Spitzengastronomie: Das zweifelhafte Rennen der Sterneköche

Neu im Kreis der Drei-Sterne-Köche Frankreichs: Arnaud Donckele vom „La Vague d'or“ in Saint-Tropez.
Düsseldorf. In Frankreich gibt es nun 27 Restaurants, die mit drei Sternen ausgezeichnet sind: Als einziges neu in den exklusiven Kreis der Drei-Sterne-Etablissements aufgenommen ist das Restaurant „La Vague d'or“ im Urlaubsort Saint-Tropez an der Côte d'Azur. Das teilte der Verlag am Montag mit. Daneben können 82 Restaurants auf zwei Sterne verweisen (fünf neu) und 487 auf immerhin einen Stern (39 neu).
Zum Vergleich: In Deutschland sind derzeit zehn Restaurants mit drei Sternen ausgezeichnet. Zudem verfügt Deutschland laut „Guide Michelin Deutschland 2013“ über 36 Zwei-Sterne- und 209 Ein-Stern-Restaurants.
Wenn es nach der Ansicht von Experten wie dem deutschen Gastronomiekritiker Jörg Zipprick geht, sind in Frankreich eindeutig zu viele Restaurant Sterne-dekoriert: „Es gibt in Frankreich einen Spruch: ,Der Michelin ist gut darin, Sterne zu verleihen, aber nicht, sie wieder abzuerkennen'“, sagt Zipprick.
Aus Gefälligkeit würden Kochlegenden schlichtweg in der Drei-Sterne-Klasse gehalten. „Die Hälfte bis zwei Drittel der ausgezeichneten Köche verdienen diese Marke nicht mehr“, urteilt Zipprick. Dabei sei ohnehin „das Boot voll“. Denn auch im Land der Feinschmecker ist der Bedarf nach Spitzengastronomie nicht unendlich – und gerade in Zeiten der Krise mit hoher Arbeitslosigkeit sogar eher rückläufig.
In der allgemeinen Wahrnehmung sei die deutsche Gourmet-Küche deutlich unter-, die französische etwas über Wert verkauft. Deutlich über Wert werden laut Zipprick in einschlägigen Fachmagazinen zudem sowohl die dänische als auch die spanische Haute Cuisine wahrgenommen.
Das Ansehen der Restaurantführer-Bibel bröckelt im Land der Haute Cuisine ohnehin massiv. Wurden zur Jahrtausendwende noch etwa eine halbe Million Führer verkauft, waren es 2010 nur noch gut 100.000 Stück – ein Rückgang um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Das Ringen um die Monetarisierung der Marke Michelin treibt derweil kuriose Blüten. Gastro-Experte Jörg Zipprick kritisiert eine Interessenverquickung beim ehemaligen Michelin-Direktor Jean-Luc Naret, der jahrelang die Linie der Restaurantbibel bestimmte.

Die deutschen Köche holen auf, während im Mutterland des Michelin Guide dessen Ansehen schwindet.
Denn seine Lebensgefährtin Colette Poupon, ein ehemaliges Model, arbeitet als Beraterin für die Spitzengastronomie. Er verleiht die Sterne, sie berät die Unternehmen, die gerne welche hätten. Ihr prominentester Kunde ist der „Koch des Jahrhunderts“, Joël Robuchon. „Das hat ein Geschmäckle“, sagt Zipprick. In Frankreich wird daher derzeit massiv über die Integrität und Unabhängigkeit des Michelins diskutiert.
Auch Wolfram Siebeck, eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Gastroszene, verfolgt die Diskussion. „Die Branche hat einen schlechten Ruf – zu recht“, sagt er. Egal bei welchem Sterneführer: Tester, Redakteure, Köche und Mäzen seien oftmals befreundet oder gar verwandt.
Ein weiteres Standbein des Guides ist ein neues Online-Angebot, ähnlich der „Gelben Seiten“, bei dem sich die Restaurants selbst eintragen lassen können, auch für den klassischen Führer durchgefallen sind – gegen Geld natürlich. „So sind die Köche plötzlich nicht mehr Thema des Restaurantführers wie sie es sein sollten, sondern ihre zahlenden Kunden“, kritisiert Zipprick.
Zudem kritisiert er in einem Beitrag für die französische Wochenzeitung L'Express, dass die Anonymität der Tester verloren gegangen sei. „Es war leicht, Namen, Handynummer und gar Kreditkarteninformationen der Tester zu recherchieren“, sagt der deutsche Gastronomiekritiker, der in der Nähe von Paris lebt.
Ungeachtet der Krise im Nachbarland holen die deutschen Köche auf – auch bei den Preisen. Ein Sieben-Gänge-Spitzenmenü, etwa bei Deutschlands höchstdekorierten Koch Harald Wohlfahrt, kostet 195 Euro. Doch einige Köche wagen auch hierzulande bereits, die als Schallgrenze betrachtete 200-Euro-Marke zu überschreiben. In Frankreich kosten vergleichbare Menüs zum Teil das Doppelte, allein eine Vorspeise schon mal 80 Euro.
Die Reputation der Sterne ist auch in Deutschland längst nicht mehr unantastbar und sinkt: Sterneköche beklagen den hohen Investitionsdruck, der mit der Sternevergabe einhergeht und geben zum Teil ihre Sterne freiwillig wieder zurück – wie der Düsseldorfer Chef des „Hummerstübchens“, Peter Nöthel.
Dabei sind die Sterne für viele junge, unbekannte Köche noch immer ein wichtiges Sprungbrett in den Olymp ihrer Zunft. Die Qualität dafür haben die Deutschen mittlerweile längst erreicht. „Auch beim technischen Niveau und der Sorgfalt der Spitzengastronomie haben die Deutschen stark aufgeholt“, sagt Zipprick.


Er bemängelt allerdings, dass die Spitzenküche in Deutschland sich kaum auf die traditionellen Wurzeln besinnt. „Gerichte wie Königsberger Klopse sind da nur mal ein Sprenkel auf der Karte.“ Außerdem fehlt laut Siebeck in Deutschland noch die wirkliche Freude am gutem Essen.
Im Mutterland der Haute Cuisine ist das anders. Der neue Sternekoch im „La Vague d'or", der erst 35-jährige Arnaud Donckele, setzt in seinem Restaurant vor allem auf regionale Küche: Lamm, Mittelmeer-Fisch oder Käse der Region.
Die deutsche Küche ist laut Zipprick gegenüber der französischen deutlich untervermarktet – zum Wohle des Kunden, wie der Fachmann findet. Denn mit der Einführung eines Guide Michelin steigen die Preise – wie etwa in New York, der lange ohne die Marke Michelin auskam. Dort sind die Preise für sterneprämierte Küche laut einer Analyse von drei Wirtschaftswissenschaftlern um satte 44 Prozent hochgeschnellt.







