Umfrage Kapitalmarktprofis erwarten keine Zinswende

Experten erwarten 2020 einen robusten Anleihemarkt.
Frankfurt Christine Lagarde hat eine der schwierigsten und zugleich wichtigsten Aufgaben in der Euro-Zone übernommen. Die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) soll die Währungsunion aus der Krise führen.
Bei ihrer ersten Pressekonferenz Mitte Dezember schlug die Französin zwar einen etwas optimistischeren Ton als ihr Vorgänger Mario Draghi an. Doch die Botschaft blieb im Prinzip die gleiche: Es gibt einen Hoffnungsschimmer für die Konjunktur, aber die Inflation ist noch immer zu niedrig.
Damit bleibt geldpolitisch in der Euro-Zone vorerst alles beim Alten: Der entscheidende Einlagenzins der EZB steht weiterhin bei minus 0,5 Prozent, und die Notenbank kauft jeden Monat zusätzliche Anleihen im Wert von über 20 Milliarden Euro. Immerhin hat Lagarde eine Überprüfung der Strategie der EZB versprochen. Von einer Trendwende weg von der ultralockeren Geldpolitik der Ära Draghi kann aber keine Rede sein.
Diese Ausgangslage spiegelt sich auch in den Zinsprognosen der in- und ausländischen Banken wider. 30 vom Handelsblatt befragte Analysten und Volkswirte erwarten im Schnitt keine Veränderung bei den Zinsen. Aktuell müssen Anleger eine negative Rendite von 0,26 Prozent bei der zehnjährigen Bundesanleihe hinnehmen. Das heißt: Bei einer Inflationsrate von über einem Prozent erleiden die Investoren einen realen Verlust.
Treffen die Vorhersagen der befragten Experten ein, dann wird die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe Ende 2020 bei minus 0,25 Prozent verharren. Insgesamt haben nur fünf Befragte eine Prognose von mindestens null Prozent oder gar einen positiven Wert für die Rendite vorhergesagt. Die Privatbank Berenberg und die Fürstlich Castell’sche Bank gehen davon aus, dass die Bundrendite auf plus 0,3 Prozent steigt.
Berenberg begründet das mit „ersten Anzeichen, dass das Wirtschaftswachstum weltweit wieder etwas anzieht“. Davon dürften nach Meinung der Experten vor allem Europa und Deutschland profitieren. Und das sollte sich eben in steigenden Renditen niederschlagen.
Ganz anders bewerten die Kapitalmarktprofis des Frankfurter Bankhauses Metzler die Lage. Sie erwarten, dass angesichts der hoch bewerteten Aktienkurse und der expansiv ausgerichteten Geldpolitik die Anleihemärkte weiter robust bleiben werden. Sowohl in der Euro-Zone als auch in den Vereinigten Staaten erwarten die Metzler-Experten fortgesetzte Zinssenkungen.
„Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen sollten im Zuge dessen neue Verlaufstiefs erreichen“, urteilen die Analysten. Sie prognostizieren für lang laufende Bundespapiere eine Schwankungsbreite von minus 0,50 Prozent bis minus 0,80 Prozent zum Jahresende. Das wäre ein neuer Negativrekord.
Das Bankhaus Lampe rechnet ebenfalls mit steigenden Kursen für deutsche Staatsanleihen und spiegelbildlich fallenden Renditen. „Negativrenditen sind vorerst die neue Normalität“, lautet das lapidare Urteil der Experten.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die italienische Großbank Unicredit, die von einer Rendite von minus 0,50 Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen zum Jahresende ausgeht. Philip Gisdakis, Chefanlagestratege der deutschen Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank, sieht im nächsten Jahr aber vor allem einen Trend, der die gesamte Anlagepolitik bestimmen wird: Nachhaltigkeit.
Viele Kunden wollten mit ihren Kapitalanlagen nicht mehr nur finanzielle Ziele verfolgen, sondern zugleich gesellschaftlich etwas bewegen, so der Experte. Diese Tendenz nehme zu, gerade auch bei der Generation der Erben. „Bereits jetzt legen drei von vier Deutschen Umfragen zufolge Wert auf die Nachhaltigkeit ihrer Geldanlage“, sagt Gisdakis. Dieser Trend werde langfristig weiter an Bedeutung gewinnen, lautet seine Schätzung.
Experten lagen zuletzt mit ihrer Prognose daneben
Im vergangenen Jahr lagen die vom Handelsblatt befragten Analysten und Volkswirte mit ihrer Zinsprognose allerdings weit daneben. Die Investmentprofis hatten auf eine Trendwende in der Geldpolitik gewettet und auf eine Zinserhöhung durch Ex-EZB-Chef Draghi gesetzt.
Entsprechend optimistisch fiel ihre Prognose für die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe aus: Im Schnitt lag die Vorhersage bei plus 0,72 Prozent für Ende 2019. Das ist rund ein Prozentpunkt höher als der tatsächliche Wert. Am weitesten daneben lag BNP Paribas mit einer Prognose von plus 1,25 Prozent. Die treffsicherste Schätzung stammte mit plus 0,30 Prozent von den Experten des Bankhauses Metzler.
Auch mit ihren Prognosen für den Devisenmarkt lagen die Kapitalmarktprofis im vergangenen Jahr falsch. Die Experten hatten den Wechselkurs des Euros zum Jahresende 2019 bei 1,19 Dollar gesehen. Tatsächlich notiert er bei 1,11 Dollar. Am besten lag die Fürstlich Castell’sche Bank mit ihrer Schätzung von 1,09 Dollar. Dagegen waren die Helaba und die Société Générale mit 1,25 Dollar deutlich zu optimistisch, was den Euro-Kurs angeht.
Und fürs kommende Jahr? Bis Ende 2020 sagen die Analysten und Volkswirte keinen großen Sprung im Verhältnis des Euros zur US-Währung vorher. Im Durchschnitt gehen die Kapitalmarktprofis von einem Kurs von 1,15 Dollar aus. Deutlich optimistischer ist die Landesbank Helaba mit prognostizierten 1,25 Dollar.
Schließlich habe sich die amerikanische Währung im laufenden Jahr vergleichsweise robust gehalten – vermutlich sehr zum Ärger von US-Präsident Donald Trump.
Denn in dessen protektionistische Agenda passe sehr viel besser eine schwächere US-Währung, argumentiert die Landesbank. „Ohnehin ist der Dollar deutlich überbewertet, US-Handels- und -Haushaltsdefizite mahnen ebenfalls zur Vorsicht“, meint Devisenexperte Christian Apelt von der Helaba.
In der Euro-Zone werde die Konjunktur wohl wieder an Dynamik zunehmen, sodass der Wachstumsvorteil der USA 2020 schmelzen dürfte. Der politische Gegenwind für den Euro werde vermutlich nachlassen und könne sogar zulasten der US-Währung drehen, urteilt Apelt.
Ganz anders beurteilen die Experten des Bankhauses Donner & Reuschel die Entwicklung am Devisenmarkt: Die Analysten sehen den Euro Ende des Jahres 2020 bei 1,05 Dollar. Sie argumentieren, seit Mitte 2019 seien zwei wesentliche Argumente weggefallen, die für eine Aufwertung des Euros sprechen: Die hohe Zinsdifferenz zwischen den USA und der Euro-Zone habe sich einerseits kaum eingeengt.
Andererseits werde die europäische Wirtschaft weiterhin langsamer wachsen. Zwar rechnet Donner & Reuschel mit einer leichten konjunkturellen Erholung der Euro-Zone und einem etwas schwächeren Wachstum in den Vereinigten Staaten. Trotzdem bleibe eine deutliche Differenz bei den Wachstumsraten bestehen. Das Bankhaus rechnet deshalb auch im nächsten Jahr mit einer Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar.
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