Umgang mit Raubkunst: Aus Hitlers Bunker gestohlen

Mit dem Makel der Raubkunst behaftet.
München. Katrin Stoll, die Geschäftsführerin des Münchner Auktionshauses Neumeister, ist in der Branche als engagierte Verfechterin von Provenienzforschung und Befürwortung der viel zitierten fairen und gerechten Lösung in Sachen NS-Raubkunst bekannt. Aber im Moment zeigt ihr ein Fall im eigenen Haus, wie ungeklärte Eigentumsansprüche die Versteigerung eines frühbarocken Meisterwerks zu einem angemessenen Marktpreis unmöglich machen. Dabei gibt es nicht einmal Restitutionsansprüche für die auf 40.000 bis 60.000 Euro taxierte „Bergpredigt“ von Frans Francken dem Jüngeren, die seit einiger Zeit in ihrem Tresor lagert.
Das Gemälde von 1606 sorgte vor fast zehn Jahren für Aufsehen. Ein junger Mann präsentierte es in der BR-Fernsehsendung „Kunst und Krempel“. Die Sendung sah auch der Provenienzforscher Stephan Klingen. Er erkannte es als Diebesgut aus dem bis heute größten Kunstraub Münchens, an dessen Rekonstruktion und Aufklärung sein Team vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte seit Jahren forscht.
In der Nacht zum 30. April 1945, als Adolf Hitler schon die Giftkapsel bereit hielt und die Amerikaner noch vor den Toren Münchens standen, hatte eine Schwabinger Clique den Bunker des Führerbaus in der Arcisstrasse geplündert und sich etwa 700 Kunstwerke angeeignet, die meist jüdischen Familien abgepresst und gestohlen worden waren und die für den „Sonderauftrag Linz“ vorgesehen waren. Allein 270 Altmeister stammten aus der elsässischen Sammlung Schloss. Gut 400 Werke dieses Raubzugs sind bis heute verschollen.
Stephan Klingen erstattete Anzeige, denn als Rechtsnachfolger des deutschen Reiches gehört ehemaliges Reichseigentum erst einmal der Bundesrepublik Deutschland. Die vorherigen Besitzer auszumachen, wäre dann Angelegenheit der Bundesstelle für offene Vermögensfragen geworden. Das Gericht entschied anders. In Deutschland gilt gutgläubig erworbenes Eigentum nach zehn Jahren als ersessener Besitz. Doch das große Fragezeichen, woher das Bild eigentlich stammt, gewann in dem Moment an Relevanz, als die Nachfahren des Führerbau-Diebes „Die Bergpredigt“ ins Auktionshaus brachten.

„Neue Qualität der Unschärfe.“
Zwei Thesen zur Herkunft gibt es. Es stammt aus Frankreich, denn dort hat es der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt gekauft und an den „Sonderauftrag Linz“ weitergereicht. Oder es stammt aus dem Besitz der im KZ ermordeten Wiener Jüdin Vally Honig, die eine „Bergpredigt“ von Frans Francken besaß. Nach dem Krieg erwähnte ihre Tochter im Reichserstattungsantrag ein solches Bild jedoch in keiner Zeile. Zudem sind von diesem Motiv allein sechs Versionen Franckes bekannt. Für ein Gemälde mit diesem Hintergrund wird weder ein Museum noch der Kunsthandel Interesse zeigen. Und auch ein Sammler investiert sein Geld lieber in andere Gemälde, zumal in den USA Diebesgut niemals Eigentum werden kann und auch in Frankreich bis heute NS-Raub strafrechtlich verfolgt wird.
Katrin Stoll ist ratlos. „Wir sind ein Kunst-Auktionshaus und keine Provenienzforscher“. Die enormen Gelder, die die Bundesregierung seit der Verabschiedung der Washingtoner Konferenz 1998 in die Erforschung musealer Bestände gesteckt hat, wird der Kunsthandel nicht einmal ansatzweise aufbringen können, um zweifelhafte Provenienzen zu klären. Ob ein Fonds, der immer wieder aufgefüllt wird, die Lösung ist, bezweifeln viele.
Vom Gesetz her müssen Privatpersonen sich nicht an das Washingtoner Abkommen halten, aber moralisch entkommen wir der Sache nicht.“, sagt die Kunsthändlerin Gertrud Rudigier. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es auf musealer Ebene in Restitutionsfragen einvernehmliche Einigungen gegeben hat. Für den Privatbereich aber gibt es bislang keine Gesetze. Die Tefaf-Ausstellerin hat mittlerweile einen Provenienzforscher in ihrem Team, der Datenbanken in Holland, England und Frankreich durchforstet, „weil wir anders gar nicht akquirieren können.“ Ein Verweis, dass ein Kunstwerk heute nicht bei „Lost Art“ oder „Looted Art“ gelistet ist, ist kein Freibrief für Unbedenklichkeit.
Institutionen fordern Rückgabe
Rupert Keim, Geschäftsführer des Münchner Auktionshauses Karl & Faber und Präsident des Bundesverbandes deutscher Kunstversteigerer, kennt die privatrechtliche Problematik aus eigener Erfahrung. Ende 2015 versteigerte er für brutto 540.000 Euro Franz von Stucks „Sinnlichkeit“. Ohne die Einigung der Besitzer und der Anspruch erhebenden Erben wäre das international begehrte Spitzenwerk für seriöse Sammler und Händler ein Tabu geblieben. Seine Forderung ist einfach: Klare Regeln aufstellen – gerade auch für die Antragsteller. „Es hat sich auf dieser Seite eine neue Qualität der Unschärfe eingeschlichen, die den Handel mit Kunstwerken schwieriger Provenienznachweise in den Jahren 1933 bis 45 belastet.“, so der gelernte Jurist. Um Ansprüche zu untermauern, müsse zumindest, wie es das Restitutionsrecht nennt, ein sogenanntes Ereignis etwa eine Beschlagnahmung oder eine Zwangsversteigerung und ein Vermögensverlust bekannt sein. Seine Forderung richtet sich auch an die Adresse des Lost Art Registers und des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste in Magdeburg. Die Listen müssen klaren juristischen Anforderungen entsprechen und sollten mangelhaft recherchierten Ansprüchen keinen Raum geben.

Druck zu handeln spürt die Bundesregierung allerdings weniger vom Kunsthandel als von den internationalen Institutionen, die die Rückgabe entzogenen jüdischen Eigentums auch aus privaten Händen fordern. Das deutsche Recht des gutgläubigen Ersitzens steht im Widerspruch zur Nichtverjährung von Raubkunst in anderen Ländern. Es bewahrt Privatpersonen davor, für die Verbrechen der Nazis zu büßen und die legal erworbenen Kunstwerke zu restituieren.
Schon 2016 erarbeitete das Bundesjustizministerium den Entwurf eines „Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von abhanden gekommenen Kulturguts“. Entscheidend ist nicht mehr die Verjährung. Nach neuer Regelung soll der Besitzer nachweisen, dass er beim Erwerb guten Glaubens war. Sollte es zur Herausgabe von Kulturgütern kommen, sieht der Entwurf einen finanziellen Ausgleich vor. Dass dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode entschieden wird, ist nicht zu erwarten. Vor allem macht es wohl dem Finanzministerium Sorgen, denn das Ausmaß von Ausgleichszahlungen ist eine schwer zu prognostizierende Größe.








