Kolumne: Zeit ist Geld Was diesen Herbst neu ist auf dem Uhren-Markt

Ein Unruhstopp ermöglicht das sekundengenaue Einstellen der Uhrzeit.
Wer im deutschsprachigen Raum nach einem echten Experten für Uhren sucht, kommt an Gisbert L. Brunner nicht vorbei. Der mittlerweile pensionierte bayerische Beamte hat Hunderte von kostbaren Zeitmessern gesammelt, aber auch Dutzende von Büchern über die unterschiedlichsten Marken geschrieben.
Für den neunten Teil seiner Kolumne „Zeit ist Geld“ hat sich Brunner die jüngst auf den Geneva Watch Days lancierten Neuheiten angeschaut. Hier erklärt er die ersten Highlights. Nächste Woche folgen weitere Innovationen.
Herr Brunner, Uhren-Freunden fehlen neuerdings zwei Konstanten im Jahreskalender: Die Topmesse Baselworld wird das Corona-Chaos wahrscheinlich gar nicht überleben. Die bisherige Konkurrenz-Veranstaltung SIHH in Genf wurde auf Anfang nächsten Jahres verschoben, heißt künftig „Watches & Wonders“ und wird 2021 auch von Neuzugängen flankiert wie Patek Philippe und Rolex. Wie geht’s messetechnisch weiter?
Nach der Dubai Watch Week im Januar, zu der in der Vorkrisenzeit noch die vier LVMH-Marken Bulgari, Hublot, TAG Heuer und Zenith eingeladen hatten, waren die im Zuge von Corona dann von langer Hand geplanten Geneva Watch Days Ende August das zweite wichtige Uhr-Ereignis des laufenden Jahres.
Und, waren Sie dort?
Als Mitglied der altersbedingten Risikogruppe habe ich mir den Trip in die Westschweiz diesmal erspart. Pandemiebedingt hielten sich die Besucherzahlen ohnehin in sehr überschaubaren Grenzen. Am Ende zeigten sich die immerhin 17 teilnehmenden Marken dennoch zufrieden. Alle warteten mit Neuheiten auf, von denen ich diese Woche einige besonders interessante in der gebotenen Kürze vorstellen kann.
Legen Sie los!
Mit Ferdinand Berthoud können viele Uhrenliebhaber (noch) wenig anfangen. Dabei reicht die Geschichte dieses bedeutenden Namens bald 300 Jahre zurück. 1727 schlug die Geburtsstunde des großen Schweizer Uhrmachers, den der französische König Ludwig XV. und sein Rat im Alter von erst 26 Jahren per Sondererlass zum Meister kürten. Dem Genie, das wie viele andere zwischenzeitlich in Vergessenheit geriet, sind unter anderem bedeutende Chronometer zur Navigation auf hoher See zu verdanken. 2015 bescherte ihm Karl-Friedrich Scheufele…

Gisbert L. Brunner ist Experte für kostbare Uhren.
… der Co-Präsident des Hauses Chopard…
…ein Comeback auf höchstem Niveau. Die nun fürs Handgelenk gedachten Zeitmesser entstehen in der kleinen, aber ausgesprochen feinen Chronométrie Ferdinand Berthoud in Fleurier und damit nur fünf Kilometer entfernt vom Geburtsort des großen Uhrmachers. Jeweils zehn Exemplare in Rosé- oder Weißgold wird es von der neuesten Kreation in Gestalt des Chronometers FB 2 geben.
Sein in überlieferter Pfeiler-Bauweise ausgeführtes Handaufzugskaliber B-RE.FC besitzt ein nicht minder traditionsreiches Kette-Schnecke-System. Dieses basiert auf den physikalischen Hebelgesetzen und kompensiert das kontinuierlich nachlassende Drehmoment der üblichen Federspeicher, welches auch die Amplitude der Unruhschwingungen und damit die Ganggenauigkeit sinken lässt.
Ein Unruhstopp ermöglicht das sekundengenaue Einstellen der Uhrzeit. Die Präzision des feinen Zeitmessers bescheinigt ein amtliches Gangzeugnis der COSC. In meinen Augen besitzt die junge alte Marke reichlich Potenzial.
Das vor allem dann, wenn Karl-Friedrich Scheufele auch einfachere und damit preisgünstigere Werke aus dem Spektrum der L.U.C-Produktion für die Berthoud-Modelle verwenden würde. Selbige treten nämlich auch hinsichtlich des Namens deutlich maskuliner in Erscheinung als die meisten Armbanduhren mit der Signatur Chopard.
Was haben Sie in Genf außerdem entdeckt?
Die Erfolgsgeschichte von Jean-Christophe Babin, der im Jahr 2012 das Ruder bei Bulgari übernahm, kann sich sehen lassen. Auf das Konto des erfolgreichen Managers, den LVMH-Eigentümer Bernard Arnault nach dem Kauf des römischen Schmuckhauses von der eigenen Uhren-Tochter TAG Heuer zu seinem Neuerwerb gelockt hatte, gehen seitdem nicht weniger als sechs Weltrekorde.
Bulgari wurde unter seiner Ägide vor allem ein Profi für ultraflache Uhren, oder?
Genau. 2014 brachte das Octo Finissimo Tourbillon mit dem 1,95 Millimeter flachen Handaufzugskaliber BVL 268. In der gleichen Modellreihe, deren Design auf den genialen Gérald Genta zurückgeht, folgte zwei Jahre später eine Minutenrepetition mit 3,12 Millimeter flachem Innenleben namens BVL 362.
2017 brachte die Octo Finissimo Automatic, deren Mikrorotor-Kaliber BVL 138 nur 2,23 Millimeter in der Höhe misst. Das Octo Finissimo Tourbillon Automatic von 2018 besticht durch das lediglich 3,95 mm hohe Kaliber BVL 288 mit außen drehender Schwungmasse. Bleibt der weltweit flachste Automatik-Chronograph mit klassischer Schaltrad-Steuerung und zusätzlicher GMT-Funktion. Auch beim 2019 vorgestellten Kaliber BVL 318, dessen Höhe lediglich 3,3 Millimeter beträgt, bewegt sich der Rotor außen um das Uhrwerk herum. Anders wäre dieser Superlativ gar nicht möglich.

Mit einem nur 42 Millimeter großen Titangehäuse ist sie das weltweit flachste Modell ihrer Art.
Und der letzte Weltrekord…
… war nun in Genf zu besichtigen. Einmal mehr entstammt die schlanke und überaus komplexe Mechanik eigener Entwicklung und Fertigung. Und einmal mehr ist der Name Botschaft: Octo Finissimo Tourbillon Chronograph Skeleton. Im 42 Millimeter großen Titangehäuse tickt das Kaliber BVL 388 mit drei Hertz.
Den Schaltrad-Chronographen mit 30-Minuten-Totalisator bedient man mit nur einem Drücker. In das 3,5 Millimeter flache Automatikwerk haben die Uhrmacher ein konventionell, sprich vorne und hinten gelagertes Minutentourbillon zur Kompensation negativer Schwerkrafteinflüsse integriert.
Die Wasserdichte reicht bis drei Bar Druck. Summa summarum sollen von diesem feinmechanischen Hauch nur 50 Exemplare entstehen. Ob danach noch Versionen in Stahl oder Karbon folgen werden, steht derzeit noch in den Sternen.
Haben Sie auch in den kleineren Häusern Spannendes entdeckt?
Schon im Frühjahr hatte die in Neuhausen bei Schaffhausen beheimatete Uhrenmanufaktur H. Moser & Cie. gestalterisches Neuland betreten. Der stählerne Streamliner Flyback Chronograph Automatic mit integriertem Gliederband besitzt eine betont sportliche Note. Für die Entwicklung des Automatikkalibers HMC 902 zeichnete die Genfer Firma Agenhor verantwortlich.
Im Gegensatz dazu gelangt die neueste Repräsentantin dieser stromlinienförmigen Uhrenlinie, die Streamliner Centre Seconds mit hauseigener Mechanik auf den Markt. Gemeint ist das Automatikkaliber HMC 200. Es misst 32 Millimeter und baut 5,4 Millimeter hoch.
Nach Vollaufzug durch den blauen, beidseitig wirkenden Rotor stehen mindestens 72 Stunden Gangautonomie zur Verfügung. Zuverlässige Ablesbarkeit auch bei schummrigen Lichtverhältnissen gewährleisten Stunden- und Minutenzeiger mit Globolight-Leuchteinsätzen. Wasserdichtigkeit bis zu zwölf Bar garantiert die 40 Millimeter große Schale aus Edelstahl.
Das waren all Ihre Highlights?
Nächsten Freitag werden wir an dieser Stelle noch ein paar weitere Überraschungen vorstellen.
Mehr: Lesen Sie hier Folge acht der Kolumne: Die zehn Erfolgsgeheimnisse von Rolex.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.