Stammeskunst Didier Claes ist das Showtalent unter den Kunsthändlern

Der Galeriegründer steht zwischen einer Maske der Pende aus dem Kongo und dem unbetitelten Gemälde von Armand Boua.
Brüssel Didier Claes löst Emotionen aus in der Kunstbranche – Entsetzen und Bewunderung. Für verrückt hielten ihn die einen, für genial die anderen, als der Händler 2011 bei der Brüsseler Kunstmesse Brafa nur ein einziges Stück ausstellte. In einem schwarzen Kubus setzte er den Scheinwerfer auf einen afrikanischen Nagelfetisch, der den Donnergott darstellt.
Noch unkonventioneller als die gewagte Inszenierung war: Die mit Metallteilen gespickte Holzstatue konnte niemand mehr erwerben. Sie war bereits vorher verkauft worden. Für vier Millionen Euro, spekulierte die Szene der Kenner.
Es geht dem heute 42-Jährigen um die Show. „Ich wollte die Skulptur als zeitlose Ikone präsentieren“, sagt der Modernisierer, der sich mittlerweile weltweit unter den Stammeskunstsammlern einen exzellenten Ruf erarbeitet hat. „Er hat hohe Preise, aber man kann sich darauf verlassen, dass die Stücke gut sind“, sagt Tomaso Vigorelli, Inhaber der Galerie Dalton Somaré, die ebenfalls mit afrikanischer Kunst handelt.
Bis heute hält Claes an seinen ungewöhnlichen Darbietungen fest. Im vergangenen Jahr zeigte der Belgier auf der Brafa-Messe an einer riesigen weißen Wand einfach nur Dutzende aufwendig verzierte Kämme aus dem Kongo in einer Reihe. Das hatte vorher noch keiner so gemacht.
Claes stammt anders als viele seiner Konkurrenten nicht aus einer vermögenden Händlerdynastie. „Ich hatte nur das Wissen, aber kein großes Startkapital wie andere Galeristen. Ich konnte mir keine Fehler leisten. Und deswegen bin ich so gut geworden.“ Grinsend fügt er an: „Um erfolgreich zu sein, muss man hungrig sein. Andere haben diesen Hunger nicht.“

Diesen Nagelfetisch aus dem Kongo hatte Didier Claes 2011 als einziges Objekt auf der Brafa-Messe ausgestellt und kunstvoll beleuchtet.
Als Sohn eines belgischen Vaters und einer kongolesischen Mutter wurde er im Kongo geboren. Sein Vater war Wissenschaftler und Einkäufer für das Nationalmuseum in der Hauptstadt Kinshasa. So begleitete der junge Claes den Senior bei Streifzügen durch die Dörfer, um exquisite Stücke für die Museumssammlung zu finden und zu kaufen. Objekte, die das Museum nicht erwerben wollte, hat der Vater anderen Händlern vermittelt.
Mit 17 Jahren verließ Claes den Kongo. Nach Stationen in Paris und New York eröffnete er 2002 im Alter von nur 25 Jahren eine eigene Galerie im Brüsseler Kunsthändlerviertel Sablon. Als jüngerer Händler für alte Kunst möchte Didier Claes Menschen in seinem Alter zu Sammlern von morgen heranziehen. Er ist auf den großen Messen präsent wie der Tefaf in Maastricht oder in New York.
Mittlerweile ist Claes nicht nur Vizepräsident der Brafa, sondern auch seit 2014 Präsident der Bruneaf, der traditionsreichen Messe für außereuropäische Kunst in Brüssel. Sehr selbstbewusst sieht er es als seinen Verdienst an, dass sich Brüssel neben Paris St. Germain als Marktplatz für die klassische afrikanische Kunst in den letzten zehn Jahren behaupten konnte.
Als Mensch mit dunkler Hautfarbe ist Claes im Kunsthandel nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung. Die Mehrheit der Galeristen und Kunsthändler ist weiß, auch und gerade im Bereich der alten Kunst aus Afrika. Früher habe er mit vielen Ressentiments zu kämpfen gehabt, räumt er ein. Heute sei es anders – dank seiner Bekanntheit in der Branche. „Meine Herkunft ist auch meine Stärke“, sagt Claes, der ab und zu noch Rat sucht bei seinem Vater Patrick. Auf die Frage, ob er mehr Freunde oder Feinde habe, sagt er: „Ich werde lieber beneidet, als neidisch zu sein.“

Didier Claes zieht ein junges, hippes Publikum an. In den Brüsseler Szenekneipen ist er stets umgeben von seiner Entourage. Er feiert viel und ist für seine Spendierfreude bekannt.
Was Didier Claes von anderen Galeristen unterscheide, sei sein Marketing und die Aufmachung, sagt Kunstexperte Heinrich Schweizer. „Es ist sicherlich einer der Wege, neue Käufer zu generieren, aber nicht der einzige. Er spricht die Sprache der jungen Käuferschaft.“
Claes hat eine Marke aus sich gemacht, lässt Stoffbeutel mit seinem Namen bedrucken, fährt im SUV mit Nummernschild „DC-1“ vor und lässt seine tausenden Fans täglich über Facebook und Instagram an seinem Leben teilhaben.
Die sozialen Medien seien für ihn ein wichtiges Kommunikationsmittel, sagt Claes. In den Brüsseler Szenekneipen ist er stets umgeben von seiner Entourage aus jungen Leuten. Er feiert viel und ist für seine Spendierfreude bekannt. „Ich bin gern umgeben von Menschen. Vielleicht ist das meine afrikanische Seite, aber ich mag sie.“
Zuletzt überraschte der junge Unternehmer mit einem strategisch zu verstehenden Ortswechsel. Vor zwei Jahren verließ er das Sablon-Quartier und zog mit seiner Galerie in das hippe Ixelles-Viertel, in dem viele Galerien für Gegenwartskunst sitzen.
„Der Sablon ist sehr traditionell, Erneuerung fand wenig statt. Es ist mir ein bisschen langweilig geworden“, begründet er seinen Schritt. Optisch und räumlich sucht Claes jetzt die Nähe zur zeitgenössischen Kunst.
Sein Spezialgebiet – die traditionelle Kunst des Kongo – präsentiert er auf zwei Stockwerken im Stil eines ‚White Cube‘, wie ihn Galerien für zeitgenössische Kunst pflegen: weiße Wände, nichts lenkt von der Kunst ab. Seine Nachbarin ist die Galerie Almine Rech, die der Frau eines Enkels von Pablo Picasso gehört.
Um auch die Sammler moderner und zeitgenössischer Kunst für sich zu gewinnen, präsentiert Didier Claes afrikanische Masken und Statuen neben Kunst der Gegenwart. „Die Kombination erzeugt Aufmerksamkeit. Und sie kann ein Türöffner sein, um Kunden auf den Messestand oder in die Galerie zu bekommen“, hofft Claes.

Auf der Brafa-Kunstmesse 2019 kombinierte Kunsthändler Didier Claes zeitgenössische Fotografie mit alten afrikanischen Statuen.
Die Strategie scheint sich auszuzahlen. 2017 zeigte er auf der Brafa zwei großformatige abstrakte Leinwände der zeitgenössischen belgischen Malerin Sophie Cauvin neben afrikanischen Objekten. Das lockte einen neuen Kunden an den Stand. Dieser Neuling erwarb dann das teuerste Ausstellungsobjekt aus Afrika für 700.000 Euro.
Besonders beliebt seien, erzählt Claes, vor allem jene alten Masken und Statuen, die Sammler von heute an Gemälde von Paul Gauguin, Amedeo Modigliani und Pablo Picasso erinnern. Denn die Avantgarde bezog vor 120 Jahren fruchtbare Anregungen aus der afrikanischen und ozeanischen Kunst.
Kunden kommen aus der Finanzwelt
„Die Zeit der verstaubten Galerien und Antiquitätenhandlungen ist definitiv vorbei“, behauptet Claes auch mit Blick auf die vielen kleinen Antiquitätenhändler rund um den Sablonplatz. Dort präsentieren sie sich teils immer noch wie ethnologische Wunderkammern und nicht wie Kunstgalerien von internationalem Rang. Dort stöberten über Jahrzehnte ältere Ärzte, Notare, Universitätsprofessoren nach guten Stücken – fast „wie Briefmarkensammler“, wie Claes lästert. Er hat eine andere Käuferschaft im Blick.
Seine Kunden kommen mittlerweile aus der Finanzwelt, sind Manager, Selbstständige oder reiche Erben. Zu ihnen gehörte auch der kongolesische Geschäftsmann Sindika Dokolo, dessen Sammlung rund 5000 Werke umfasst. Mit seiner Stiftung wollte der 47-Jährige eine seriöse Institution für afrikanische Kunst aufbauen.
Doch er und seine Frau, die Ex-Präsidenten-Tochter Isabel dos Santos, sind nun in einen Korruptionsskandal verwickelt. Sie sollen ihre Beziehungen zum angolanischen staatlichen Ölkonzern und zum Diamantenkonzern ausgenutzt haben, um sich zu bereichern.
Laut einer Umfrage der französischen Zeitung „Le Monde“ sind Dokolos Freunde in der Kunstwelt trotz der Enthüllungen von seinen Qualitäten überzeugt. Auch Claes sieht in ihm jemanden, der „viel für die Kunstwelt getan hat“. Aber er räumt auch ein: „Ich kann meinen Kunden nicht hinter die Brieftasche schauen.“

Didier Claes' Spezialgebiet – die traditionelle Kunst des Kongo – präsentiert er in seiner Brüsseler Galerie auf zwei Stockwerken im Stil eines ‚White Cube‘, wie ihn Galerien für zeitgenössische Kunst pflegen.
In den vergangenen Jahren kamen zu kaufkräftigen Amerikanern und Europäern zunehmend auch Vermögende aus Katar und den Emiraten hinzu, zudem aus Brasilien, Singapur, China und Afrika. „Während es 2006 vielleicht fünf Sammler gab, die mehr als eine Million Dollar für eine afrikanische Skulptur ausgegeben haben, sind es heute mehr als hundert“, sagt der Händler Heinrich Schweizer. Bei Sotheby’s in New York betreute der Deutsche bis 2015 den Bereich afrikanische und pazifische Kunst. Der weltweite Wettbewerb habe die Preise auf ein neues Niveau gehoben.
Den Weltrekord bei Auktionen hält immer noch eine Senoufo-Statue, die 2014 von Sotheby’s New York für umgerechnet über 11 Millionen Euro verkauft wurde. Händler wie Claes oder Schweizer Premodern haben diesen Höchstpreis jedoch bereits kassiert.
So wurden zuletzt für Spitzenstücke 20 Millionen Euro bezahlt, wie der seit Jugendtagen mit Afrika befasste Schweizer verrät. Vor 15 Jahren lagen Spitzennotierungen bei zwei bis drei Millionen Euro. Geringe Summen im Vergleich zu Meisterwerken der Moderne, die sich für Preise bis zu 300 Millionen Euro verkaufen ließen.
Afrika selbst ist leer
Während es zwischen 2006 und 2015 ein dramatisches Wachstum gab, sei der Markt in den letzten Jahren stabil geblieben, heißt es vom Auktionshaus Christie’s, das 2019 rund 20 Millionen Dollar mit diesem Sammelgebiet umsetzte. 20,1 Millionen Euro habe auch Sotheby‘s in Paris insgesamt erzielt.
„Die Nachfrage nach seltenen und wichtigen sowie ästhetischen Objekten, die eine konsistente und umfassende Provenienz aufweisen, ist groß und hoch“, sagt Jean Fritts, Leiterin des Bereichs African & Oceanic Art bei Sotheby’s. „Dieser Markt ist sehr stark vom Angebot abhängig, noch mehr als andere Kategorien, in denen wir versteigern“, sagt Christie’s.

Für ein besonderes Projekt inszenierte Didier Claes alte afrikanische Skulpturen in der Art-Déco-Einrichtung des Privatmuseums van Buuren in Brüssel.
Und dieses Angebot ist limitiert. „Afrika selbst ist leer“, sagt Claes. Ein Händler lebe von dem Wissen darüber, wer ein wertvolles Stück hat und wer bereit ist, es zum höheren Preis weiterzuverkaufen. Deswegen sind Museen nicht seine Lieblingskunden.
„An Museen zu verkaufen wäre nur gut für mein Ego, aber es wäre nicht nachhaltig für mein Geschäft.“ Denn ein Objekt, das an ein Museum ginge, werde dem Markt für immer entzogen. Er ziehe Privatsammler vor, „denn diese sind für mich wie meine Bank, an die ich verkaufe, und von denen ich Stücke auch zurückbekommen kann.“
Stammeskunst inmitten von Art Déco
Für ein besonderes Projekt durfte sich der Händler bei zwei vertrauten Sammlern bedienen. Er lieh sich hochkarätige Statuen und Masken für eine von ihm kuratierte Ausstellung im Brüsseler Privatmuseum Van Buuren aus. Dabei inszenierte er die Stücke inmitten der Art Déco-Ausstattung des Hauses. Es sollte so wirken, als seien sie schon immer Teil der Einrichtung gewesen.
Mehr: Kunstmesse in Brüssel – Lesen Sie hier, was es auf der Brafa noch zu entdecken gab.
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