Geschichte: Von Hitler bis Putin – wie interviewt man einen Diktator?
München. In einer Zeit, in der die Achse der Autokraten immer stärker wird, stellt sich naturgemäß eine Frage: Wie soll professioneller Journalismus mit jenen Machtfiguren umgehen, die mit der Freiheit der Presse, der Kunst und der Justiz, kurzweg mit der Freiheit aller anderen, sehr wenig anfangen können? Was bringen da Interviews?
Das ist der Hintergrund der jüngsten Arbeit des Medienforschers Lutz Hachmeister, drei Monate nach seinem Tod erschienen. Akribisch und in schönster Erzähllaune nähert er sich seinem Genre „Diktatoren-Interview“ am Beispiel des übelsten Totalitaristen jüngerer Geschichte, des Einzelgängers Adolf Hitler.
Der NS-Gewaltige musste auf Anraten seiner Entourage, vor allem des NS-Auslandspressechefs Ernst Sedgwick „Putzi“ Hanfstaengl, den Kontakt zu ausländischen Journalisten (bevorzugt aus den USA und England) suchen. Es galt zunächst, den in München revoltierenden Irrwisch Hitler erst mal als „bavarian Mussolini“ bekannt zu machen (bis 1923), später dann, ihn als kanzlerfähig darzustellen (1930 bis 1933), und schließlich, den Alleinherrscher als Nicht-Imperialisten (bis 1941) zu präsentieren.
Genüsslich analysiert Hachmeister, wie sich die Pressevertreter in ihrer Mischung aus Eitelkeit, Sensationsgier und Sendungsbewusstsein vom Dauerredner mit dem Zweifingerbart meist vorführen ließen und platte Lügen wiedergaben. Die Minuten mit Hitler (ein „völkischer Faselant“, so der Autor) waren für die Interviewer ein „Scoop“, immer gut für eine Agenturmeldung; etliche von ihnen sympathisierten sogar mit NS-Ideen. Dankbar füllten die Fragesteller bis 1933 mit einem Obolus die knappe NSDAP-Kasse.
Die meisten der in der Regel männlichen Stichwortgeber waren für die bestellten Gespräche viel schlechter vorbereitet als Hitlers Medienzirkel; kundige Presseleute wie die Amerikanerin Sigrid Schultze kamen gegen die „boys“ nicht zum Zuge. Die versagten regelmäßig, etwa 1935 der gebürtige Luxemburger Pierre John Huss, entsandt von der US-Mediengruppe Hearst.
Er fragte kurz vor der Saar-Abstimmung allerliebst den „Herrn Reichskanzler“, ob er nach seinem großen Erfolg etwas zu sagen habe, „das von besonderem Interesse gerade für das amerikanische Volk sein könnte“. Die Suffragette Dorothy Thompson wiederum erschien angetrunken zum Interview, was den Antialkoholiker Hitler nachhaltig verschreckte. Sie schrieb danach ein genauso nüchternes Buch („I saw Hitler“) wie Huss („Heil! And Farewell!“) und etliche andere Interviewer.
Gescheiterte Versuche bei Wladimir Putin
In Hitlers letztem Interview – John Cudahy trat 1941 für „Life“ an – schwadronierte der kriegsberauschte Diktator davon, alles, was er für Europa wolle, sei „Frieden, Wohlstand und Glück“. Das glaubte in den USA dann niemand mehr. Wie man es besser machte, schildert Hachmeister am Beispiel von Bertrand de Jouvenel („Paris-Soir“), der seinem Gegenüber so zusetzte, dass daraus nicht der übliche Hitler-Monolog erwuchs, sondern ein richtiger Dialog.
Das Beste kommt in Hachmeisters so lesenswertem wie lehrreichem Buch im Schlusskapitel: ein Blick auf aktuellere Diktatoren-Befragungen. Er erinnert an die gelungenen provokanten Gespräche von Oriana Fallaci mit Potentaten wie Gaddafi, Khomeini oder Castro. Und an die vielen gescheiterten Versuche bei Wladimir Putin, wobei der seinerzeitige WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn besonders auffiel.
Er blamierte sich wie ein Schulbub und musste sogar beantworten, wie er denn heiße. Auch Erkundungen von Claus Kleber (ZDF) bei Irans Präsident Ahmadinedschad und von Jürgen Todenhöfer (für die ARD) bei Syriens Baschar al-Assad floppten spektakulär.
Die meisten solcher Diktatoren-Interviews wären besser nie geführt worden, resümiert Hachmeister. Bei guter Vorbereitung ließen sich allenfalls „Verblüffungsgewinne“ erzielen.
Über allen erörterten kommunikativen Fragen schweben „unheimliche Parallelen“ zwischen Hitler und Donald Trump, die der Schriftsteller T.C. Boyle sieht; auch der Amerikaner manipuliere die Menschen so stark mit Fake News, Propaganda und Hass auf Minderheiten, „dass sie am Ende gar gegen ihre eigenen Interessen wählen“. Journalisten braucht der Comeback-Präsident allerdings in viel geringerem Ausmaß als früher. Es genügen die richtigen Social-Media-Kanäle.
Erstpublikation: 14.11.2024, 18:47 Uhr.