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Neues Buch von „Spiegel“-Reporter Dirk Koch Journalisten im Jagdfieber

In seinem neuen Buch schreibt „Spiegel“-Starreporter Dirk Koch über das Ringen mit den Mächtigen. Bodo Hombach liest daraus ein Plädoyer für den guten Enthüllungsjournalismus – jede Episode ein Politikrimi.
29.05.2016 - 21:58 Uhr
„Der Stand des Journalisten ist geschwächt.“ Quelle: imago/Schöning
Die Panama Papers als Thema beim Karneval der Kulturen in Berlin-Kreuzberg

„Der Stand des Journalisten ist geschwächt.“

(Foto: imago/Schöning)

Düsseldorf Als ich Dirk Koch in Vietnam für den Vortrag „Politik und Medien“ ankündigte, erwartete man, dass er ihn selbstverständlich vorher ausformuliert einreichen würde. Koch erschreckte die Veranstalter. Er schriebe nie vorher auf und hätte auch nichts einzureichen. Sie mussten es darauf ankommen lassen. Es erwartete sie ein zweiter Schock: Er stand zu seinen Ansichten und Prinzipien mit einer Klarheit, welche die Lebensform von Funktionären komplett überforderte. Nicht so die Studenten. Die waren demonstrativ begeistert von seiner Persönlichkeit und der Botschaft, dass Medien und Machthaber nicht unbedingt im Schulterschluss agieren müssen. Dass sie das auch gar nicht sollen, war für sie Exotik pur.

Auch die junge Bundesrepublik Deutschland hatte Lernbedarf. Adenauer regierte nach Gutsherrenart. Er verwaltete persönlich den millionenschweren Haushaltstitel 300. Daraus sicherte er sich bei der Presse freundliche Geschichten. Die Westdeutschen hatten – gefühlt – andere Probleme als Artikel 5 GG. „Pressefreiheit“. Das war etwas, was die Obrigkeit gewährte, wenn sie es für richtig hielt. Zu viel Störendes war „Gott sei Dank“ ungewollt oder gar verboten. Aber bitte keine Häme! – Gefälligkeiten gegen Geld, auch gefälliges Schweigen, durchziehen Medien bis heute.

Bodo Hombach ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung und ehemaliger SPD-Politiker. Quelle: PR
Der Autor

Bodo Hombach ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung und ehemaliger SPD-Politiker.

(Foto: PR)

Dass freie und kritische Berichterstattung Wesensmerkmal und unkündbarer Besitzstand der demokratischen Gesellschaft ist, muss immer neu eingeübt werden. Am besten „by doing“. Adenauer lag richtig, als er die „Spiegel“-Affäre im Bundestag einen „Abgrund von Landesverrat“ nannte. Er verwechselte nur die Täter. Den Verfassungsbruch begingen nicht Conrad Ahlers und Rudolf Augstein, sondern seine Regierung.

Dirk Koch, Jahrgang 43, war schon Starreporter des „Spiegels“, als es dort noch keine Stars gab. Lange war es Stil des Magazins, die Namen der Autoren wegzulassen. Das stärkte den Korpsgeist und verhinderte Eifersüchteleien. Das Team zählte, und der Artikel musste gelten. Da es anschließend vonseiten der Enthüllten Hiebe und Stiche setzte, musste er hieb- und stichfest sein. Das brauchte ein kriminologisches Gespür, langfristige Recherchen und konspirative Treffen mit Informanten. „Freiheit ist das Recht, jemandem zu sagen, was dieser nicht hören will.“ (George Orwell).

Auf einem Feld, wo sich zynischer Machtmissbrauch, Korruption, Lug und Trug im Verhau der Bürokratie und mit großzügigem Gebrauch des Geheimnisstempels verstecken kann, begibt sich der enthüllende Journalist in „Teufels Küche“. Das tut einer aus ethischer Wahrheitssehnsucht oder mit fröhlicher Beißerlust. Gut, wenn er dann einen starken Verlag hinter sich weiß, dessen Justiziare ihm bei Bedarf die rettende Tarnkappe überwerfen.

Geschichten hinter den Geschichten

Nun hat Dirk Koch ein Buch vorgelegt, genauer: als Buch getarnte „Spiegel“-Geschichten; noch genauer: Geschichten hinter den Geschichten. Ein pensionierter Jäger erinnert sich seiner „wild days“. Er betrachtet mit Genugtuung und nicht ganz ohne Eitelkeit die Trophäen der von ihm erlegten Zwölf- und 14-Ender der Politik. Das geschieht in prägnanten Episoden, salopp, detailreich, teils schnoddrig formuliert, jede ein Politkrimi auf wenigen Seiten, fast alle mit Modellcharakter. Offenbar hat er aus seinem Zettelkasten ausgewählt, was sich als Lehrstück eignet.

Sein Buch wäre nicht halb so lesenswert, wenn es sich im Anekdotischen verlieren würde. Wer beim Lesen in Erinnerung an die alten Affären nur die eigenen Ur- und Vorurteile wiederkäut, liest es unter Wert. Wichtig wird es in seinen nachdenklichen Passagen, wo Notwendigkeit und Grenzen des Enthüllungsjournalismus in der Person des Autors gegeneinander argumentieren. Dieser jetzt wieder wichtige Diskurs ist nicht nur Sache der Gesellschaft. Jeder Journalist muss ständig neu entscheiden, was er weiß oder nur glaubt, was zur Sache gehört und was nicht, was er schreiben oder verschweigen sollte. Ein Tanz auf der Rasierklinge, nur wer diesen riskiert und sich nicht dem Mainstream oder der Macht von Politik und Geld unterwirft, darf auf Vergebung hoffen, wenn er mal im Übereifer patzt.

Dirk Koch – Der ambulante Schlachthof oder Wie man Politiker wieder das Fürchten lehrt. Die letzten Geheimnisse der Bundesrepublik.
Westend, Frankfurt 2016, 191 Seiten, 18 Euro
ISBN: 3864891248

Etliche Redaktionen haben sich berufsethische Selbstverpflichtungen gegeben. Mit wachsender Nähe zum realen Leben verlieren sie ihre Trennschärfe. Das Diktum von Hanns Joachim Friedrichs, der Journalist dürfe sich mit keiner Sache gemein machen, auch keiner guten, will Koch so nicht stehen lassen. Das ist keine Zustimmung zum „intentionalen“ Journalismus. Der will weniger ein realistisches Bild unserer Welt zeichnen und uns informieren, sondern er will uns gute Gesinnung lehren. Koch hätte das als wahr Erkannte wohl niemals wegen irgendeiner Gesinnung verborgen. Warum sollte sich ein Enthüller nicht mit der guten Sache gemein machen. Es ist sein Beruf, es zu tun, zum Beispiel mit der Wahrheit, wenn sie sich hinter Lügen und „Ehrenwörtern“ verbirgt. Oder mit der Redlichkeit, wenn Korruption und Klientelpolitik regieren.

Die Informationspflicht hat Grenzen. Wenn – wie Koch verrät – im Sonderzug nach Erfurt ein angezechter Regierungsbeamter um Mitternacht auf den Tisch springt und sich wie im „Polenfeldzug“ fühlt, wäre das zwar eine donnernde Schlagzeile geworden, sie hätte aber das zarte Pflänzchen der deutsch-deutschen Annäherung im Keim erstickt. Das Grundgesetz ist eine „gute Sache“, mit der man sich auch als Journalist „gemein“ machen“ kann. Es ist keine technische Gebrauchsanweisung, die jeder Schlaukopf aus parteistrategischem Kalkül oder zwecks persönlicher Bereicherung umtricksen kann. Es ist ein aus schwersten Verirrungen und Verbrechen deutscher Geschichte destillierter Wertekanon. Es „gehört“ nicht den Parteien, sondern „dem deutschen Volke“, das seine Vertreter für vier Jahre beauftragt, es mit Sinn zu erfüllen.

Enthüllungsjournalisten, die um jeden Preis zum Schuss kommen wollen

Koch ist Verfassungspatriot. Hanns Joachim Friedrichs hätte ihm vermutlich zugestimmt, denn ihm ging es mit seinem Lehrsatz nicht um die unkündbaren Artikel des GG, sondern um das breite und bunte Feld der politischen und weltanschaulichen Optionen. Die kann man unterschiedlich wahrnehmen und bewerten. Hier sollte sich der Journalist neutral befleißigen, denn sonst bringt auch er es nicht weiter als bis zu Meinung und Interesse. Diese zu verheimlichen ist Etikettenschwindel und eine Form der Lüge und Basis für rasanten Glaubwürdigkeitsverlust.

Es gibt auch den Enthüllungsjournalisten, der im Jagdeifer um jeden Preis zum Schuss kommen will. Der ist einer Enthüllung nicht mehr fähig, nämlich derjenigen seiner eigenen Verblendung. Die Versuchung läuft immer mit. Wer möchte schon gern einen Verdacht ad acta legen, nur weil er sich als unbegründet herausgestellt hat.

Epigonen von Koch, die seine menschliche Stärke und Besonnenheit nie erreichten, sind dieser Versuchung durchaus erlegen. „Der Stand des Journalisten ist geschwächt“, schreibt Koch im Vorwort. „Redaktionen werden verkleinert, Zeitungstitel zusammengelegt, Redakteure ins Freiberuflertum abgedrängt. Auflagen und Zuschauerzahlen sinken.“ In das Vakuum des Internets strömen alle, die mit Trillerpfeife oder Sprechchor kommunizieren und die sich nur selbst begegnen wollen. Wie recht er hat. Er hätte aber auch die großen und erfolgreichen, guten Beispiele nennen sollen. Die Steingarts, Leyendeckers und Willekes zum Beispiel, aber auch die junge Garde des investigativen Journalismus mit Mascolo vorweg. Oder den entstehenden unabhängigen, stiftungsfinanzierten Journalismus.

Dirk Koch wirft sein Buch in den Ring. Legitimiert durch seine Erfahrungen plädiert er für den einsamen Korrespondenten, der „bei aller Bescheidenheit im Wissen um seine Unzulänglichkeit“ mit den Mitteln einer freien Presse der Demokratie zu dienen hat „bei exklusiven Nachrichten, beim Einordnen von Information, beim Vermitteln von Hintergrundwissen, beim Kampf gegen Machtmissbrauch, bei der Jagd auf korrupte Politiker.“ Ich lese mich fest und schweife ab, aber genau das – scheint mir – ist die Leistung dieses Buchs. Seine Kapitel sind wie Perikopen. Man kann über sie predigen. Eigene Erinnerungen, Gedanken und Erfahrungen winken einem zu. Koch liefert mit seinen „Jagdszenen“ ergiebige Impulse, über den schillernden Beruf des Journalisten nachzudenken. Volontäre sollten das kleine Buch auf dem Nachttisch haben, um unruhiger zu schlafen und den allgemeinen Zerfall der Maßstäbe ein wenig zu bedauern. – Wenn ihnen nicht die nächste SMS oder WhatsApp dazwischenkommt.

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