Regisseur Sönke Wortmann: „Für jeden Film muss ich kämpfen“

„Unternehmertum war Neuland für mich.“
Düsseldorf. Die graue Strickmütze hat Sönke Wortmann tief ins Gesicht gezogen, als er zum Interview in der Düsseldorfer Künstlerkneipe „Zicke“ erscheint. Der prominente Regisseur, der mit „Der bewegte Mann“ 1994 seinen Durchbruch hatte, bleibt am liebsten unerkannt. Der 55-Jährige ist derzeit viel unterwegs. Sein neuer Film „Frau Müller muss weg!“ ist gerade erfolgreich in den Kinos angelaufen. Die Komödie über einen eskalierenden Elternabend in der vierten Klasse ist auch auf der Berlinale zu sehen. Das Stelldichein der Filmbranche ist für den Regisseur und Produzenten jedes Jahr ein absolutes Muss. Kurz vor der Berlinale hat sich Wortmann in Bochum umgeschaut. Dort will der gebürtige Ruhrpottler seinen nächsten Film drehen, wie er verrät.
Herr Wortmann, Sie haben drei schulpflichtige Kinder. Wie war Ihr letzter Elternabend?
Relativ angenehm, in nur zwei Stunden waren wir durch. Oft zieht es sich ja.
Haben Sie auf Elternabenden Anregungen für Ihren neuen Film „Frau Müller muss weg!“ bekommen – ein Theaterstück von Lutz Hübner, das Sie vor drei Jahren in Berlin inszeniert hatten?
Meine Zwillinge waren damals Viertklässler und auf dem Sprung zum Gymnasium. Da spürte ich wie alle Eltern schon gewissen Druck. Wie im Film werden manche zu überbehütenden Helikoptereltern. Sie denken, ihr Kind kann nur mit Abitur ein erfülltes Leben führen. Das Gymnasium ist das Synonym für Lebenserfolg. Ich bin da relativ gelassen, meine Kinder können auch etwas Handwerkliches tun.
Wie schlägt sich „Frau Müller muss weg!“ mit Anke Engelke als Helikoptermutter denn in den Kinos?
Der Film läuft sehr erfolgreich, mehr als eine halbe Million haben ihn schon gesehen, und er scheint ein Langläufer zu werden. Aber sicher wird „Frau Müller“ kein Massenpublikum haben wie der Blockbuster „Fack ju Göhte“, die Schülerkomödie mit Elias M’Barek.
Sie haben „Frau Müller“ mit Ihrer eigenen Produktionsgesellschaft Little Shark Entertainment produziert. Was hat Sie 1998 bewogen, Unternehmer zu werden?
Unternehmertum war Neuland für mich. Aber es hat mich gereizt, meinen Horizont zu erweitern. Abwechslung ist mir wichtig. Auch als Regisseur drehe ich ja ganz unterschiedliche Genres.
Verstehen Sie sich mittlerweile eher als Produzent denn als Regisseur?
In erster Linie als Regisseur. Aber ich produziere gerne Filme, die ich gerne sehen, aber selber nicht machen würde.
Und warum nicht?
Weil andere die Filme besser machen können, zum Beispiel „Lammbock“ – eine Kifferkomödie mit Moritz Bleibtreu. Da ich selber kein Kiffer bin, habe ich die Regie lieber jemandem überlassen, der da mehr Einblick hat als ich. (lacht)
Welche Art von Film- oder Fernsehprojekten produzieren Sie?
Wir wollen nicht dem Publikumsgeschmack hinterherlaufen, sondern nur Filme produzieren, die wir selbst gut finden: Kinderfilme wie „Der Schatz der weißen Falken“ oder Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“. Wenn ein Film Geld einspielt, ist das natürlich schön und wichtig, aber nicht spielentscheidend.
Ist das der Grund, warum Little Shark 2012 laut aktuellster Meldung beim „Bundesanzeiger“ mehr als 470.000 Euro Verlust machte? Oder woran lag das?
Wenn man einen Film produziert, geht man in einem Jahr eben mal in die Miesen. Erst wenn der Film dann in die Kinos kommt, kann er Geld einspielen. Hier müssen wir dann zwischenfinanzieren, das ist im Filmgeschäft üblich.
Haben Sie es je bereut, Unternehmer geworden zu sein?
Überhaupt nicht. Zumal sich mein Partner Tom Spieß mit finanziellen Dingen sehr gut auskennt.
Wie laufen die Geschäfte heute?
Nur so viel: Uns geht es gut!
Sie arbeiten sehr viel mit der Produktionsgesellschaft Constantin Film zusammen. Woher kommt diese enge Beziehung?
Mit Constantin-Vorstandschef Martin Moskowicz habe ich früher in einer WG gewohnt, da vertraut man sich. Es gab noch nie Ärger. Gemeinsame Erfolge wie „Der bewegte Mann“ verbinden eben.
Bei welchem Ihrer Filme war es besonders schwierig, Financiers zu überzeugen?
Durch meine Erfolge habe ich es ein bisschen leichter, aber es ist nie ein Selbstläufer. Für jeden Film muss ich kämpfen. Mein größtes Erfolgserlebnis war „Das Wunder von Bern“ über die WM 1954. Viele hatten mir abgeraten: Fußball sei ein Live-Event, ungeeignet als Spielfilm. Schließlich weiß jeder, dass es 3:2 ausgeht. Außerdem war der Film mit knapp acht Millionen Euro 2003 relativ teuer. Das Risiko für unsere kleine Firma war sehr groß. Wir drehten schon, obwohl die Finanzierung noch nicht ganz stand. Umso schöner war der große Erfolg.

Filmemacher Sönke Wortmann mit Handelsblatt-Redakteurin Katrin Terpitz in Düsseldorf.
Wie lange dauert es, bis die Finanzierung eines Films steht?
Kommt darauf an, wie teuer der Film ist. „Frau Müller“ kostete nur etwa drei Millionen Euro. Trotzdem dauerte es etwa ein Jahr.
Welches Filmprojekt gehen Sie als nächstes an?
Eine Komödie mit dem Namen „Sommerfest“, ein Heimatfilm aus dem Ruhrgebiet, woher ich komme. Die Romanvorlage hat Frank Goosen geschrieben. Mit der Finanzierung und Suche nach Darstellern beginnen wir gerade.
Die Margen der Film- und TV-Produzenten sind nicht gerade üppig. Nun wurde auch noch der Deutsche Filmförderungsfonds um zehn Millionen auf 50 Millionen Euro gekürzt ...
Natürlich würde ich mir wünschen, dass gute Filme stärker gefördert werden.
Könnten Sie sich vorstellen, einen Kinofilm über Crowdfunding zu finanzieren, so wie „Stromberg – Der Film“ das sehr erfolgreich vorgemacht hat?
Es braucht eine bekannte Marke, damit über Crowdfunding eine relevante Finanzierung für einen Kinofilm zusammenkommt. Stromberg war da ein Idealfall.
Wie sehen Sie die Zukunft des Deutschen Films?
Gegen amerikanische Filme haben deutsche Produktionen an den Kinokassen der Welt keine Chance. Denn die Amerikaner haben viel mehr Geld, weil sie ihre Ausgaben weltweit wieder einspielen können. Aber ich bin überzeugt: Amerikaner machen nicht unbedingt die besseren Filme – abgesehen vielleicht von Actionfilmen mit 100-Millionen-Dollar-Budgets, an die deutsche Filmemacher nicht heranreichen können.
Aber französische Filme wie „Ziemlich beste Freunde“ sind international auch sehr erfolgreich. Liegt das nur am Geld? Die Filmförderung in Frankreich ist etwa dreimal so hoch wie hierzulande.
Frankreich ist vollkommen anders aufgestellt als die deutsche Filmindustrie. Allein die Fernsehveranstalter müssen etwa fünf Prozent vom Gesamtumsatz in die Filmförderung geben. In Deutschland dagegen sind es minimale Summen in Anbetracht der 7,5 Milliarden Euro Haushaltsabgabe für ARD und ZDF. Die Filmkultur wird in Frankreich vom Gesetzgeber besser geschützt und reglementiert.
Iris Berben hat eine Kino-Quote für inländische Filme wie in Frankreich angeregt. Was halten Sie davon?
Jeder vierte Kinobesucher in Deutschland geht in einen heimischen Film. Das ist doch großartig! Als ich anfing vor 20 Jahren, waren es gerade mal sechs Prozent.
In der behäbigen Filmindustrie kommt international einiges in Bewegung. Amazon fordert Hollywood heraus. Der weltgrößte Online-Einzelhändler will selbst Kinofilme produzieren und diese nach vier bis acht Wochen schon über Videostream anbieten. Der Beginn einer Revolution auf dem Filmmarkt?
Das deutsche Filmförderungsgesetz lässt so etwas bisher nicht zu. Wenn wir einen Film produzieren, haben wir Sperrfristen, bevor der Film auf DVD oder im Fernsehen erscheinen darf. Ich bezweifele, dass die Amerikaner diese Fristen so einfach umgehen können. Die Kinos würde das jedenfalls sehr hart treffen. Denn wer geht noch ins Kino, wenn ein neuer Film in vier Wochen runterzuladen ist?
Woody Allen produziert eine TV-Serie exklusiv für Amazon. Würden Sie ein solches Angebot annehmen?
Wenn es eine gute Geschichte ist, sicherlich.
Was die wenigsten Kinogänger wissen: Sie drehen seit Jahren diverse Werbespots. Für wen denn alles?
Ich habe bestimmt schon an die 100 Werbespots gedreht. Das mache ich sehr gerne. Für die Deutsche Bahn, mit Lukas Podolski für die Prinzenrolle, mit Mario Adorf für eine Versicherung und viele Kampagnen für den DFB, etwa für die Integration von Ausländern.
Können Sie Werbefilme denn mit Ihrem Anspruch als Künstler vereinbaren?
Problemlos, sonst würde ich es nicht machen. Ich werde ja künstlerisch nicht gegängelt. Zudem sind 20-Sekunden-Spots eine gute dramaturgische Trockenübung.
Stimmt es, dass prominente Werbespots lukrativer sind als so mancher Kinofilm?
Wenn man rechnet, dass ich ein Jahr an einem Kinofilm arbeite und eine Woche an einem Werbefilm, ist der Spot im Minutenpreis natürlich wesentlich lukrativer.
Für welche Firma oder welches Produkt würden Sie aus Prinzip keine Werbung machen?
Immer wenn ich moralisch Bedenken hätte. McDonald’s habe ich abgesagt. Ich würde auch keinen Werbefilm für Katar drehen, wo die umstrittene Fußball-WM stattfinden soll.



Sie wollten mal Fußballprofi werden, spielten in der Dritten Liga. Auch als Regisseur sind Sie dem Fußball treu geblieben mit „Das Wunder von Bern“ oder der WM-Doku „Deutschland. Ein Sommermärchen“. Was haben Fußball und Filmemachen gemeinsam?
Fußball und Filmemachen sind ein Mannschaftssport. Erfolg ist nur im Team möglich.
Herr Wortmann, haben Sie vielen Dank für das Interview.





