Deutsche-Börse-Manager Eric Müller „Wir rechnen mit exponentiellem Wachstum“

Der Eurex-Clearing-Chef will sich nun um weitere neue Kundengruppen bemühen.
Frankfurt Eric Müller muss die Deutsche Börse im Kampf um die Abwicklung von Derivategeschäften nach dem Brexit positionieren. Er hat dafür ein Modell entwickelt, durch das eine Verlagerung von Clearinggeschäften aus London für Geldhäuser schmackhafter wird. Dieses Angebot kommt gut an. Rund 20 Marktteilnehmer aus den USA, Großbritannien und Kontinentaleuropa haben sich inzwischen für eine Teilnahme entschieden – darunter Schwergewichte wie HSBC, BBVA, Citi, JP Morgan, Morgan Stanley und die Deutsche Bank.
Herr Müller, wie groß ist das Interesse von Banken und anderen Investoren, Zinsswaps künftig über die Deutsche-Börse-Tochter Eurex Clearing abzuwickeln?
Wir haben im Oktober ein Partnerschaftsprogramm aufgelegt, durch das die zehn aktivsten Akteure am wirtschaftlichen Erfolg von Eurex Clearing im Zinsswapsegment profitieren werden. Citi, JP Morgan, Morgan Stanley, Bank of America Merrill Lynch sowie die Deutsche Bank und die Commerzbank waren von Anfang an dabei. Jetzt konnten wir auch große Institute aus Großbritannien, der Schweiz sowie aus bedeutenden EU27-Staaten wie Italien, Spanien und den Niederlanden gewinnen. Damit haben wir die Banken, die weltweit für 80 bis 90 Prozent des Volumens am Markt für Zinsswaps (Interest-Rate-Swaps) stehen, an Bord.
Und wie sieht es in Deutschland aus?
In der Bundesrepublik kommen wir jetzt auf eine sehr breite Abdeckung. Denn neben der Deutschen Bank und der Commerzbank konnten wir mit Deka und DZ Bank auch die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sowie mehrere Landesbanken gewinnen. Damit haben wir in Deutschland das gesamte „Ökosystem“ abgedeckt, das für den Zins-Swap-Markt wichtig ist.
Aber diese Institute haben doch keine realistische Chance, unter die zehn aktivsten Banken zu kommen, die dann auch finanziell am Erfolg von Eurex Clearing beteiligt werden?
Wir machen dem Markt ein Angebot für den Aufbau eines alternativen Liquiditätspools. Dieses Programm steht allen offen. Und man weiß heute nicht, welche Häuser wie früh und wie stark von diesem Angebot Gebrauch machen. Deshalb haben durchaus auch Institute eine Chance, die nicht zum Londoner Swap-Clear-Konsortium gehören.
Wie sehen Sie den Wettbewerb um die Abwicklung von Derivate-Geschäften?
Die Abwicklung von Interest-Rate-Swaps – nach dem Devisenmarkt der zweitgrößte Derivatemarkt der Welt – findet derzeit fast ausschließlich in einem Clearinghaus in London statt. Hohe Konzentrationen gibt es auch im Geschäft mit Kredit-Derivaten und Repos. Das verursacht bei Politikern und Regulatoren auf dem europäischen Kontinent Bauschmerzen. Es ist klar, dass der Status quo nicht beibehalten werden kann. Wir haben eine Lizenz zur Abwicklung von Zinsswaps und Repos, nicht aber für Kreditderivate. Frankreich hat kein Angebot für die Abwicklung von Zinsswaps, ist aber sehr gut positioniert bei Kredit-Derivaten und Repos.
Viele Großbanken würden das Euro-Clearing-Geschäft am liebsten in London belassen, weil sie dort derzeit bessere Preise bekommen als in Frankfurt. Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie trotzdem Marktanteile gewinnen werden?Wir sind mit dem Partnerschaftsprogramm für die Gruppe Deutsche Börse neue Wege gegangen, indem wir den Kunden im Prinzip zum Aktionär am Clearinghaus (CCP) machen. Außerdem starten wir nicht bei null, das ausstehende Volumen bei der Abwicklung außerbörslicher Derivate beträgt bereits rund zwei Billionen Dollar. Wir haben also eine gute Ausgangsposition. Und wir rechnen mit exponentiellem Wachstum in den nächsten Quartalen. Durch das Partnerschaftsprogramm wird auch die Liquidität bei Eurex-Clearing steigen, weil mehr Banken Preise stellen werden. Darüber hinaus arbeiten wir auf der Plattformseite an weiteren Kooperationen. Der Kritikpunkt, dass die Preise in London besser sind, wird damit eliminiert.
Aber hängt es am Ende nicht von Politikern und Regulatoren ab, ob das Euro-Clearing aus London verlagert werden muss? Viele Banken hoffen ja, dass es eine Übergangsphase von zwei Jahren gibt und dass das Clearing mindestens bis 2021 noch in London möglich ist.
Nicht alles hängt von politischen Entscheidungen ab. Die regulatorische Unsicherheit rund um den Brexit ist nicht die einzige Motivation, warum sich viele Großbanken mit dem Thema befassen. Es geht auch um Risikodiversifikation. Sie wollen nicht alle Eier in einem Körbchen haben. Der Zins-Swap-Markt ist der einzige Markt weltweit, an dem das so ist – und das ist ungewöhnlich. Alleine aus Risikogründen ist es für Marktteilnehmer erstrebenswert, eine Alternative zu haben. Viele Marktteilnehmer machen sich gerade Gedanken, wie die Marktstruktur auf mittlere Sicht aussehen sollte.
Die EU-Kommission hat aber auch noch die Option offengelassen, dass das Euro-Clearing in London bleiben kann, wenn es dort von EU-Behörden beaufsichtigt werden kann.
Ich glaube nicht, dass das eine Option ist. Die EU und die USA sorgen durch Clearingverpflichtungen dafür, dass immer mehr Geschäft über Abwicklungshäuser laufen. Und am Ende geht es darum, dieses Geschäft nicht nur zu überwachen, sondern im Ernstfall auch eingreifen zu können. Das ist der Knackpunkt. Deshalb wollte die EZB schon 2011, also weit vor dem Brexit, eine Verlagerung in die Euro-Zone herbeiführen. Die EZB ist damals vor Gericht gescheitert. Aber es gibt mehrere Wege, dass es im Zuge des Brexits nun zu einer solchen Verlagerung kommt. Wenn sie Regulatoren und Politikern in Deutschland und Frankreich zuhören, ist die Botschaft klar: Es muss nicht alles hier sein, aber der größte Teil des Euro-Geschäfts schon.
Wann werden die Großbanken entscheiden, wo sie ihre Geschäfte künftig abwickeln?
Das wird keine spektakuläre Einzelentscheidung sein. Am Ende wird das auch von den Endkunden abhängen, Banken sind in dem Geschäft ja in erster Linie Intermediäre. Ich halte es für realistisch, dass es zu einem schrittweisen Aufbau eines zweiten Liquiditätspools kommt. Bis zum März 2019 haben wir ja noch etwas Zeit, und falls es eine Übergangsphase geben sollte, sogar noch länger.
Es gibt eine kontroverse Diskussion, wie viele Arbeitsplätze vom Euro-Clearing abhängen. Die London Stock Exchange hat von 100.000 Jobs in Großbritannien gesprochen. Auch Frankfurt Main Finance, das durch den Brexit 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Frankfurt erwartet, misst dem Clearing eine große Bedeutung bei. Deutsche-Bank-Chef John Cryan sagte dagegen kürzlich, beim Clearing gehe es eher um 74 als um 74.000 Arbeitsplätze. Wer hat Recht?
Die Zahl der Arbeitsplätze wird davon abhängen, wie die künftige Marktstruktur aussieht. Ich glaube nicht, dass über Nacht eine riesige Zahl an Jobs verlagert wird. Aber wenn es gelingt, in Frankfurt einen Liquiditätspool für Zinsswaps auszubauen, wird es hier deutlich mehr Arbeitsplätze geben. Dann ist die Schätzung, dass in Frankfurt wegen des Brexits mit der Zeit 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, als konservativ einzuordnen. Aber im Gegensatz zur LSE würde ich auch nicht von 100.000 Arbeitsplätzen reden.
Wie sieht es bei der Deutschen Börse selbst aus?
Bei uns würde die Zahl der Arbeitsplätze nicht deutlich steigen müssen, denn unsere Systeme sind skalierbar. Wir betreiben unser Clearinghaus aktuell mit rund 500 Mitarbeitern. Der Londoner Konkurrent LCH, der derzeit deutlich größer ist, beschäftigt etwas mehr als 1.000 Mitarbeiter.
Herr Müller, vielen Dank für das Interview.
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