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Serie: Die Urlaubsmacher Ein Mountainbiker hilft dem Tourismus in den Alpen

Die Alpen wollen sich unabhängiger vom Ski-Tourismus machen. Darco Cazin ist Vorreiter der Mountainbike-Szene – und macht Hoffnung für den Sommer.
17.11.2018 - 10:12 Uhr Kommentieren
Anfang der 2000er geriet der junge BWL-Student in die Mountainbike-Szene.
Darco Cazin

Anfang der 2000er geriet der junge BWL-Student in die Mountainbike-Szene.

St. Moritz Darco Cazin zweifelt nicht an sich selbst. Nie. Er wägt auch nicht ab. Er behauptet einfach, dass er es kann. Als er noch zu Studienzeiten seinen ersten Kunden gefunden hatte, über Freunde und Freundesfreunde, da besaß er noch nicht einmal ein Telefon, auch keinen Computer, nur seine Überzeugungskraft.

Die italienische Gemeinde Livigno bereitete sich Anfang der 2000er-Jahre auf eine Mountainbike-Weltmeisterschaft vor – und Cazin, der junge BWL-Student aus dem Schweizer Münstertal, Fußballer, kein Radsportler, sollte die Touristiker damals bei der Umsetzung beraten. Referenzen hatte er keine, was die Auftraggeber brauchten, war Vertrauen.

Denn alles, was Cazin zu diesem Zeitpunkt über Mountainbikes wusste, hatte er sich selbst angeeignet. Er hatte seiner Mutter geholfen, in seinem Heimatdorf Santa Maria im Schweizer Münstertal aus einem verlassenen Hotel mit rostigem Dach eine Anlaufstelle für Bike-Touristen zu machen.

Indem er selbst anfing zu fahren, sich parallel Gedanken über den Markt machte – und das Potenzial erkannte – und dann Führungen anbot. Begeistert kam er von einem Mountainbike-Festival am Gardasee zurück, schaute sich Trails in Wales und Schottland an. Auch wenn das seiner Mutter zunächst gar nicht gefiel. Sie glaubte nicht, dass sich mit dem Biken auf Dauer Geld verdienen ließe.

Heute ist Cazin einer der Vorreiter einer touristischen Bewegung, die nicht weniger will, als den Alpen völlig neue Gäste zu bescheren. Gäste, die die Hotelbetten und die Restaurants im Sommer füllen, die den Wohlstand der Berggemeinden in Zukunft sichern sollen. Ganz ohne teure Bergbahnen, aufdringlichen Après-Ski - und Schnee. Denn der Winter-Tourismus kämpft vielerorts ums Überleben.

Cazin kennt die Mountainbike-Trails, die sich wie überdimensionierte Murmelbahnen durch die Berge schlängeln, in- und auswendig.
Mountainbike-Trail

Cazin kennt die Mountainbike-Trails, die sich wie überdimensionierte Murmelbahnen durch die Berge schlängeln, in- und auswendig.

Auch hier, im Nobelskiort St. Moritz, auf 1800 Metern, geht es ohne Kunstschnee kaum. Laut Branchenanalysen fehlt schon heute mehr als der Hälfte der Bergbahn-Betreibergesellschaften im deutschsprachigen Raum das Kapital für notwendige Investitionen. Aufgrund des Klimawandels wird sich die Wintersaison zudem weiter verkürzen – und die Schneefallgrenze drastisch steigen.

Cazin hat aus dem Niedergang des Ski-Tourismus ein Geschäftsmodell gemacht. Er weiß, dass sich die Berge noch immer monetarisieren lassen. Im Sommer, nicht im Winter. Mit seiner Firma Allegra berät der heute 41-Jährige seit mehr als zehn Jahren Gemeindevertreter, Bürgermeister, Hoteliers und Tourismusverantwortliche.

Er hilft ihnen dabei, Mountainbike-Trails zu planen, zu bauen, zu unterhalten und gegenüber Kritikern zu rechtfertigen. Die Wege, die er in den Berg bauen lässt, sind oft Serpentinen, Touristen fahren über Steine, über Stege, durch enge Kurven und schmale Pfade. „Mountainbiken ist die größte Chance für den alpinen Tourismus.“ Solche Sätze sagt Cazin, wenn er Vorträge hält. Darunter macht er es nicht.

Mehr als 20 Mitarbeiter hat der große, schlaksige Mann mit dem Vollbart. Egal, ob auf dem Trail oder während einer Präsentation in einem Gemeindesaal, er trägt Kapuzenpulli und Jeans. In diesem markanten Aufzug hat er unzählige Trails gestaltet. In den kommenden Jahren soll Allegra wachsen – von 30 Mitarbeitern und mehr ist die Rede. Umsatzzahlen gibt der Gründer nicht bekannt.

Lobbyist der Mountainbike-Szene

Cazin ist mehr als ein Unternehmer, er ist ein Visionär, ein Hoffnungsträger, weil er für seine Heimat eine Zukunft sieht. Und doch ist er kein Pionier. Konkurrenten wie der Neuseeländer Jeff Carter sind Cazin in Sachen Trail-Bau noch voraus. Mittlerweile kennen sich die beiden, arbeiten sogar manchmal miteinander. Und der Schweizer lernt. Cazin ist ein Lobbyist, weil er für seine Interessen, weil er für sein Geschäft einsteht. Er hat längst erkannt, wie weit er mit seiner Überzeugungskraft kommen kann.

Ein Mountainbike-Besessener ist er nicht. Der Sport ist das Mittel zum Zweck. Sein Mittel zum Zweck. Er arbeitet um seiner Familie willen. Er will seiner Frau und den drei Kindern ein schönes Leben bieten, sagt er. Das Mountainbiken mache ihm mittlerweile großen Spaß – aber vor allem ist es sein Geschäft.

Wenn er nach der Arbeit seine Abendrunde auf der Route „Bernina Express“ dreht, dann ist das für ihn Entspannung. Er kommt dann vielleicht von einem Termin bei Kunden oder auch aus seinem Büro, dem Coworking-Space Engadin in Samedan. Eine Stunde lang fährt er fast täglich durch die Natur – mit dem E-Bike. Dank Elektroantrieb ist er schneller wieder zu Hause.

Natürlich fährt Cazin anders Mountainbike als ein Tourist. Er wandert auch anders durch die Berge. Cazin weiß, auch nach vielen Diskussionen mit Umweltschützern, worauf es ankommt. Darauf, dass die Natur keinen Schaden nimmt. Und: Radfahrer und Wanderer sollen sich nicht allzu sehr in die Quere kommen.

Ihm fällt auf, wenn Steine an der falschen Stelle liegen, wenn Schilder in eine andere Richtung zeigen, wenn das Schmelzwasser mal wieder die Erde weggeschwemmt hat oder wenn gar eine Kuh über den Trail getrampelt ist. Dann steigt Cazin auch schon mal vom Rad, kickt die Steine mit dem Fuß weg, rückt Schilder zurecht, nimmt die Erde in die Hand, um die Beschaffenheit zu prüfen und ärgert sich noch ein bisschen über das, was er als den größten Feind der Schweizer Trails bezeichnet – die Landwirtschaft.

Für das Bauen eines Trails beschäftigt er Umweltingenieure, Landschaftsgärtner, Bauarbeiter. Er selbst packt selten zu, er ist der Kopf des Unternehmens. Wenn er vor Ort ist, dann, um sich beispielsweise mit Umweltschützern zu treffen. Dann stapft er schon mal durchs Gelände, ärgert sich über Furchen im Weg oder matschige Abschnitte. Da hat mal wieder jemand nicht verstanden, worum es ihm geht.

Dass man den Lauf des Wassers einkalkulieren muss, wenn man einen Trail anlegt. Er fühlt sich genau dann am wohlsten, wenn er Menschen zeigen kann, was der Natur, was dem Berg guttut. Er weiß das. Ein schöner, ein gut geplanter Weg – nicht immer nur hoch auf den Gipfel. Er tut dann was für die Alpen, sagt er. Und seinem Geschäft schadet es nicht.

Umweltschützer sind nicht immer seiner Meinung. Sie fürchten, dass sich der Massentourismus aus dem Winter in den Sommer verlagert. Erst der Skisport, jetzt das Mountainbiking. Andreas Boldt von der Schweizer Umweltorganisation Pro Natura sagt im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Wir wollen, dass die Menschen in die Berge kommen. Aber die Natur soll nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen werden.“

Fairer Diskussionspartner

Boldt schätzt den Unternehmer Cazin als fairen Diskussionspartner, der von Beginn an darauf achtet, wo beispielsweise Pflanzenbestände besser umfahren werden. Und immerhin: Da ist jemand, der Ideen habe.

Cazin hat in den vergangenen Jahren viel gelernt. Wie ein guter Trail aussehen sollte, zu welcher Gemeinde welches Konzept passt – und auch, wie er Kritiker überzeugen kann: indem er auf sie eingeht, auch ihnen Hoffnung macht. Die Route „Bernina-Express“, die durch die Region St. Moritz führt, ist heute auch für Umweltschützer ein Musterbeispiel für einen naturverträglichen Trail. Daran, dass seine Routen im Einklang stehen mit der Natur, daran hat Darco Cazin ohnehin nicht gezweifelt. Nie.

In der Serie „Die Urlaubsmacher“ stellen wir Menschen vor, die für einen besonderen Aspekt des Tourismus-Geschäftes stehen.

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