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BuchrezensionWie Geschichten unser ökonomisches Handeln beeinflussen

Wie entstehen Spekulationsblasen? Eine entscheidende Rolle, so Nobelpreisträger Robert Shiller, spielen eingängige Anekdoten oder Argumentationsmuster.Christian Rickens 11.10.2020 - 14:42 Uhr Artikel anhören

Das Narrativ vom Bitcoin als Reservewährung der Zukunft befeuerte den Aufstieg der Kryptowährung.

Foto: Reuters

Düsseldorf. Über viele Jahrzehnte litt die ökonomische Forschung unter einem blinden Fleck. Volkswirte konnten zwar erklären, wie ein Wirtschaftssystem am besten die Bedürfnisse der Menschen befriedigt. Aber wie diese Bedürfnisse entstehen, darüber wussten sie wenig zu sagen. Man behalf sich mit dem Gedankenbild des Homo oeconomicus, der stets rational seinen Nutzen maximiert.

Spätestens seit dem Siegeszug der Verhaltensökonomik in den vergangenen zwei Jahrzehnten wissen wir, dass dieser Homo oeconomicus eine Fiktion ist. Menschen handeln oft höchst irrational, wenn sie Entscheidungen übers Arbeiten, Sparen oder Konsumieren treffen. Doch auch die Verhaltensökonomik kann nicht systematisch erklären, wie diese Präferenzen in den Köpfen der Menschen entstehen.

An diesem Punkt setzt „Narrative Wirtschaft“ von Robert Shiller an. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger interessiert sich bereits seit Jahrzehnten für Spekulationsblasen: Wie kommt es dazu, dass Preise etwa von Aktien oder Immobilien plötzlich in ungeahnte Höhen schnellen? Mehr noch: dass immer wieder die Überzeugzug vorherrscht, es handele sich gar nicht um eine Spekulationsblase, sondern um einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel der Wirtschaft – ein Irrglaube, der regelmäßig im Crash endet?

Eine entscheidende Rolle fürs Entstehen solcher Blasen spielen Narrative: kleine, eingängige Anekdoten oder Argumentationsmuster, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzen, ihre Präferenzen beeinflussen und dadurch indirekt auch ihr Handeln steuern.

Nicht nur Spekulationsblasen, so Shillers These, sondern fast alles, was in Wirtschaft und Gesellschaft passiert, wird von solchen Narrativen befeuert. Diese Geschichten können auf wahren Fakten basieren oder ausgedacht sein: Entscheidend ist, dass sie sich „viral“ verbreiten und so das Denken und Handeln von Millionen von Bürgern beeinflussen.

Tatsächlich erläutert Shiller sehr ausführlich die Parallelen zwischen den Verbreitungswegen von ansteckenden Krankheiten und denen von Narrativen. Ein Teil des Buchs, der sich inmitten der Corona-Pandemie besonders beklemmend liest.

Robert J. Shiller: Narrative Wirtschaft. Wie Geschichten die Wirtschaft beeinflussen – ein revolutionärer Erklärungsansatz. Plassen Kulmbach 2020 480 Seiten 29,99 Euro Foto: Plassen

Shiller macht uns mit dem Onlinetool Google Ngram vertraut, das die Narrativ-Forschung wesentlich vereinfacht hat. Mithilfe von Ngram lassen sich digitalisierte historische Quellen vom Jahr 1500 bis in die Gegenwart nach bestimmten Begriffen durchsuchen. So kann man die Verbreitung von Narrativen nachvollziehen, in denen immer wieder die gleichen Begriffskombinationen auftauchen. Ein Beispiel, auf das Shiller ausführlich eingeht, ist das Narrativ vom Bitcoin als einer von Zentralbanken unabhängigen Reservewährung der Zukunft.

Der Aufstieg des Bitcoins zeigt einmal mehr: Jede Währung ist nur so viel wert, wie die Menschen bereit sind, ihr an Wert zuzubilligen. Selbst Gold ist ein zwar seltenes, aber letztlich auch ziemlich nutzloses Metall. Doch seit Jahrtausenden dominiert das Narrativ, demzufolge Gold im Wert zwar schwankt, aber niemals wertlos wird. Umso erstaunlicher, dass Bitcoin für Millionen von Menschen innerhalb von wenigen Monaten einen ähnlichen Status erlangen konnten.

Shillers Buch gleicht einer faszinierenden Reise durch die Welt der Narrative, die unsere Bedürfnisse und Präferenzen beeinflussen und dadurch unsere Gesellschaft verändern. Im Schlusskapitel macht Shiller aber auch sehr deutlich, wo die Narrativ-Forschung noch Lücken aufweist.

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Fraglich ist vor allem die Kausalität: Verändert tatsächlich ein Narrativ, das sich viral verbreitet, die gesellschaftliche Realität? Oder bringen Veränderungsprozesse, die sich ohnehin zugetragen hätten, die passenden Narrative hervor?

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