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BuchkritikDas Armutszeugnis: Experte zeichnet den Cum-Ex-Skandal nach

Banken und Superreiche ließen sich Steuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten. Ein ehemaliger Handelsblatt-Redakteur hat die Spur des Geldes verfolgt.Sönke Iwersen 20.03.2022 - 09:21 Uhr Artikel anhören

Ein Rechtsanwalt des Hauptbeschuldigten Hanno Berger hält vor dem Prozessauftakt um „Cum-Ex“-Aktiendeals im Gerichtssaal eine Akte in der Hand.

Foto: dpa

Düsseldorf. Als das Handelsblatt im Juni 2014 meinen ersten Artikel zum Steuerbetrug Cum-Ex veröffentlichte, arbeiteten Massimo Bognanni und ich im selben Team. Ich hatte Massimo als extrem einsatzfreudigen Kollegen kennengelernt. Als mich die Redaktion bat, sein neues Buch zum Cum-Ex-Skandal zu besprechen, sagte ich gern zu.

Die Lektüre hat sich gelohnt. Kapitel für Kapitel erweckt Bognanni die Charaktere zum Leben, die mir im Laufe der Zeit so vertraut geworden sind. Den Steueranwalt Hanno Berger, den ich vor acht Jahren in seinem Versteck vor der deutschen Justiz in der Schweiz besuchte. Die Staatsanwältin Anne Brorhilker, die von einem baufälligen Gebäude in Köln-Sülz aus die internationale Bankenwelt aufmischt. Den CDU-Politiker Peter Biesenbach, der mir einmal verriet, die Dimension des Cum-Ex-Betrugs sei ihm erst nach seiner Wahl zum Justizminister von Nordrhein-Westfalen bewusst geworden.

Damit ist ein Problem benannt, das Bognanni in seinem Buch mehrfach aufgreift. Cum-Ex, der große Steuerraub, findet keine Verankerung im öffentlichen Bewusstsein.

Im Sommer 2017, als Biesenbach den Cum-Ex-Schaden nicht recht einzuschätzen wusste, hatte ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags das Thema schon länger als ein Jahr bearbeitet und gerade einen Abschlussbericht vorgelegt. Mehr als tausend Artikel waren geschrieben worden, Banken hatten Hunderte Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt.

Bognanni hofft, sein Buch möge „die Machenschaften hinter Cum-Ex derart erhellen, dass ein größeres Publikum diesen größten Steuerskandal zu verstehen beginnt“. Das ist ambitioniert. Bognanni arbeitet heute beim Westdeutschen Rundfunk. Seine TV-Dokumentation „Der Milliardenraub. Eine Staatsanwältin jagt die Steuer-Mafia“ wurde hoch gelobt. Wer weder diesen Film noch die inzwischen unzähligen Artikel zum Thema wahrgenommen hat, lässt im Zweifel auch Bognannis Buch im Regal liegen.

Massimo Bognanni: Unter den Augen des Staates dtv München 2022 288 Seiten 20,00 Euro Foto: Handelsblatt

Das wäre schade. Bognannis großes Angebot ist, die Affäre Cum-Ex in einem Rutsch zu erzählen. Sein Timing ist ideal. Der Steueranwalt Hanno Berger, der mir 2014 im Schweizer Bergdorf Zuoz stolz seine Cum-Ex-Expertise präsentierte, wurde gerade nach Deutschland ausgeliefert.

Das Landgericht Bonn schloss die ersten drei Cum-Ex-Verfahren mit Schuldsprüchen. Der Bundesgerichtshof hat die Strafbarkeit der Geschäfte auf Kosten der Steuerzahler als letzte Instanz bestätigt.

Bognanni zeigt, dass der Spuk schon vor 30 Jahren hätte beendet werden können. Der Hessische Börsenaufseher August Schäfer entdeckte 1991 eine Praxis von Banken, sich am Fiskus zu bereichern. In einem Aufsatz für den „Frankfurter Finanzbericht“ schrieb Schäfer von Steuerbescheinigungen für Steuern, „die überhaupt nicht gezahlt wurden“.

Das Blatt wurde von der Landeszentralbank Hessen herausgegeben, einen geeigneteren Ort zur Veröffentlichung hätte es nicht geben können. Doch obwohl das Wirtschaftsministerium eine Untersuchung anordnete und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen empfahl, sah die Oberstaatsanwaltschaft in Absprache mit dem Finanzministerium davon ab. Begründung: Es wäre zu viel Aufwand gewesen.

Bognanni beschreibt Akteure eindrücklich

Bognannis Buch ist prall gefüllt mit solch haarsträubenden Details. 1998 wurde Cum-Ex durch ein Automatisierungsverfahren beschleunigt. 2002 kam das Thema im Bundesfinanzministerium aufs Tableau. Doch beim Versuch, die Praxis abzustellen, ließ sich die Politik ihre Feder ausgerechnet vom Lobbyverband der Banken führen. Wieder lief der Trick mit den doppelten Steuererstattungen ungehemmt weiter. Ähnliches passierte 2007 und 2009.

Auf der Suche nach den Verantwortlichen beschreibt Bognanni eindrücklich Täter, Aufklärer und Versager. Die Täter sind in der Mehrheit, die Aufklärer liegen abgeschlagen hinten.

Im November 2015 berichtete das Handelsblatt in einer Titelgeschichte von Cum-Ex-Geschäften der landeseigenen WestLB. Bognanni erhielt dazu 2021 von der Bank dieselbe Antwort wie wir sechs Jahre zuvor: Niemand konnte das erkennen. Dabei waren Dutzende von Mitarbeitern eingeweiht. Dass der Vorstand und der mit NRW-Politikern gespickte Aufsichtsrat nichts davon gewusst haben will, ist kein Ausweis ihres Sachverstands.

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Bognanni schreibt unterhaltsam. Höhepunkte finden sich immer, wenn er seine Leserinnen und Leser über die Schulter der Staatsanwältin Brorhilker schauen lässt, während sie ermittelt. Auch die Art und Weise, wie Bognanni die großen Linien der Affäre nachzeichnet, wie er Täter in ihrer Überheblichkeit und die Mahner in ihrem Scheitern schildert, ist spannend und aufschlussreich.

Das ist auch anderen schon aufgefallen. Gerade hat die Berliner Produktionsfirma Eikon die Filmrechte an Bognannis Buch erworben. Geplant ist eine Serie in True-Crime-Manier. Superreiche Schurken gibt es genug und eine so unbeirrte Ermittlerin wie Brorhilker würde man manchem „Tatort“ gern wünschen.

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