Insolventer Zahlungsdienstleister Bilanzskandal bei Wirecard: EU-Kommission schaltet europäische Finanzaufsicht ein

Der Kommissionsvize will die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde um eine Untersuchung bitten.
Brüssel, Düsseldorf Als besorgniserregend bewertet Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bilanzskandal beim insolventen Zahlungsanbieter Wirecard. So lässt sie es am Freitag über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten. Die Staatsanwaltschaft München müsse jetzt offene Fragen ermitteln. Die zuständigen Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Justiz sollten regulatorische Fragen überprüfen.
Am Vorabend hatte bereits Finanzminister Olaf Scholz eine Reform der Aufsicht angekündigt. Bei der deutschen Finanzaufsicht Bafin müssten „die Strukturen durchleuchtet, mögliche Fehler rasch identifiziert und dann natürlich sofort abgestellt werden“. Von einem Skandal, der in der Finanzwelt seinesgleichen suche, sprach Scholz.
Dieser Skandal hat nicht nur das politische Berlin aufgeschreckt. Auch Brüssel ist alarmiert: Dort hat sich jetzt die EU-Kommission eingeschaltet. Sie hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (Esma) um eine Untersuchung gebeten, wie aus einem Schreiben hervorgeht, das dem Handelsblatt vorliegt.
Die Aufseher sollen den Zusammenbruch des Münchner Zahlungsdienstleisters und mögliche Versäumnisse der Aufsichtsbehörden beleuchten. Bis zum 15. Juli soll ein vorläufiger Untersuchungsbericht vorliegen, heißt es in dem Schreiben der zuständigen Generaldirektion für Finanzmarktstabilität der Kommission.
In Deutschland war die Bafin für Wirecard zuständig – allerdings nur für einen kleinen Teil des Konzerns, die Wirecard Bank. Weil der Konzern als Technologieunternehmen eingestuft wurde und nicht als Finanzdienstleister, war bis zuletzt zum Beispiel in Geldwäschefragen die Bezirksregierung in Bayern zuständig und nicht die bundesweite Finanzaufsicht.
„Wir müssen klären, was schiefgelaufen ist“
Die EU-Kommission fordert deshalb von der Esma eine umfassende Beschreibung und Analyse der Ereignisse. Dabei sollten zwei Aspekte bewerten werden: Zum einen, ob die Aufsichtsbehörde auf die im KPMG-Bericht angeführten Unzulänglichkeiten angemessen reagiert habe, um das Vertrauen der Anleger in die Wertpapiermärkte der EU zu schützen. Zum anderen, ob es Hinweise auf administrative oder rechtliche Hindernisse gebe, die geltenden Anforderungen an die Finanzberichterstattung wirksam durchzusetzen.
Es sei wichtig, dass EU-Anleger umfassend geschützt seien, wenn sie in Firmen investierten, die im regulierten Markt in der EU gelistet seien, heißt es in dem Schreiben weiter. Das sei auch wichtig für mögliche weitere Schritte. Zuvor hatte bereits Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in der „Financial Times“ angekündigt, die Esma um eine Untersuchung zu bitten. „Wir müssen klären, was schiefgelaufen ist“, forderte Dombrovskis.
Er könnte die Ergebnisse der Analyse nutzen, um eine formelle Untersuchung einzuleiten und die Bafin verpflichten, der Esma Informationen zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Verstoß festgestellt wird, könnte die Bafin von Brüssel angewiesen werden, ihre Praktiken zu ändern
Wirecard ist in der mehr als 30-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex Dax das erste Mitglied, das Insolvenz anmelden musste. Bafin-Präsident Felix Hufeld sprach deshalb bereits von einem „kompletten Desaster“ und räumte ein: „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert.“
Bafin erhielt bereits 2019 Dokumente von Whistleblower
Am Mittwoch muss Hufeld im Bundestagsschuss Rede und Antwort stehen. Dort könnte es ungemütlich für ihn werden. Denn zuletzt hatte die Bafin eingeräumt, dass ihr bereits im Januar 2019 ein Whistleblower Dokumente zugespielt hatte. Bei der Staatsanwaltschaft wurde der Verdacht der Marktmanipulation aber erst ein Jahr später gemeldet.
Deutlich früher nahm die Bafin dagegen sogenannte Leerverkäufer ins Visier – Hedgefonds, die auf sinkende Kurse bei Wirecard wetten. In einem außergewöhnlichen Schritt verhängte sie im Februar 2019 ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien.
Die Bafin erklärte das unterschiedliche Tempo damit, dass man bei den mutmaßlichen Attacken von Leerverkäufern „auf unmittelbar verfügbare oder auch teilweise öffentlich zugängliche Daten zurückgreifen“ konnte. Bei der möglicherweise manipulativen Information des Kapitalmarktes über mutmaßliche Bilanzierungsfehler habe man dagegen die Feststellungen externer bilanzprüfender Stellen gebraucht.
Mehr: Der Fall Wirecard – wie Ex-Chef Markus Braun den Konzern in die Insolvenz trieb.
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