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Der WirtschaftsbeschleunigerWas Consulting mit der Urknall-Theorie zu tun hat

Wie passen Naturwissenschaften und Consulting zusammen? Das fragt sich Physiker Vince Ebert. Aber: Die Physik liefert mehr Input als man denkt. 20.11.2018 - 09:08 Uhr Artikel anhören

Der studierte Physiker Vince Ebert ist Kabarettist, Vortragsredner und Bestsellerautor. Mit seinem Bühnenprogramm „Zukunft is the Future“ ist er deutschlandweit auf Tournee.

Foto: Handelsblatt

Als ich 1995 mein Physikstudium abschloss, sah es in den Forschungsabteilungen der Großkonzerne düster aus. Da mir eine Karriere als Taxifahrer einfach zu wenig Perspektiven bot, bewarb ich mich stattdessen im Consulting. Worin genau die Tätigkeit eines Beraters bestand, wusste ich zwar noch nicht, aber mir gefiel die Job-Description: „Sie leihen sich die Uhr Ihres Kunden, sagen ihm wie spät es ist und kassieren dafür einen Tagessatz von 1500 Euro“.

Zu meiner eigenen Verwunderung bekam ich bereits nach drei Wochen den ersten Job. Rein fachlich hatte ich natürlich ernste Bedenken. Aber mein damaliger Chef beruhigte mich mit den Worten: „Als Physiker verstehen Sie zwar genauso wenig von Beratung wie ein BWL-Absolvent, brauchen dafür aber nur die Hälfte der Zeit.“

Trotzdem war ich schon nach kurzer Zeit unzufrieden. Denn als Naturwissenschaftler hat man ja eigentlich gelernt, wenige Worte zu verlieren und sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. Bei Unternehmensberatern sind dagegen ganz andere Fähigkeiten gefragt.

Das taktisch wortlose Anstarren zum Beispiel; oder das gezielte Weghören: Gerade, was diese „Soft Skills“ anging, hatte ich doch arge Defizite. Besonders schwer tat ich mich mit der spontanen Gesprächsführung aus dem geistigen Nichts heraus, der vielleicht wichtigsten Fähigkeit, um in dieser Branche Karriere zu machen.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das allerdings hochinteressant. Schließlich ist die Erzeugung von Energie aus dem vollkommenen Nichts eines der größten, ungelösten Rätsel der Physik.

Der Wirtschaftsbeschleuniger

Warum selbst Individualisten (manchmal) Mitläufer sind

Vielleicht liegt in der Unternehmensberatung sogar eine schlüssige Erklärung für den Urknall? Das gesamte Universum wäre demnach nicht von Gott erschaffen worden, sondern von einer Unternehmensberatung, die gerade bei ihm im Haus war. Ein revolutionärer Gedanke: Eine Gruppe von Consultants sitzt im himmlischen Konfi, brainstormt vor sich hin und auf einmal sagt einer: „Die Zukunft steckt in der Fusion. Wir müssen expandieren!“ Und: WWWUUUSCH!!! – das Weltall entstand!

Nun war endgültig mein Interesse geweckt. Ich wollte über die geheimnisvolle Welt hinter den Kulissen der Märkte und Produkte mehr erfahren. Deswegen wechselte ich nach zwei Jahren Beratung in die Königsklasse der heißen Luft: ins Marketing!
Ein großes Handelsunternehmen bot mir eine Stelle als Verkäufer von Zahnbürsten und Mundduschen an. Ich weiß, das klingt nicht gerade prickelnd. Aber als man mir den Arbeitsvertrag als „Brand Manager Dental Care“ unter die Nase hielt, unterschrieb ich ohne zu zögern.

Innerhalb weniger Wochen hatte ich mich vollständig in meinem neuen Umfeld eingelebt. Typische Anfängerfehler wie der Satz: „Unsere Zahnseide ist der absolute Marktführer“ wurden von den Kollegen sofort mit einem Lächeln korrigiert: „Wir sind Top of Mind im Relevant Set“.

Ich lernte schnell, hatte Erfolg und veränderte auch im Privatleben mehr und mehr meine Sprechweise. Immer öfter ertappte ich mich, dass ich auf Partys Frauen meine Visitenkarte mit den Worten zusteckte: „Darf ich dir ein kleines Response-Element im Zuge einer Go-ahead-Kampagne geben?“ Doch was als harmloses Spiel begann, steigerte sich innerhalb kürzester Zeit in eine zwanghafte Sucht. Nach einem halben Jahr war ich voll auf Marketing.

Eines Morgens betrat ich ein Fotogeschäft – pardon, natürlich den Point of Sale – und höre mich zu der Store-Assistant-Managerin sagen: „Ich bräuchte zwei, drei Close-ups für meinen Reisepass. Schwarzweiß ist basic, aber Farbe wäre nice to have. Bei der Deadline sollten wir uns kurz committen. Am liebsten as soon as possible.“

Die Verkäuferin blickte mich verstört an und hielt mir, wohl als eine Art Übersprunghandlung, den Katalog mit den Hochzeitsbildern unter die Nase.

Jetzt war ich richtig in Fahrt: „Hochzeitsbilder im Reisepass? Am Grenzübergang nicht unbedingt der klassische Door-Opener. Von den Produkt-Features her gehe ich mit Ihnen d’accord. Aber was die Tonality und vor allem das Key-Visual betrifft – sorry, aber da penetriert mir ein Hochzeitsbild viel zu viel Emotions in der Target-Group. Da sehe ich kein Benefit on Top! Zum Schluss steh‘ ich da mit einer riesigen Awareness, aber die Credibility ist am Arsch!“

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Die Verkäuferin sah mich an, wurde blass und begann leicht zu hyperventilieren. Jetzt hieß es, cool bleiben. Um den Pitch nicht auf der Zielgeraden zu verlieren, änderte ich blitzartig die Copy-Strategy und zog meine Second-best-Lösung aus dem Ärmel: Ich ließ ein Hochzeitsbild von mir machen. Mit Weichzeichner und Blumengesteck. Great. Der Etat war gerettet!

Sie sehen also, Marketing in hohen Dosen ist nicht ungefährlich. Glücklicherweise habe ich nach insgesamt fünf Jahren in der freien Wirtschaft den Ausstieg geschafft und fing im Jahr 2000 ein neues Leben als Kabarettist an. Es war natürlich nicht leicht, vom Marketing wegzukommen. Anfangs hatte ich mehrere Rückfälle. Einmal benutzte ich zum Beispiel ohne Not das Wort „Briefing“. Aber es hat meiner Credibility als Komiker nicht geschadet. Seit nunmehr 15 Jahren bin ich clean.

Vince Ebert hält spannende und unterhaltsame Keynotes und betrachtet die Wirtschaft immer wieder gerne aus den Augen des Naturwissenschaftlers. Mehr Information finden Sie unter www.vince-ebert.de

Vince Ebert
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