Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2023: Felix Lee: „Ich habe lange gezweifelt, ob das eine Geschichte ist“

Die Jury wählte sein Buch aus einer Shortlist von zehn Titeln.
Frankfurt. Es ist eine wirtschaftspolitische und zugleich sehr persönliche Geschichte, die das Wirtschaftsbuch des Jahres 2023 erzählt. Felix Lee beschreibt in „China, mein Vater und ich“ die Geschichte seines Vater Wenpo Lee.
Dieser war 1978 Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen– und einziger Chinesisch sprechender Mitarbeiter in Wolfsburg. Als eine chinesische Delegation spontan vor dem VW-Werk stand, musste er übersetzen. Und wurde infolge zu einem der Architekten des Chinageschäfts von Volkswagen. Bei der Verleihung des Preises an Felix Lee standen die beiden gemeinsam auf der Bühne.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Felix Lee, seit wann ist diese Geschichte in Ihrem Kopf?
Felix Lee: Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bis zum Schluss gezweifelt habe, ob das überhaupt eine Geschichte ist. Ich kenne sie von klein auf, empfand sie als nichts Außergewöhnliches. Kollegen, denen ich die Anekdoten erzählte, haben mich überredet, es aufzuschreiben. Ich habe dann viele Gespräche mit meinem Vater geführt und gemerkt, dass ich, obwohl ich damit aufgewachsen bin, viele Details und vor allem viele Auswirkungen doch noch nicht kannte.
Der Preis gebührt also indirekt auch Ihrem Vater, der die Geschichte gelebt hat. Wenpo Lee, die Geschichte, als ein chinesischer Minister vor den Werkstoren in Wolfsburg stand, klingt wie ein Märchen. Wie lief das damals?
Wenpo Lee: Er kam unangekündigt und wollte sich gern anschauen, wie die Fabrik funktioniert. Ursprünglich wollte er gar keine Autos kaufen, sondern einen Bus. Wir haben ihn einen ganzen Abend lang überredet, doch Pkws von Volkswagen zu kaufen.
Danach hat es ein paar Monate gedauert, bis die chinesische Delegation sich wieder gemeldet hat. Haben Sie damals geahnt, dass China so schnell aufsteigen und der Pkw-Markt sich so rasant entwickeln wird?
Wenpo Lee: Meine deutschen Kollegen auf der Führungsebene hatten damals kein Vertrauen zu China. Das Land war sehr arm. Ich war aber kurz vor dem Besuch des Ministers in China gewesen und habe gesehen, dass wir den Menschen dort helfen müssen. Sie hatten tatsächlich keine Fahrzeuge, um sich fortzubewegen. Zum Glück habe ich mich durchgesetzt.

Bei der Verleihung des Wirtschaftsbuchpreises war neben Gewinner Felix Lee auch sein Vater und Protagonist im Buch, Wenpo Lee, anwesend.
Wie war das damals, als vergleichsweiser kleiner Mitarbeiter bei VW im Zusammenspiel mit den großen Managern?
Wenpo Lee: Ich will mich da gar nicht zu sehr in den Vordergrund drängen. Das Buch ist ja nicht nur meine Geschichte, sondern kann Vorbild sein für alle Menschen, egal in welcher Position. Man muss letztendlich seine Arbeit vernünftig machen und sich sachlich durchsetzen. Die Erfahrung habe ich in meinem ganzen Leben gemacht. Obwohl ich damals der einzige Chinese bei VW in Wolfsburg war, die einzige ausländische Führungskraft in der Forschungsabteilung. Das war nicht leicht. Ich war ein kleiner Ausländer, der schlecht Deutsch sprach. Trotzdem hat mich mein Chef befördert.
Sie haben viel durchgesetzt. In China wurden Santana und Jetta zu großen Marken. Der westliche Lebensstil wurde erstmals fassbar. Das ist aber nun lange her, der Markt hat sich durch Elektromobilität gedreht. Nun kommen chinesische Firmen wie BYD nach Deutschland und bieten für den Massenkonsum günstige Autos an, auch für die Oberklasse. Was wird da aus VW?
Wenpo Lee: Die Deutschen sind hartnäckig und durchsetzungsfähig. Das habe ich in meinem Arbeitsleben von meinen deutschen Kollegen gelernt. Mit dieser Mentalität wird sich Volkswagen behaupten.
Felix Lee, Sie schreiben in Ihrem Buch „Erst war China abhängig von Volkswagen, jetzt ist Volkswagen abhängig von China“.
Felix Lee: Ja, ich bin nicht ganz so optimistisch wie mein Vater, was das künftige beziehungsweise mittelfristige VW-Geschäft anbelangt, aber wenn man es positiv sehen will, dann in der Hinsicht, dass der Handel auf Gegenseitigkeit beruht und letztendlich auch die Abhängigkeiten gegenseitig sind.
VW könnte sich gar nicht vom chinesischen Markt verabschieden, weil China quasi der „Fitnessklub der Automobilindustrie“ ist. Wenn man auf dem chinesischen Markt technologisch nicht mithält, und China hat den Schritt zur Elektromobilität entschieden, dann wird ein Konzern, auch jeder andere westliche Autokonzern, auf dem Weltmarkt keine Rolle mehr spielen. Deswegen ist VW abhängig von China.

VW hat 34 Fabriken in China, davon hängen nicht zuletzt sehr viele Arbeitsplätze ab.
Felix Lee: Ja, es sind nicht nur die Wolfsburger Manager abhängig vom Chinageschäft, sondern auch konkret die Mitarbeiter in China. Dass gibt aus VW-Sicht zumindest die Hoffnung, dass die chinesische Führung trotz aller Stärken, die China jetzt im E-Mobilitäts-Bereich erlangt, VW nicht ganz so schnell aus dem Land schmeißt.
Du warst als Vierjähriger erstmals in China, hast Verwandtschaft dort. Wie hat sich das Land verändert?
Felix Lee: Man hat tatsächlich gemerkt, dass mit jedem unserer Besuche der Wohlstand mehr einkehrte. Unsere Familie besaß irgendwann Radios, Fernseher und Klimaanlagen. Und ich kann jetzt zumindest von einem Teil meiner Verwandtschaft sagen, dass die Verhältnisse sich kaum mehr von denen hier im Westen unterscheiden. Und das erfüllt mich, das muss ich schon sagen, mit Freude. Auf menschlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene.
Und politisch?
Felix Lee: Politisch gesehen ist es in den vergangenen Jahren unter Xi Jinping sehr viel düsterer geworden. Die Sorge ist berechtigt, dass China nicht, wie lange gehofft und auch gedacht wurde, ein sanfter aufsteigender Riese ist, sondern geopolitisch als Aggressor auftritt. Ich hoffe, dass das nur eine kurze Episode bleibt. Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Chinesinnen und Chinesen das auch nicht möchte.





