Interview mit Harald Wohlfahrt: „Du kämpfst wie ein Besessener“

Harald Wohlfahrt: „Ich muss mein Gesicht nicht auf einer Pralinenschachtel sehen.“
Handelsblatt Online: Wobei störe ich einen Sternekoch morgens um zehn?
Harald Wohlfahrt: An einem Mittwoch wie heute beim Vorbereitungsgeschäft. Denn dann fängt unsere Woche an, Montag und Dienstag haben wir geschlossen. Wir beginnen morgens um acht und arbeiten bis 15 Uhr. Dann ist jeder froh, sich draußen an der frischen Luft etwas bewegen zu können, bevor es um 17 Uhr wieder losgeht – bis etwa 23 Uhr.
Sind Sie sind immer dabei? Kochlegende Paul Bocuse hat mal auf die Frage, wer in seinem Restaurant koche, wenn er nicht da sei, geantwortet: „Der Selbe, wie wenn ich da bin.“
Ich bin in der Regel jeden Tag im Betrieb. Anderes könnte ich ja auch schlecht vor dem Eigentümer [Familie Finkbeiner, Anm. der Redaktion] vertreten. Aber ich habe gern den Freiraum, mich auf die Produktion zu konzentrieren.
Geht es in einer Gourmetküche nur mit klaren Hierarchien?
Es gibt Momente, in denen die Leute wissen müssen, dass der Chef den Leitfaden vorgibt – aber ohne Wutausbrüche. Damit ein Team funktioniert, muss man vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wenn ich, wie neulich, einmal vier Tage nicht im Haus bin, dann wiederkomme und das Feedback bekomme, dass alles sehr gut gelaufen ist, weiß ich, dass das funktioniert.
Was kann ein Manager von einem Koch lernen?
Führungspersonal wird heute sehr stark über Bildungsstrukturen rekrutiert. Ich sehe das kritisch. Meine Erfahrung ist: Wer gut führen will, muss einige Zeit lang selbst gut geführt worden sein. Dann wird er ein guter Chef. Er muss auch dort mal gestanden haben, wo's wehtut. Für den Koch heißt das: am Spültrog.
Ich nehme an, Sie standen also auch am Spültrog?
Ja, während meiner Ausbildung gehörte das dazu.

„Jeder Koch bezahlt einen hohen Preis.“
Ein harter Job bleibt es, auch wenn man den Spültrog hinter sich gelassen hat. Bei den Auszubildenden bricht jeder zweite Koch ab.
Obwohl ich selbst nicht ausbilde, merke ich, dass der Markt enger geworden ist. Ich bekomme deutlich weniger Bewerbungen als früher. Mein Team [13 Mann stark plus Wohlfahrt selbst, Anm. der Redaktion] kann ich immer noch gut füllen. Es bewerben sich aufgrund unseres Renommees immer noch die Besten. Aber wo ich früher auf eine Stelle 20 bis 25 freie Bewerbungen bekommen habe, sind es heute nur noch etwa acht bis zehn. Kein Wunder: Wer Familie und einen Neun-Stunden-Tag haben und sich die Nerven nicht ruinieren will, geht eher in einen anderen Betrieb.
Jeder Sternekoch zahlt also einen Preis für seinen Job?
Jeder zahlt einen hohen Preis. Gerade in der Familie und bei Freundschaften.
Woran erkennen Sie denn, dass ein Koch Talent hat?
Nach so vielen Jahren habe ich einen Blick dafür. Ich lasse auch nicht vorkochen oder ähnliches. Ich stelle die Kollegen selbst nach einem Gespräch ein und habe in 32 Jahren nur einmal einen meiner Köche entlassen – und auch den habe ich später wieder eingestellt. (lacht)
Talent oder Fleiß – was ist wichtiger, um ein guter, vielleicht sogar ein Sternekoch zu werden?
Ehrgeiz, Talent und Fleiß und ganz sicher eine psychische Leistungsbereitschaft. Wer in seiner Zeit bei mir nicht bereit ist, alles andere hintenan zu stellen, ist hier falsch.
Muss man, wie Eckart Witzigmann einmal gesagt hat, ein bisschen fanatisch sein, um sich für den Beruf Koch zu entscheiden?
Man muss mit Leib und Seele Koch sein.
Einige Ihrer Kollegen gaben mit Burnout auf, wie Ferran Adrià, Andreas Gerlach und Holger Stromberg, oder nahmen gar Kokain wie Eckart Witzigmann, um den Job zu schaffen. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Man muss tatsächlich lernen, damit umzugehen. Nur die Belastbarsten bleiben im Geschäft. Aber wer beim FC Bayern München spielt, weiß auch, dass das kein Spaziergang ist.

Nicht nur aufs Essen kommt's an: Bei Drei-Sterne-Restaurants wie der „Schwarzwaldstube“ müssen Ausstattung und Servicepersonal auch stimmen, damit die Gäste kommen. Durch das angeschlossene Hotel ergeben sich in diesen Bereichen Synergieeffekte.
Ein Teil dieses Drucks kommt von den Gourmetführern, die ihre Daumen senken und heben.
Die Sterne zu erkochen ist Aufbauarbeit. Ich habe 16 Jahre vom ersten bis zum dritten gebraucht, war beim ersten schon 37 Jahre alt. Aber ja, der Druck ist da: Man kämpft das ganze Jahr wie ein Besessener und weiß nie sicher, ob es klappt. Und wenn man den Stern hat, kämpft man weiter. Es gab schon Jahre, in denen ich gedacht hab': „Oh, das könnte schief gegangen sein“, aber in anderen Jahren wiederum hätte ich es als sehr ungerecht empfunden, wenn man uns einen Stern aberkannt hätte.
Was hieße es für Sie, einen Stern zu verlieren?
Ein Rückschritt ist es immer. Das Restaurant hier ist ja vor 35 Jahren mit dem erklärten Ziel gegründet worden, sich in der Spitze zu bewegen. Das ist so ähnlich wie mit Hopp und Hoffenheim, der mit dem Verein von der dritten in die erste Liga aufgestiegen ist. Und wenn man einmal Blut geleckt hat, will man sich auch oben festbeißen. Ich kämpfe bis zum letzten Atemzug.
Bereitet Ihnen die Bekanntgabe der Sterne beim Michelin Guide noch schlaflose Nächte?
Heute nicht mehr. 1985 sagte uns ein Journalist kurz bevor der Michelin herauskam, dass ich einen der drei Sterne verlieren würde – was sich im Endeffekt nicht bewahrheitet hat. Aber das war in dem Moment ein massiver, psychischer Druck. Mittlerweile hätte ich die Ruhe, trotzdem weiter zu machen und nicht daran zu zerbrechen. Aber als junger Koch, eventuell mit Familie und ein paar hunderttausend Euro Schulden, ist das existenzbedrohlich.
Sie kreieren alle zwei Wochen ein neues Menü mit sieben Gängen. Wie passen Druck und Kreativität zusammen?
Das ist sehr schwierig bei dieser hohen Auslastung. Da bleibt tatsächlich kaum noch Raum für kreative Phasen. Mittags geht das in der Regel am besten. Da erwarte ich auch vom Team, dass jeder den Kopf etwas frei hat. Ich ermutige jeden, seine Ideen umzusetzen, sage dann: „Machen Sie einfach mal“ und probiere es dann.
Sie siezen Ihr Team?
Ja, das ist für mich eine Sache des Respekts. Da bin ich vielleicht noch von der alten Schule.
Finanziell ist es schwer, ein Sternerestaurant zu eröffnen und rentabel zu führen.
Ich kenne keines, das sich von Anfang an selbst getragen hat. Mittlerweile muss uns die Traube [das angeschlossene Hotel, Anm. der Redaktion] nicht mehr bezuschussen. Wir hatten 2012 unser bestes Umsatzjahr. Aber das war zu Beginn anders. Und es gibt Sternerestaurants, die haben noch niemals auch nur eine schwarze Zahl gesehen und Verbindlichkeiten im hohen sechsstelligen Bereich. Da gerät man als Koch schon schnell mit dem Kopf in die Schlinge.
Andere Ihrer Kollegen verdienen sich etwas durch TV-Auftritte und Ähnliches dazu und schaffen so eine Marke.

Das ist nicht meine Welt. Ich stehe eher für Exklusivität und muss mein Gesicht nicht auf einer Pralinenschachtel sehen. Ich sollte schon Werbung für Katzenfutter machen. Das habe ich abgelehnt. Wenn, dann müsste ein Honorar schon so groß sein, dass ich mich danach zur Ruhe setzen könnte.
Wann hatten Sie zum letzten Mal richtig Appetit auf Schnitzel oder Currywurst?
Wir haben eine Personalkantine und dort gibt es auch hin und wieder Schnitzel. Sie ahnen gar nicht, wie schnell die Schüsseln dann leer sind. Da bin ich auch immer mit dabei.









