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RezensionenDie zerrissenen Staaten von Amerika – diese Bücher erklären die USA

Donald Trump oder Joe Biden? Die USA sind gespalten wie nie. Wird die älteste Demokratie der Welt an ihren inneren Konflikten scheitern? Diese sechs Bücher geben Antworten.Annett Meiritz, Christian Rickens, Claudia Panster 01.03.2024 - 18:54 Uhr
Die USA sind in den letzten Jahren geprägt von gesellschaftlichen und politischen Konflikten. Foto: Getty Images/Tetra images RF

Washington, Düsseldorf, Hamburg. Die Innenpolitik der USA ist vielen Deutschen fremd geworden. Es fällt schwer, die Begeisterung von Millionen Amerikanern für Donald Trump nachzuvollziehen. 

Ähnlich befremdlich können auf Europäer aber auch die Kulturkämpfe wirken, die in den USA auf der linken Seite des politischen Spektrums ausgetragen werden: Wie ein Mensch korrekt angeredet und bezeichnet werden darf, scheint in der demokratischen Partei bisweilen wichtiger zu sein als die Frage, ob er eine bezahlbare Krankenversicherung besitzt.

Im Jahr der US-Präsidentschaftswahl hat das Handelsblatt sich sechs Bücher angeschaut, die dabei helfen können, die Innenpolitik der USA besser zu verstehen.

Weiße Unterschicht: Ted Conover – Cheap Land Colorado

Der US-Journalist Ted Conover hat sich auf eine Expedition zu einer Subkultur begeben, die es in Deutschland so nicht gibt. Im Südwesten der USA, im Grenzgebiet zwischen Colorado und New Mexiko, leben Hunderte Menschen auf ihren eigenen Grundstücken fernab der Zivilisation. Ein paar Hektar trockenes Land kosten nur einige Tausend Dollar, eine Hütte oder ein Wohnwagen sind schnell aufgestellt.

Und so hat sich die Region zu einem Biotop für Zivilisationsflüchtlinge aller Art entwickelt. Conover hat hier als Helfer einer Wohltätigkeitsorganisation mehrere Monate verbracht und schnell die erste Lektion gelernt: sich vor dem Betreten eines Grundstücks unbedingt bemerkbar zu machen, um von den Bewohnern nicht erschossen zu werden.

Ted Conover
Cheap Land Colorado
Droemer HC
München 2024
384 Seiten
25 Euro

Die Menschen hier sind zwar Grundbesitzer, aber leben zumeist in bitterer Armut. Jobs gibt es in der Einöde kaum, der Anbau von Cannabis ist oft die einzige Einnahmequelle. Viele der Bewohner sind oder waren drogenabhängig. Die Behörden treten ihnen nicht als Helfer entgegen, sondern als Bedrohung: Sie schicken die Kontrolleure vorbei, die den Bau von Kläranlagen auf den Grundstücken durchsetzen wollen – was sich kaum jemand leisten kann. 

Ohne Verklärung, aber mit viel Einfühlungsvermögen bringt Conover den Leserinnen und Lesern in seiner aus der Ich-Perspektive erzählten Reportage eine Welt näher, die ihnen doppelt fremd ist: als Lebensstil und als Geisteshaltung. Wer „Cheap Land Colorado“ gelesen hat, versteht besser, warum gerade die Weiße Unterschicht in den USA politisch nach rechts tendiert und den Staat als Feind sieht, nicht als Helfer in der Not. (cri)

Konfliktfelder: Arthur Landwehr – Die zerrissenen Staaten von Amerika

Während Conover den Leserinnen und Lesern die innere Zerrissenheit der USA anhand einer genauen Milieustudie nahebringt, verfolgt Arthur Landwehr das gleiche Ziel mit der gegenteiligen Strategie. Der ehemalige ARD-Hörfunkkorrespondent in Washington skizziert in seinem Buch mit breitem Pinsel die wichtigsten aktuellen Konfliktfelder des Landes: von der „Black Lives Matter“-Bewegung über die Abstiegsängste der weißen Arbeiterschicht bis zu den „Culture Wars“, mit denen fundamentale Christen versuchen, etwa das Thema Homosexualität aus den Schulbüchern zu verbannen. Das macht Landwehr mit der Anschaulichkeit und der Routine des langjährigen Auslandskorrespondenten.

Arthur Landwehr
Die zerrissenen Staaten von Amerika
Droemer HC
München 2024
288 Seiten
24 Euro

Er sieht die USA in einer ähnlich kritischen Phase wie in den 60er-Jahren. Auch damals hätten sich unterschiedliche Weltanschauungen unversöhnlich gegenübergestanden. Doch am Ende sei es geglückt, sie in das politische System zu integrieren. Ob das auch dieses Mal gelingen wird, oder ob die älteste Demokratie der Welt an ihren inneren Konflikten scheitert, lässt Landwehr ausdrücklich offen. (cri)

Vergoldete Zeiten: Julian Heißler – Traum und Albtraum

Auch der Journalist Julian Heißler betrachtet in seinem Buch die aktuellen Konfliktfelder des Landes – aber mit einem besonderen Fokus: dem der Freiheit. „Die Welt hat nie eine gute Definition des Wortes Freiheit gehabt, und das amerikanische Volk braucht gerade jetzt eine solche.“ Ein Satz, den der amerikanische Präsident gesprochen hat. Jedoch nicht Joe Biden, der amtierende Präsident, sondern Abraham Lincoln, US-Präsident von 1861 bis 1865.

Heute gilt dieser Satz genauso wie damals. Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten, der Wohlstand ungleich verteilt, die Unzufriedenheit allerorten spürbar – ob wegen der Inflation, der hohen Flüchtlingszahlen oder der Nahost-Politik. Befrieden wollen sowohl Joe Biden, Demokrat, wie sein Widersacher Donald Trump, Republikaner, das amerikanische Volk, indem sie die Wichtigkeit der Freiheit betonen – nur in der Auslegung, was das denn eigentlich heißt, sind sie sich uneinig.

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Dieses Spannungsfeld analysiert Julian Heißler, Washington-Korrespondent der „Wirtschaftswoche“ (die wie das Handelsblatt zur Handelsblatt Media Group gehört). Auf gut 200 Seiten gelingt es ihm, die Auseinandersetzung um die einzelnen politischen Felder verständlich darzulegen, sie historisch kenntnisreich einzubetten und mit passenden Protagonisten zu veranschaulichen. Zwar geht er selten wirklich in die Tiefe, reißt viele Konflikte nur an, aber, so betont er selbst, kann ein solches Vorhaben auf so geringem Platz nur „an Grenzen stoßen“. Genauso wie die allgemeingültige Definition von Freiheit.

Julian Heißler
Traum und Albtraum
Verlag Herder
Freiburg 2023
240 Seiten
22 Euro

Das Buch ist klar und kurzweilig geschrieben – und schärft das Bewusstsein für den Konflikt um die Freiheit allerorten, ohne die Leserinnen und Leser zu pessimistisch zurückzulassen. Denn, so Heißlers Fazit: Zum Bruch müsse es trotz aller Krisen nicht kommen: „Heute sind die Vereinigten Staaten ein offeneres, inklusiveres und – ja – freieres Land als vor 50 Jahren.“ (cls)

Politische Rechte: Annika Brockschmidt – Die Brandstifter

Speziell der Republikanischen Partei widmet sich Annika Brockschmidt in ihrem Buch „Die Brandstifter“. Die freie Journalistin sieht die Partei nicht erst seit Trump auf dem Weg in den Extremismus. Auch sie greift dabei weit zurück bis in die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, als die Republikaner die progressive der beiden US-Parteien waren und die Demokraten mehrheitlich die Sklaverei verteidigten.

Auch der Blick auf die Jahrzehnte danach ist spannend, denn er zeigt, wie fluide in den USA die Programme und auch die Wählerklientel der beiden großen Parteien waren und bis heute sind. Ebenfalls wird deutlich, dass es immer wieder Versuche von rechten Extremisten gab, die Republikaner für ihre Sache zu kapern. 

Annika Brockschmidt
Die Brandstifter
Rowohlt Buchverlag
Hamburg 2024
368 Seiten
24 Euro

Wer sich für Ideen- und Parteiengeschichte interessiert, wird Brockschmidts Buch mit Gewinn lesen. Die politische Rechte in den USA ist das Lebensthema der freien Journalistin, was hier allerdings zum Problem wird: Brockschmidt hegt eine erkennbare Abneigung gegen das Objekt ihrer Berichterstattung, was auf jeder einzelnen Seite durchscheint.

Da steht dann etwa: „Das Kernprojekt des Konservativismus war und ist die Aufrechterhaltung von Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen im privaten wie im öffentlichen Raum.“ Man muss selbst nicht besonders rechts eingestellt sein, um etwa Sätze wie diesen als voreingenommen zu empfinden. (cri)

Der letzte seiner Art: Mitt Romney – A Reckoning

Nach dem Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 stimmte Mitt Romney als einziger republikanischer Senator für eine Amtsenthebung Donald Trumps, der Rest stimmte dagegen. Inzwischen ist Romney 76 Jahre alt und hatte im Herbst vergangenen Jahres angekündigt, nicht zur Wiederwahl antreten zu wollen. Sein Rückzug aus der Politik ist auch ein Abschied von den „alten“, traditionellen Republikanern.

In seinen Memoiren „The Reckoning“ (übersetzt: Die Abrechnung) beschreibt Romney sein Entsetzen über Trump und eine Entfremdung von seiner Partei, die sich radikalisiert hat und Trump erneut zum Präsidentschaftskandidaten nominieren will. In seinem Buch räumt Romney freimütig ein, dass er sich zu lange ans Amt geklammert hätte, aus Angst vor dem Bedeutungsverlust.

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Den mächtigen Senat, eine von zwei Kammern des US-Kongresses, bezeichnet er als „Club für alte Männer“, die süchtig nach Macht seien. „Die meisten von uns versuchen mal, eine Woche lang Golf zu spielen und denken dann: Ok, jetzt kann ich mich gleich umbringen“, heißt es in „The Reckoning“, das aus Interviews mit der US-Journalistin McKay Coppins entstand.

Mitt Romney: A Reckoning
Scribner Verlag
New York 2023
416 Seiten
27,97 Euro

Romneys Buch ist für alle interessant, die sich für das Innenleben des Kongresses interessieren und für die langen Linien der amerikanischen Politik, in der Überparteilichkeit und Kompromisse immer seltener werden. Romney kennt Trump seit fast 30 Jahren, aber unterschätzte am Ende, welchen Einfluss der Trumpismus über die Republikaner haben sollte. Seine Memoiren sind ein Stück Zeitgeschichte und beschreiben den Aufstieg eines strenggläubigen Mormonen, der als Präsidentschaftskandidat gegen Barack Obama verlor und dennoch sehr in Washington respektiert wurde.

Das Buch ist weniger reißerisch als der Titel erwarten ließe, und enthält schöne Details: Etwa, wie Romney nach langen Sitzungen auf dem Capitol Hill im sterilen Apartment „Ted Lasso“ guckt und kaltes Lachsfilet mit Ketchup verspeist. Das ist ein schöner Kontrast zum sehr seriösen Cover, das Romney als nachdenklichen, graumelierten Herren im Karohemd zeigt. (amz)

Tödliche Realität: Paul Auster – Bloodbath Nation

In den USA lernen bereits Fünfjährige bei speziellen Sicherheitsübungen in der Vorschule, wie sie sich im Fall einer Massenschießerei verhalten sollen. Der renommierte Schriftsteller Paul Auster erforscht in „Bloodbath Nation“ die Wurzeln der Waffenkultur in Amerika – und zwar auf eine Weise, die keine Anklage erhebt, sondern beim Verstehen des Unfassbaren hilft.

So baut Auster folgendes Denk-Experiment auf: Würden die USA die Produktion von Handfeuerwaffen sofort einstellen, wären noch immer 400 Millionen Waffen im Umlauf. Das Problem, argumentiert er, sei nicht zwingend die zu lasche Gesetzeslage, sondern „das Böse in uns“. Gewalt gehörte zum Innersten der Menschheit, belegt er anhand historischer Beispiele, und allein für diesen Blick in die amerikanische Geschichte lohnt sich das Buch. „Der Frieden wird nur dann ausbrechen, wenn alle Seiten ihn wollen“, schreibt Auster.

Verwandte Themen USA Literatur Republikaner

Paul Auster
Bloodbath Nation
Rowohlt Buchverlag
Hamburg 2024
192 Seiten
26 Euro

Beeindruckend sind die begleitenden Schwarz-Weiß-Fotografien seines Schwiegersohns Spencer Ostrander, auf denen Orte von Massenschießereien zu sehen sind: Schulen, Hotels, Bars, Supermärkte, Kirchen. Auster und Ostrander zeigen damit, dass Waffengewalt in alle Lebensbereiche der USA eindringt, die mit Abstand das Industrieland mit der höchsten Todesrate durch Waffengewalt sind.

Parallel arbeitet Auster seine persönliche Familiengeschichte auf, denn sein Großvater wurde einst von dessen Ehefrau am Küchentisch erschossen. „Bloodbath Nation“ ist schwer verdaulich, aber ein Buch voller Denkanstöße. Und eines, das lange nachhallt. (amz)

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