Anlagemanagement Rotation in Value-Werte könnte an der Börse noch Jahre andauern

Marktbeobachter halten unter anderem die Aktien von Exxon, Chevron und Total für aussichtsreich.
Frankfurt. Die Rekordjagd an den Aktienbörsen geht in diesem Frühling nahezu ungebremst weiter. Gérard Piasko, Chefanlagestratege bei der Schweizer Privatbank Maerki Baumann & Co. AG, rechnet aber künftig mit einer zunehmenden Anfälligkeit der Aktienkurse für größere Schwankungen. Als Grund dafür sieht er den stärker werdenden Inflationsdruck – befeuert von den Aussichten auf die billionenschweren Konjunkturprogramme in den USA und in Europa.
Der Anlageprofi, der schon für Julius Baer und die Deutsche Bank tätig war, erwartet Gewinnmitnahmen bei Wachstumsaktien aus dem Technologiebereich und mehr Nachfrage nach konjunkturabhängigen Aktien – sogenannten „Value“-Werten. „Die Rotation am Aktienmarkt dürfte wegen der Rückkehr der Inflation und höherer Anleiherenditen weitergehen, wobei auch Unterbrechungen dieses neuen Trends möglich sind“, sagt Piasko.
Bezogen auf US-Aktien wäre beispielsweise ein Anstieg des Leitindexes Dow Jones relativ zum Tech-Index Nasdaq keine Überraschung. Der angelaufene Rotationsprozess könnte sich dabei länger hinziehen, als viele denken, sagt Piasko. Einige Experten glauben sogar, dass sich die Rotation in Value-Werte über mehrere Jahre erstrecken kann.
Historisch gesehen gab es laut Analysten beispielsweise in den Jahren 2002 und 2003 sowie 2009 und 2010 jeweils Phasen, in denen Value-Aktien besser als der Gesamtmarkt liefen. Im Schnitt dauerten diese Phasen zwischen einem Jahr und 18 Monaten. Wenn man davon ausgeht, dass die Rotation hin zu Substanzwerten in der zweiten Jahreshälfte 2020 eingesetzt hat, dann könnte die aktuelle Verlagerung noch bis ins Jahr 2023 hinein anhalten.
Der Grund dafür sind laut Piasko die nach wie vor großen Bewertungsunterschiede: „Zwar wurden Value-Aktien letzthin mehr nachgefragt, doch die Unterbewertung von Value-Aktien ist historisch gesehen nach wie vor so groß, dass die Rotation noch einige Zeit anhalten sollte.“ Verschiedene US-Wachstumsaktien sind zuletzt in ihrer Bewertung deutlich gestiegen und gelten mittlerweile als teuer, während viele Value-Aktien auch jetzt noch günstig bewertet sind.
Ölaktien gelten als aussichtsreich
Als Beispiele für unterbewertete Sektoren gelten die Industrie, Finanzen und Rohstoffe. Marktbeobachter halten etwa unter den Ölaktien Exxon, Chevron und Total für aussichtsreich. Bei den Rohstoffwerten verweisen sie unter anderem auf Rio Tinto und Glencore.
Allerdings profitieren nicht nur die Schwergewichte von der Sektorrotation. „Auch Nebenwerte haben historisch oft von einer stärkeren Konjunktur profitiert. So in der Schweiz der sogenannte SMIM-Index oder der Russel 2000 in den USA, zum Teil auch der MDax“, sagt Piasko.
Bei Piaskos Arbeitgeber Maerki Baumann liegt die Aktienquote in einem ausgewogenen Portfolio für einen Anleger mit mittlerem Risikoprofil aktuell bei 51 Prozent, auf Anleihen entfallen 33 Prozent, auf Gold 4,5 Prozent. Der Rest sind Cash-Positionen und andere Rohstoffe.
„Angesichts einer von rekordtiefen Niveaus wieder ansteigenden Inflation sind wir nun in Cash und Anleihen untergewichtet“, sagt Piasko. „In Aktien sind wir mit 51 Prozent relativ zum neutralen Niveau übergewichtet.“ Gold sollte im Depot mit rund fünf Prozent Beimischung als strategische Position der langfristigen Diversifikation dienen.
Exzessive Risikobereitschaft durch Liquiditätsflut
Auch beim Vermögensmanager Do Investment sieht man die Wirtschaft erst am Beginn eines zyklischen Aufschwungs. Senior Portfoliomanager David Wehner rechnet damit, dass die Inflationsrate in den Sommermonaten die magische Marke von zwei Prozent überschreiten wird. Die Zentralbanken würden auf diese Datenlage aber nicht reagieren, da sie es schlichtweg nicht könnten, und der steigende Schuldenberg enge den zinspolitischen Spielraum erheblich ein.
Wehner geht davon aus, dass die Zentralbanken eine „Zinsstrukturkurvenkontrolle“ etablieren würden, sobald die Zinsen für zehnjährige US-Staatsanleihen die Zwei-Prozent-Hürde und die zehnjährige Bundesanleihe die Null-Prozent-Marke überschreiten. Dieses Szenario spreche sowohl für Aktien als auch für Gold.
Bis dahin könne es durchaus noch ein holpriger Weg für die Märkte werden. Wie steinig er werden könne, habe der Zahlungsausfall des Hedgefonds Archegos Capital gezeigt. Die Liquiditätsflut der Notenbanken habe zu einer „exzessiven Risikobereitschaft“ geführt.
Mehr: Wie Top-Investoren jetzt handeln – und was Anleger daraus lernen können
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Eine Sektorrotation hin zur "old economy" wurde in den letzten 15 Jahren, also nach der Dotcom-Baisse, immer wieder prophezeit und dann doch immer wieder vertagt. Nun hinkt die NASDAQ gerade einmal wenige Monate lang dem Dow hinterher und schon heißt es "die Sektorrotation ist da".
Dabei ist die tektonische Verschiebung entwickelter Ökonomien weg von der Industrie- hin zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft ungebrochen. Die klassische Industrie oder der etablierte Finanzsektor gehören dabei langfristig wohl eher nicht zu den Gewinnern, sondern klopfen sich um stetig geringer werdende Margen.
Als langfristiger Investor setze ich lieber auf Biotech als auf Grundstoffchemie, lieber auf Fintech als auf Großbanken und lieber auf AI als auf Versorger.