Gedenktag: Synagoge in Düsseldorf, eine Lücke, die nie geschlossen wurde
Düsseldorf. Wer morgens – unter Zeitdruck – zur Arbeit in die Verlagsgruppe Handelsblatt in Düsseldorf strebte, eilte an einem großen, aber nicht besonders augenfälligen Gedenkstein vorbei. Und abends kam man auf dem Nachhauseweg zum Bahnhof erneut vorbei; natürlich wieder in Eile. Wer machte sich schon in diesem Augenblick Gedanken, dass dort, wo in mehreren Stockwerken bis Ende 2017 recherchiert und publiziert wurde, einst eine imposante Synagoge stand? Sie war das kulturelle und spirituelle Zentrum der geschätzt 5000 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde Düsseldorfs und ein städtebaulich markanter Akzent.
Eine Lichtinstallation des Künstlers Mischa Kuball erinnert nun an diesen besonderen Ort. Anlass ist der 85. Jahrestag seiner Zerstörung. Am 9. November 1938 hatten Mitglieder der nationalsozialistischen SA-Truppe das Gebäude verwüstet und in Brand gesteckt. Drei Wochen später wurde es abgerissen und die bereits zu diesem Zeitpunkt seit Jahren drangsalierten jüdischen Mitbürger systematisch vertrieben und ermordet. Ungefähr die Hälfte der Gemeindemitglieder verlor ihr Leben. 53 erlebten das Kriegsende. 2500 Menschen gelang die Auswanderung.
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Kuballs Arbeit „missing link_“ will diesen Verlust in den Nächten der kalten Jahreszeit auf eine jähe Art wieder ins Gedächtnis rufen. Wer die Stelle an der Kasernenstraße 67, Ecke Siegfried-Klein-Straße passiert, durchfährt einen gleißend hellen Korridor, der sich wie eine Lichtschranke quer über die Kasernenstraße legt. Im Vorbeifahren erscheint vor dem ehemaligen Verlagsgebäude die Projektion eines Ausschnitts des ursprünglich dort stehenden Gebäudeensembles.
Kuball bezieht sich mit seiner Installation auf die große Lücke, die die Zerstörung von jüdischen Einrichtungen, Synagogen, Geschäften, Hotels und Restaurants in der Pogromnacht 1938 in der Stadt Düsseldorf hinterlassen hat. Eine Lücke, die nie wirklich geschlossen wurde. „Diese Orte, ja man muss sagen Tat(!)Orte sichtbar zu machen – dazu benutze ich das Licht, ein Fragment der ehemaligen Fassade und eben diesen Zeitpunkt der Übergabe an die Stadtgesellschaft“, ergänzte der Künstler in einer E-Mail an die Autorin.
Der Eingriff ist so behutsam wie nachdrücklich. Er hinterlässt keine Spuren, allenfalls einen Gedanken; etwas, das sich im Kopf abspielt und jede Richtung annehmen kann. Er passt zu dieser Zeit, in der – verstärkt durch den Terror-Angriff der Hamas – Gedenkstätten angegriffen und geschändet werden und die jüdische Bevölkerung in Deutschland wieder Angst haben muss. Und er passt zu diesem Ort, an dem vom Gewesenen nichts mehr vorzufinden ist. Anders als in Stommeln bei Köln.

Die Anfang des 20. Jahrhunderts in neoromanischem Stil errichtete Große Synagoge gab auf der Kasernenstraße ein beeindruckendes Bild ab.
In Stommeln hatte immerhin die Gebäudehülle den Krieg überstanden. 1994 ging Kuball für sein Projekt „refraction house“ hinein in den Bau und illuminierte die Synagoge von innen heraus mit gleißendem Licht. Es war so hell, dass es das Gebäude in den Nächten förmlich zum Schweben brachte.
Den Begriff „missing link“ kennt man eigentlich aus der Evolutionstheorie. Hier hat das „fehlende Bindeglied“ die Bedeutung einer noch nicht entdeckten fossilen Übergangsform zwischen entwicklungsgeschichtlichen Vor- und Nachfahren. Vom Prinzip her ist das „missing link“ also ein begriffliches Konstrukt, mit dem eine Überlieferungslücke geschlossen werden soll. Man könnte auch von einer Möglichkeitsform sprechen. Damit wäre Kuballs „missing link_“ besser charakterisiert.
Mischa Kuball: „missing link_“, ein Projekt in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde, der Stadt Düsseldorf und der Mahn- und Gedenkstätte, Start: 9. November um 23 Uhr an der Ecke Kasernenstraße, Ecke Siegfried-Klein-Straße, bis März 2024. Informationen, historische Abbildungen und Zeitzeugenberichte können auf einer App unter https://missing-link.düsseldorf.de/ abgerufen werden, aber nur auf dem Mobiltelefon.
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