Krimiautor Klaus-Peter Wolf: „Was sind deine Angstträume?“

Der Krimiautor kommt zwar nicht ursprünglich aus Ostfriesland. Dennoch schreibt er die besten Ostfriesland-Krimis.
Zu Hause im ostfriesischen Backsteinhaus ist er derzeit selten, ist seit Februar mit seinem neuen Krimi „Ostfriesenschwur“ in ganz Deutschland auf Tour. Umso mehr genießt er die stillen Momente auf der heimischen Terrasse im Strandkorb – bis es klingelt. Denn wer im Distelkamp wohnt, genau wie seine beliebte Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, darf sich nicht wundern, wenn seine Fangemeinde ihn aufstöbert. Wolf geht zur Haustür und signiert. Seinen Fans ist er dankbar: Ihre Mund-zu-Mund-Propaganda hat seine Ostfriesenkrimis auf die Bestsellerlisten katapultiert.
Herr Wolf, sie touren mit ihrem aktuellen Krimi „Ostfriesenschwur“ durch ganz Deutschland. Bei einigen Sätzen brüllen im Saal 300 bis 400 Menschen vor Lachen.
Das stimmt und es ist großartig. Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich selbst noch so voller Adrenalin, dass ich einige Zeit brauche um Runterzukommen. Ich nutze dann die Energie zum Schreiben für den nächsten Krimi der Reihe.
Jetzt verraten sie aber bitte einem Außenstehenden - was ist an dem Satz: „Und dann kam Rupert“ so lustig?
Für sich genommen, ist das natürlich nicht witzig. Aber meine Leser wissen genau, was nun folgen wird: Wenn Kripomann Rupert in dieser Situation auftaucht, dann ist zu erwarten, dass das Ungeheuerlichste passiert, was passieren kann. Und meine Leser kennen die handelnden Figuren genau.
Bis zum Jahresende – so schätzt der Verlag – werden vier Millionen ihrer Ostfriesenkrimis verkauft sein. Hören sie es da noch gerne, wenn man ihre Romane als Regionalkrimis bezeichnet?
Ich glaube ehrlich gesagt, dass dieser Begriff für deutsche Krimis erfunden wurde und immer abwertend gemeint war.
Inwiefern?
Niemand käme zum Beispiel auf die Idee, Ian Rankin vorzuwerfen, dass seine Krimis in Edingburgh spielen und es daher genau genommen Regiokrimis sind. Oder dass Henning Mankell seinen Kommissar Wallander immer in Südschweden oder nur in Ystadt ermitteln lässt. Doch die Bücher der beiden Autoren oder vergleichbarer ausländischer Kollegen gelten ganz selbstverständlich als internationale Kriminalromane, nicht als Regiokrimis.
Warum spricht man dann in Deutschland gerne von Regionalkrimis?
Ich glaube, dass das von Literaturagenturen gerne benutzt wurde, die vor allem amerikanische, schwedische und norwegische Autoren vertreten haben. Diese Nationen haben jahrzehntelang die Bestsellerlisten beherrscht. Auch ich habe lange Zeit darunter gelitten, dass die Mär nicht angezweifelt wurde, die da hieß: Deutsche Autoren können keine Spannung. Es ging so weit, dass mir ein Verleger vorgeschlagen hat, meine Romane einfach in London oder New York spielen zu lassen. Denn der Handel und die Leser würden deutsche Krimis nicht annehmen.

Und das gilt heute nicht mehr?
Ich bin durchaus ein wenig stolz darauf, zu den Autoren zu gehören, die bewiesen haben, dass das Quatsch ist. Jetzt stehen die ausländischen Autoren in der Bestsellerliste Schlange. Kriminalromane waren zu allen Zeiten in Raum und Zeit klar verortet. Und die Verniedlichung „Regionalkrimi“ hat außerhalb von Deutschland sowieso nie eine Rolle gespielt.
Werden denn auch im Ausland ihre Ostfriesenkrimis gelesen?
Ja, mit dem wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland wurden auch die ausländischen Verleger aufmerksam. Gerade habe ich für meine Krimi-Reihe Verträge mit einem russischen Verlag unterzeichnet. Meine Bücher sind in 24 Sprachen übersetzt. Manche der Leser wissen dann zum Teil noch nicht einmal, wo Ostfriesland liegt und assoziieren mit „Ost“ automatisch eine Region, die wohl einst in Ostdeutschland hinter der Mauer lag.
Welche ausländischen Leser stehen denn besonders auf ihre Krimi-Reihe?
Die Polen. Unglaublich viele meiner Krimis werden dort verkauft.
Warum gerade die Polen?
Da muss ich passen. Ganz ehrlich – das weiß ich nicht. Auch in Estland leben sehr viele meiner Leser. In Talin habe ich zum Beispiel vorgelesen und meine Frau Bettina Göschl, hat dazu Lieder von ihrer CD „Ostfriesenblues“ vorgetragen. Natürlich war ein Übersetzer dabei, aber die Halle in Talin war brechend voll, eine Bombenstimmung, einfach unglaublich. Wir konnten es kaum fassen.

Ostfriesland gilt ja als höchst friedlicher Landstrich. Doch im aktuellen Krimi „Ostfriesenschwur“ wird ein Kopf verschickt, dann taucht ein Rumpf auf, der nicht zum Kopf passt – ganz schön grausam.
Ja, aber man darf nicht vergessen: Die Realität ist grausamer. Reale Kommissare sehen und riechen das Verbrechen, müssen es anfassen, sind nahe dran. Im Roman wird das weggeblendet.
Wie das?
So geht der Leser zum Beispiel in die Pathologie, wo die Leiche auf dem Tisch liegt, aber dann sieht er in diesem Moment mit Ruperts Augen. Der richtet seinen Blick auf das Hinterteil der Putzfrau. Als Frau ärgert man sich jetzt vielleicht über diesen doofen Kerl, Männer grinsen vielleicht – je nachdem. Aber niemand bekommt in meinen Krimis einen Grundkurs in Chirurgie. Der Fantasie des Lesers will ich natürlich keinen Einhalt gebieten.
Grusel und Lachen stehen in Ihren Romanen erstaunlich nah beieinander.
Ja, ich nutze den Grusel als Fallhöhe fürs Lachen und umgekehrt. So lachen sie in „Ostfriesenschwur“ zum Beispiel gerade über den dummen Faust, der die ganze Zeit veräppelt wird und nur sauer ist, dass niemand ein Autogramm von ihm haben möchte. Dann kommt eine alte Frau auf ihn zu und der Leser freut sich, dass die ihn nun auch noch hoch nehmen will – aber sie ersticht ihn. Das ist enorm gruselig, weil die Leser aus dem Lachen kommen.
Sie sind auch preisgekrönter Drehbuchautor. Hilft das beim Schreiben der Krimis?
Beim Fernsehen habe ich das Denken in Bildern gelernt – nur muss ich jetzt die Bilder im Kopf meines Lesers hervorbringen. Zudem ist es wichtig, Dialoge auf den Punkt zu bringen und nicht zu verlabern. Auch das habe ich gelernt. Denn Schwächen im Dialog sind meistens Schwächen in der Figur. Wer als Autor seine Figur nicht genau kennt, weiß nicht, was sie sagen würde.
Noch einmal zurück zu Ostfriesland: Warum spielen ihre Krimis ausgerechnet dort? Zumal sie selbst kein Einheimischer sind.
Das stimmt, ich bin in Gelsenkirchen geboren wie meine Hauptfigur - Hauptkommissarin Ann-Kathrin Klaasen. Mittlerweile lebe ich aber schon 15 Jahre hier im Norden. Ich denke, im Krimi muss es nicht immer die Anonymität der Großstadt sein. Es ist auch reizvoll, wenn der Grusel in eine Region vordringt, wo jeder jeden kennt. Daraus ergeben sich ganz neue Konstellationen. Spannend ist auch der Wechsel der Gezeiten in der Natur sowie im gesellschaftlichen Leben. Im November ist es einsam, dann kommt wieder die Flut von Touristen.
Die sind aber hoffentlich großteils friedlich und keine Gangster.
Das mag zumeist stimmen. Aber mal anders betrachtet: Wollte man sich als Gangster verstecken, wäre eine Region wie Ostfriesland ideal. Hier wird jeder offen und freundlich aufgenommen und keiner fragt nach: 'Was machst Du eigentlich hier?'“
Da sie aus Nordrhein-Westfalen kommen, beschreiben sie die Ostfriesen aus einer Außensicht. Spielt das eine Rolle?
Ja, mir fallen Eigenheiten und Sitten auf, die ich dann erzähle. Ein Ostfriese würde vieles gar nicht schildern – es wäre ihm zu selbstverständlich. Eine wunderschöne Sitte ist zum Beispiel das Kranzbinden, mit dem die Nachbarn Neulinge, die in die Straße ziehen, begrüßen. Wäre ich Ostfriese hätte das wahrscheinlich nicht Eingang in eines meiner Bücher gefunden – aber die Leser lieben so etwas. Ich denke, das ist wohl einer der Gründe dafür, dass der erfolgreichste Ostfriesenautor nicht aus Ostfriesland kommt.
Aber Küstenkrimis gibt es ja inzwischen wie Sand am Meer.
Viele Verlage haben versucht, vom Erfolg der Ostfriesenkrimis zu profitieren und selbst Küstenkrimis auf den Markt gebracht. Aber ich habe den Vorteil, dass ich die Ostfriesen inzwischen sehr genau kenne. Wer als Autor zum Beispiel Priele und Siele verwechselt oder auf Langeoog einen Leuchtturm ansiedelt, wo keiner ist, hat schon verloren.
Sie sagen gerne, dass gute Krimis alles andere als Trivialliteratur sind. Was genau meinen sie damit?
In Krimis werden immer gesellschaftliche Fragen diskutiert, werden die Abgründe der menschlichen Seele offengelegt. Darin erfahre ich mehr über eine Gesellschaft als in vielen anderen Büchern.
Geht es im „Ostfriesenschwur“ um die Frage: Was ist Recht, was Gesetz? Haben sie darauf eine Antwort gefunden?
Wenn zum Beispiel ein Kripobeamter den Dienst quittiert, gilt gerne das Klischee: Der hält die schrecklichen Dinge nicht aus, mit denen er täglich konfrontiert wird.
Klingt nachvollziehbar.
Ja. Aber die meisten halten es vielmehr nicht aus, dass alles was sie tun, hinterher vor Gericht verhandelt wird – unter Umständen zwei Jahre später. Dann steht ein Kripomann eventuell einem Strafverteidiger gegenüber, der nur eine Möglichkeit hat, seinen Typen frei zu bekommen: Er muss die Arbeit des Kriminalbeamten als falsch, unsachlich, und ungenau darstellen. Sollte der Täter dann frei kommen und zum Beispiel erneut einen Mord verüben, wird sich der Kripomann fragen, ob er daran mitschuldig ist. Jeder Prozess ist daher für ihn wie eine ständige Abiturprüfung.
Recherchieren sie vor dem Schreiben ihrer Romane bei vielen Kriminalbeamten und Juristen?
Ja, ich bin ständig mit ihnen im Gespräch. Dabei interessieren mich nicht ihre Erfolge, sondern vielmehr die Frage: Was sind Deine Angstträume? Wovor fürchtest Du Dich? Das übertrage ich dann auf meine literarischen Figuren. Jetzt muss ich natürlich sagen, dass es aus rechtsstaatlicher Sicht richtig ist, dass das alleinige Wissen eines Kommissars zur Verurteilung nicht ausreicht. Trotzdem ist der Kripomann natürlich ein Individuum, das mit seinem Wissen leben muss. In meinem Roman kommt dann jemand, der das Urteil selbst spricht – und es werden Unschuldige zu Opfern. Ich erzähle die Probleme – lösen kann ich sie nicht.
Sie schreiben über Kneipen, Restaurants und Straßen, die alle tatsächlich existieren. Sogar ihre Freunde haben sie nach deren Erlaubnis in die Krimis eingebaut. Warum das?
Ein Krimi muss milieusicher sein. Ich wollte so wahrhaftige Personen wie möglich erzählen und aus dem Leben holen. Den Täter und das Opfer habe ich immer erfunden – sonst erzähle ich einfach meine ostfriesische Welt und lege gruselige Verbrechen hinein. Deshalb sind meine Figuren keine Marionetten, die den rechten Arm heben, wenn der Autor das will. Bei mir handeln die Figuren aus sich heraus.
Wer zum Beispiel?
Da gibt es zum Beispiel den Maurer Peter Grendel, ein Kerl wie ein Baum mit Händen wie Bratpfannen. In „Ostfriesenmoor“ rettet er zwei Kinder aus einem Auto. Als ich dann mit Peter durch unsere Stadt spazierte, kam eine Frau auf uns zu, strahlte ihn an und bedankte sich für die großartige Rettung der Kinder. Wir wussten natürlich alle, dass es nur ein Roman ist. Aber es hat schon etwas Surreales, wenn die Person aus einem Krimi mit einem Mal vor einem steht. Realität und Fiktion vermischen sich und das ist natürlich auch ein schönes Spiel. Ich liebe es.








