern ist die Idee des Architekten gut zu sehen: Die Stadt ist rund und wie ein Wassertropfen, der konzentrische Kreise zieht.
„Gerkan zeichnet, atmet und lebt Architektur“, schreibt der Biograf an einer Stelle. Und: „Anstelle weitschweifiger Theorie oder utopischer Visionen ist seine Architekturhaltung pragmatisch.“ Der Titel der Biografie, „Vielfalt in der Einheit“, ist keine Erfindung des Verlags, sondern laut Tietz eine der vier Leitlinien seiner Architektur. Die anderen drei sind Einfachheit, Unverwechselbarkeit und strukturelle Ordnung. Leitlinien, die auch jedem Banker, Manager und Politiker gut stünden.









